Ist Ihnen dies nicht selber peinlich, Merkur-Redaktion?

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Von Gastautor Dr. Philipp Lengsfeld

Auf Merkur.de konnte man gestern einen Bericht über den Neujahrsempfang bei der CSU Puchheim mit der Gastrednerin Vera Lengsfeld lesen, der mich ziemlich geärgert hat. Und zwar wegen – wie ich finde – journalistisch sehr schwacher Standards. Und deshalb schreibe ich hier diese kleine Analyse nicht nur als guter Sohn, sondern vor allem als verärgerter, politisch aktiver Medienkonsument.

Unter der eigentlich ganz passenden Überschrift ‚Gast-Rednerin provoziert CSU bei Neujahrsempfang‘ berichtet der Merkur darüber, dass die Publizistin Vera Lengsfeld als Gastrednerin des CSU-Ortsverbands Puchheim bei deren Neujahrsempfang offenbar einiges in Bewegung gebracht hat – der anwesende CSU-Kreisvorsitzende (also der ‚Chef‘ des gastgebenden Ortsvorsitzenden) und Landrat Thomas Karmasin sah sich genötigt, in einem Schlusswort Gegenpositionen zu skizzieren. Also Rede und Gegenrede – Demokratie, wie man sie sich eigentlich als Demokrat wünscht. Und im Hauptteil des Artikels – der übrigens stark so wirkt, als sei er von dem Bericht der Süddeutschen Zeitung, die einen Reporter vor Ort hatte, abgeschrieben – wird diese demokratische Auseinandersetzung auch relativ ausgewogen dargestellt. Scharfe, pointierte Kritik der Gastrednerin an der Bundesregierung und Zuständen als Folgen bestimmter Politikentscheidungen (z. B. ‚Deutschland sei als „Innovationsraum“ bedroht‘) und die Gegenrede des Landrats (‚dem Land ginge es gut‘).

Aber mit einem solchen informativen Bericht, bei dem die Leserinnen und Leser des Merkur sich ihre eigenen Gedanken machen und ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen, konnte oder wollte sich der Merkur offenbar nicht begnügen. Deshalb muss ein geeignetes Framing her, damit die Nachrichtenempfänger auf die richtige Straße geführt werden. Framing, so erklärt Wikipedia diesen vielleicht nicht jedermann geläufigen Fachbegriff aus der modernen Kommunikationswissenschaft beschreibt „den Prozess einer Einbettung von (politischen) Ereignissen und Themen in Deutungsraster“.

Hier hat man verschiedene Möglichkeiten, so hätte z. B. der Merkur versuchen können, sich mit den Inhalten der Haupt- und der Gegenrede auseinanderzusetzen, um so deutlich zu machen, dass sie eine Seite sachlich begründet unterstützen. Es geht aber auch anders. Insbesondere wenn man sich seiner Argumente nicht sicher genug ist, dann wird die Methode ad hominem doch offenbar als das Mittel der Wahl gesehen. Also statt ‚Hart in der Sache, aber sachlich zur Person‘ lieber voll unter die Gürtellinie. Es werden also nicht die Rede und ihre Inhalte angegriffen, sondern lieber die Rednerin.

Beim Merkur geht das, wie so oft, mit dem Foto los: Der Merkur scheint es völlig normal zu finden, den Bericht über den Auftritt der Publizistin Vera Lengsfeld im Jahr 2019 mit einem Bild der Politikerin und CDU-Bundestagskandidatin Vera Lengsfeld aus ihrem letzten Bundestagswahlkampf zu illustrieren, der mittlerweile fast 10 Jahre her ist. 2009 mag dem Merkur wie gestern vorkommen, ist es aber nun wirklich nicht. Aber das Bild sollte natürlich einem anderen Zweck dienen: Ad hominem. Denn das Bild zeigt nicht nur die Rednerin, sondern das zentrale Plakat ihrer 2009er Kampagne, welches damals medial einige Aufmerksamkeit (sogar bis zum Time Magazine in den USA) erregt hatte. Ich war ganz sicher kein Fan dieses Wahlplakats der CDU-Bundestagskandidatin Lengsfeld, aber der verklemmte Umgang des Merkur damit ist wirklich nicht schön. Und für mich auch schlicht am unteren Rand der professionellen Standards.

Nur als Einschub: Wenn Sie sich vielleicht fragen, warum ich den verantwortlichen Journalisten des Merkur nicht direkt anspreche, dann ist die Antwort ganz einfach: Der Artikel ist nicht namentlich gekennzeichnet.

Schlimmer als das Bild ist aber das Ende des Artikels: Es fängt mit dem Beifall an, dessen Charakterisierung heutzutage in fast jedem Bericht irgendwie eine Rolle spielt. Und da passiert folgendes: Im Originalbericht der SZ steht „Lengsfeld erhielt (…) von der großen Mehrheit der Neujahrsgäste der Puchheimer CSU langanhaltenden Applaus. Zwei junge Männer standen sogar auf und zollten ihr demonstrativ Beifall.“ Im Merkur wird daraus: „Am Ende applaudierten zwei junge Männer im JU-Alter stehend, während sich bei der CSU-Prominenz in der ersten Reihe – darunter die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler – kaum eine Hand rührte.“ (Onlineversion, Aktualisiert: 16.01.19 12:15) Bitte urteilen Sie selbst: Sind dies schon alternative Fakten? Oder kann man dem Merkur zugestehen, dass er aus Platzgründen den „langanhaltenden Applaus“ der „großen Mehrheit der Neujahrsgäste“, sagen wir mal, ‚vergessen‘ hat? Ob die anwesende CSU-Prominenz tatsächlich der Gastrednerin zu großen Teilen den absolut üblichen Höflichkeitsapplaus verweigert hat, kann ich nicht beurteilen. Dieser Merkur-Fakt findet sich im Bericht der SZ jedenfalls nicht. Ich als eingefleischter Berliner, denen ja große Ruppigkeit nachgesagt wird, kann mir aber nur sehr schwer vorstellen, dass dies die neuen Gepflogenheiten in der Region München sein sollen.

Damit kommen wir zum dicken Ende des Artikels. Denn den Merkur-Lesern wird nach 10 Jahre altem Bild und Beifall, wie es der Merkur sieht, jetzt noch die Vera-Lengsfeld-Kurzbiographie à la Merkur serviert. Übrigens auch hier hat der SZ-Redakteur – wie ich finde – ordentliche Arbeit geleistet. Es ist nicht ganz einfach, aber auch nicht so kompliziert, wie man an dieser etwas ausführlicheren Version sieht: Die DDR-Dissidentin Vera Lengsfeld kam, wie über den Daumen gepeilt die Hälfte der DDR-Opposition, familiär und durch den akademischen Ausbildungsweg bedingt aus relativ großer Staatsnähe und war tatsächlich von 1975 bis 1983 Mitglied der SED – bis zu ihrem Rauswurf aus der Staatspartei mit anschließendem Berufsverbot, massiver Drangsalierung, schließlich Verhaftung, Verurteilung und Entlassung ins Exil nach England im Zuge massiver öffentlicher Proteste, triumphaler Rückkehr in die Heimat nach dem Mauerfall und Nominierung als DDR-Spitzenkandidatin für eine der Parteien, die unmittelbar aus der Oppositionsbewegung entstanden sind, der Grünen Partei der DDR. So Mitglied der frei gewählten Volkskammer und 1990 für die gemeinsame Liste der Bürgerbewegung (Bündnis 90/Grüne) in den Bundestag, mit einer Wiederwahl 1994 für die jetzt vereinigte Bündnis 90/Die Grünen als Thüringer Spitzenkandidatin (eine Position die nach Vera Lengsfeld, dann Kathrin Göring-Eckart 1998 in den Bundestag brachte). Dann 1996 der Wechsel mit anderen Bürgerrechtlern zur CDU auf Grund des Linksrucks der vereinten Grünen. Mit zwei weiteren Legislaturperioden, insgesamt drei Bundestagswahlkämpfen als Kandidatin und Stand heute über 22 Jahren Parteimitgliedschaft. Eine beachtliche politische Karriere im geteilten und dann vereinigten Deutschland, die aber der Merkur meint so zusammenfassen zu müssen: „dass sie einmal Bundestagsabgeordnete der Grünen und (danach) der CDU war. Sie war bis 1983 auch Mitglied der SED.“ Nicht nur ist diese Verkürzung grenzwertig, das ganz offenbar stigmatisierend gemeinte Erwähnen der SED-Mitgliedschaft in jungen Akademikerjahren in der DDR bei gleichzeitigem Weglassen des Parteiausschlusses und der Repression durch die DDR-Machthaber empfinde ich als in hohem Maße manipulativ.

Dass – wenn schon, denn schon – auch einige Worte über den politischen Werdegang des Gegenredners CSU-Landrat Thomas Karmasin sinnvoll gewesen wären, sei hier nur am Rande angemerkt.

Wer es aber mit Fakten nicht genau nimmt, der braucht sich um die Darstellung der anderen Perspektive – eine Grundforderung an freie Medien in einer Demokratie – natürlich erst recht nicht zu kümmern.

Und so bleibt nur noch der traurige Schluss: Rechtlich nicht wirklich angreifbar meint der Merkur mit folgendem Satz enden zu müssen: „Heute tritt sie zusammen mit AfD-Politikern auf.“ Was soll das? Hier wird einfach irgendetwas insinuiert, aber so schwammig und völlig belegfrei, dass kein Anwalt etwas dagegen unternehmen kann. Das ist der letzte Satz über einen offenbar denkwürdigen und anregenden Auftritt einer Publizistin mit CDU-Parteibuch und der oben dargestellten politischen Karriere bei der CSU? Wirklich?

Bei mir hinterlässt dieses namenlose Stück einfach nur Ratlosigkeit: Entspricht ein solcher Text wirklich den journalistischen Standards des Merkur?

Ist Ihnen dies nicht selber peinlich, Merkur-Redaktion?

Philipp Lengsfeld

P.S. Ich habe lange überlegt, welche Fakten aus meiner politischen Biographie für einen Disclaimer hier vielleicht wichtig sein könnten. Ich belasse es mal dabei: Ich war von 1986 – 1988 Mitglied der FDJ, der Jugendorganisation der SED (im Alter von 14-16 Jahren). Ich hatte aber das ‚Privileg‘ am 29.09.1988 zusammen mit Mitschülern aus diesem Verein ausgeschlossen zu werden.

Hier der Link zum Merkur-Artikel. Bin mal gespannt, ob Bild und Textteile vielleicht doch noch mal geändert werden:

Gast-Rednerin provoziert CSU bei Neujahrsempfang



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