Anschlag auf die Nerven der Briten

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Von Florian Stumfall auf PAZ

Beim Giftgasanschlag auf den russischen Doppelspion Sergeij Skripal und seine Tochter Julia im eng­lischen Salisbury scheint die britische Regierung vieles vertuschen zu wollen. Unklar ist, warum das Haus der Skripals vom Militär abgerissen wird, welche Rolle ein staatliches Einfluss-Netzwerk dabei hatte und wohin die Skripals verschwunden sind. 

Vor nicht allzu langer Zeit beherrschte der sogenannte Fall Skripal des ehemaligen russischen Doppelagenten und seiner Tochter die Schlagzeilen, der seinen Reiz weniger den Tatsachen verdankte, von denen die Rede war, sondern vielmehr der Hoffnung, den Vorfall in dem englischen Städtchen Salisbury als ein willkommenes Beispiel für russisches Fehlverhalten vorzeigen zu können. Seither ist es darüber erstaunlich ruhig geworden, obwohl bislang eine Aufklärung des Falles nicht stattgefunden hat.

Doch was sich unterhalb der Schwelle der allgemeinen Aufmerksamkeit abgespielt hat und weiterhin abspielt, verdient doch, dass man einen Blick darauf richte. Da hat es zunächst die Männer in monströs-galaktischen Schutzanzügen gegeben, welche Haus und Hof der Skripals nach einem tödlichen Gift durchsuchten, das der Attentäter allem Anschein nach ohne derartige Vorkehrungen dort angebracht haben soll.

Dann geschah eine Zeitlang gar nichts, bis die Nachricht die Runde machte, der Staat habe das Skripal-Anwesen gekauft. Etwas scheint dran zu sein, denn zu Beginn des neuen Jahres 2019 meldete die Agentur „Press Association“: „Das Haus des russischen Ex-Agenten Sergeij Skripal wird demontiert, die Militärs werden das Dach des Hauses vollständig abbauen.“ Dass sich das Militär des Hauses annimmt und nicht irgendeine Baufirma, wird mit dem Umstand begründet, dass noch „Spuren des Stoffes“ beseitigt werden müssten, der Vater und Tochter vergiftet habe. Das alles ist umso bemerkenswerter, als das Gift gemäß der offiziellen Erklärung am Türknauf aufgetragen gewesen war.

Die Nachbarn erfuhren per Brief vom Wiltshire County Council, der Bauschutt werde dann versiegelt und fortgebracht. Alsdann werde man die beiden Gebäude des Anwesens, das Wohnhaus und die Garage, mit einem neuen Dach versehen. „Die Hauptsache für uns ist, uns zu vergewissern, dass die zwei von den Vorfällen des Jahres 2018 betroffenen Objekte vollständig gereinigt und wieder in Betrieb genommen werden können.“ So zitiert eine örtliche Zeitung den County Council. Von einem neuen Türknauf ist keine Rede.

Doch nicht nur der County Council ist emsig im Geheimen. Auf der anderen Seite hat die international renommierte Hacker-Gruppe „Anonymous“ im Internet unter der Adresse „cyberguerrilla.org“ Dokumente veröffentlicht, die sich im Zusam­menhang mit der Affäre Skripal auch mit dem staatlich finanzierten Projekt „Integrity Initiative“ befassen. Bei diesem Projekt handelt es sich um ein Einfluss-Netzwerk, welches das politische Vorfeld in Sinne der britischen Politik präparieren soll, und zwar in internationalem Umfang. Die Gruppe hatte schon vor ein paar Jahren dazu aufgerufen, russische Diplomaten aus Großbritannien auszuweisen. Dazu aber sei eine „Katastrophe“ notwendig, so die „Anonymous“-Enthüllung.

Dass das „Anonymous“-Leak überhaupt in die Öffentlichkeit kam, lag daran, dass die „Integrity Initiative“ den sozialistischen Oppositionsführer im Unterhaus, Jeremy Corbyn, bezichtigt hatte, er sei ein Handlanger des Kreml. Der Grund dafür: Corbyn hatte sich gegen seiner Meinung nach antirussische Propaganda in seinem Lande gewandt und damit das Missfallen politisch korrekter Kreise erregt.

David Miller, Professor für politische Soziologie an der „School for Policy Studies“ der Universität Bristol, erklärte dazu: „Das hat die Operationen der Initiative ziemlich durcheinandergebracht. Diese Leute verbringen jetzt die meiste Zeit damit, die Berichterstattung über sich selbst zu behindern. Das aber ist im Wesentlichen natürlich nicht das, wofür die bezahlt werden, nämlich die Russen zu bekämpfen.“ Für diese Bezahlung stehen übrigens das britische Außenamt, die NATO und Facebook gerade.

Die „Integrity Initiative“ ist der unmittelbare Abkömmling einer etwas rätselhaften Organisation namens „Institute of Statecraft“ (IfS). Sie firmiert offiziell als Wohltätigkeitsorganisation. Doch unmittelbar nach der Vergiftung der Skripals bot das IfS dem britischen Außenministerium seine Dienste an, und zwar in dem Sinne, „die Aktivitäten der sozialen Medien in Bezug auf die stattgefundenen Ereignisse, die Verbreitung von Nachrichten und die Bewertung der Wahrnehmung des Vorfalls zu untersuchen“.
Kein Wunder, dass die Regierung zustimmte, und die Integritäts-Initiative startete die „Operation Iris“. Sie zog die Firma „Harod Associates“ hinzu, welche die Reaktionen der sozialen Medien auf den Fall Skripal analysierte. Außerdem stellte sie eine Liste von „pro-russischen Troll-Berichten“ zusammen. Empfehlungen über den Fall Skripal hinaus vervollständigen das Programm. Sie reichen von der Ablehnung der Ostseepipeline Nord Stream 2 bis hin zum Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift.

Während sich also manche Fragen ihrer Beantwortung zu nähern scheinen, bleiben andere völlig dunkel. So diejenige nach dem Aufenthalt von Vater und Tochter Skripal. Die russische Botschaft in London besteht auf ihrem Vorwurf, Skripal und seine Tochter Julia würden in Großbritannien gewaltsam festgehalten.

Entgegen ihrem wiederholt vorgetragenen Wunsch ist die Tochter Julia bislang nicht nach Russland zurückgekehrt, die Verbindung zu ihrer Cousine Viktoria, Julias letztes Lebenszeichen überhaupt, ist seit Monaten abgebrochen, und auch die Mutter Skripals weiß nichts von Sohn und Enkelin. Die russische Botschaft dazu: „In Wirklichkeit hat Sergeij Skripals betagte Mutter in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit gehabt, mit ihrem Sohn oder mit Julia zu reden.“



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