Zwischen Leber und Miliz – Schreiben am Rande des Gesinnungsdeliriums

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von roger zuerst erschienen auf unbesorgt

Sebastian Leber ist beim Tagesspiegel für die Beleuchtung zuständig. Er setzt dort den „rechten Rand“ in scharfes und den „linken Rand“ in schmeichelhaft weiches Licht. Etwa als er mit Blick auf Chemnitz fragt, „Wie rechts ist die Stadt?“ oder im Artikel „Danke, liebe Antifa!“ mit pastellenen Farben zur Verteidigung einer „viel gescholtenen Subkultur“ (meine Hervorhebung) anhob.

Doch was ist der Schnee von gestern gegen einen Shitstorm von heute! Einem solchen sah sich nämlich aktuell Nicole Diekmann vom ZDF ausgesetzt und wer wollte bestreiten, dass derlei sozial-mediale Flegeleien eine unangenehme und meist auch völlig unangemessene Sache sind. Was mich zum Beispiel prinzipiell an solchen Wut-Tiraden stört, ist die völlige Abwesenheit sachlicher Argumente, die es auch in diesem Fall durchaus gegeben hätte. Es ging stattdessen nur noch darum, möglichst kräftig auszuholen, um Knie und Schienbeine des Kontrahenten zu treffen. „Ad hominem” also und damit an der Sache vorbei. Die Kondensationskerne, um die herum sich die Gewitterwolken bilden, kommen jedoch seit Jahren von ausnahmslos allen (!) politischen Parteien und die Saat scheint gut aufzugehen in diesem Land, wie der aktuelle Anschlag auf den Bremer AfD-Chef gezeigt hat. Für bedauernde Sprüche und scheinheilige Aufrufe zur Mäßigung ist es wohl leider schon zu spät, der politische Gegner wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen und ist längst zum Zerrbild des Feindes schlechthin mutiert. Soviel zum Prinzipiellen, wenden wir uns dem Speziellen des Falles Diekmann zu und was der Beleuchter Leber damit zu schaffen hat.

Shitstorm-Nahkampf in der Humor-Zone

Den von Leber thematisierten Twitter-Nahkampf müssen wir zunächst mal zeitlich rekonstruieren. ZDF-Redakteurin Nicole Diekmann, vermutlich noch leicht angeschlagen von der Silvesterfeier, wacht irgendwann am Neujahrstag auf und stellt sich die Frage, was zuerst zu tun sei. Rollmops oder Aspirin? Ein Müsli oder lieber noch keine feste Nahrung? Da muss ihr ihre Liste mit guten Vorsätzen für 2019 ins Auge gefallen sein und sie bemerkte erschrocken, dass sie in diesem Jahr noch gar nicht gegen rechts gekämpft hat. Nun tut Eile Not, denn es ist schon fast 22 Uhr. Twitter öffnen, „Nazis raus.“ posten, fertig. Jetzt aber Aspirin. Doch keine Minute später wollte @spom_heike wissen, „Wer ist denn für Sie ein Nazi?“ – eine Frage, wie wir in Lebers Artikel lernen, die man nicht stellen darf. Außer, man ist selbst Nazi. Aber dann stellt sich die Frage ja eigentlich auch nicht…es ist kompliziert. Diekmann jedenfalls, immer noch einige Minuten vom rettenden Aspirin entfernt, antwortete gnädig auf die unverschämte Frage und Leber ist ganz aus dem Häuschen:

Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“

Je nach Nervenkostüm, Parteizugehörigkeit, innerer Verfassung und Kopfweh-Level kann man dies nun für schlagfertig, schnippisch, verunglückte bzw. gelungene Satire oder einfach nur für einen Anfall von unaufmerksamer Ehrlichkeit halten, wobei es für jede Bewertung gute Gründe gibt. Fakt ist jedoch, dass der von Leber diagnostizierte Shitstorm erst NACH 21.54 Uhr, also NACH der eindringlichen Wahlempfehlung losbrach. Nicht die Injurie „Nazis raus” war also das Problem, die Begründung brachte die Leute auf die Palme. Und wer da erst mal ist, kommt nicht so leicht wieder runter.

Das ist natürlich für den künftigen Relotius-Preisträger Leber kein Grund, die komplette Empörungskette richtig abzubilden. Er griff sich das anlasslose Twitter-Tourette „Nazis raus“ und definierte den Shitstorm kurzerhand als dessen Folge. Alles was danach kam, sei ja nur ein Witz gewesen und wer Diekmanns Humor nicht teile, nun ja, sie wissen schon: Nazi eben! Der Humor ist in diesem Land allerdings längst auf den Hund gekommen, wenn zum Beispiel die regierungsbestallten Faktenchecker von correctiv.org es für notwendig erachten, einen Artikel des „Postillon“ explizit als Satire zu kennzeichnen oder wenn man sich den Zustand des politischen Kabaretts im deutschen Fernsehen anschaut. Letzteres ist sogar dem Deutschlandfunk aufgefallen – dafür ein begeistertes „Chapeau“ an Christian Schüle.

Die heute wie Sand verstreute Verbalinjurie „Nazi“, die mit großer Schaufel über alle gestreut wird, die sich der medial und politisch tonangebenden politischen Richtung widersetzen, macht die Leute offensichtlich langsam kirre. Diejenigen, die sich selbst als Faschos, Volkskörperbeschützer und Hitlers Erben sehen, trifft die Schelte indes nicht – man kann einen „Kevin“ nicht dadurch herabsetzen, dass man ihn „Kevin!“ schimpft. Für die immer weiter fortschreitende Polarisierung, ja, „Weimarisierung“ Deutschlands jedoch markiert der Begriff „Nazi“ gewissermaßen die Wasserscheide, entlang derer die Gesellschaft wahlweise Himmel oder Hades entgegenfließt.

Um sich maximal von der vermeintlich finsteren Seite abzusetzen, ist „Grün“ derzeit (trotz Palmer) die sicherste Wahl. In der SPD sitzen Sarrazin und Buschkowsky, die CSU hat Seehofer und Söder und hatte Strauß, die CDU ist voller Wertkonservativer samt Vera Lengsfeld, die FDP sitzt im Bundestag neben der AfD und Kubicki ist geradezu ein Abziehbild des alten weißen Patriarchats. Die Linke Sarah Wagenknecht schließlich kuschelt mit rechten Sicherheitsprinzipien und über die AfD, nun, über die ist man ja ohnehin ausreichend via „Heute” und „Heute-Show” informiert. Nur Grün ist „rein“, weshalb nur deren Anhänger sicher sein können, bei einer weiteren Verschiebung der Grenze zwischen Gut und Böse noch auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Klar, was man da wählt. Klar, dass man über Naziwitze erleichtert lachen kann, es betrifft einen ja nicht. Wer Grün wählt, ist aus dem Schneider. Zweifel, die eigentlich die Triebfeder jedes ausgewogenen gesellschaftlichen Fortschritts sind, kennt der Grüne nicht. Er ist ja kein Nazi!

Ein Vergleich der hinkt, aber winkt

Historische Vergleiche hinken bekanntlich, weshalb ich einen naheliegenden aus unserer jüngeren Vergangenheit auch nicht ziehen werde. Ich gehe für meinen Vergleich zurück ins Jahr 1793, nach Frankreich. Unter den Gesetzen von „Tugend und Terror“, die die letzte Phase der französischen Revolution unter Robespierre und Saint-Just einleitete, genügte die Bezeichnung „Aristokrat“, um unter dem Fallbeil zu enden. Mit diesem Label wurden nicht nur jene bedacht, die diesem privilegierten Stand tatsächlich durch Geburt oder Ernennung (Bekenntnis gibt es hier logischerweise nicht) angehörten. Es genügte, die Anrede „Mein Herr“ statt des opportunen „Salut“ oder „Bürger“ zu verwenden, die falsche Kleidung zu tragen oder durch Erziehung oder Gewohnheit andere, oft bessere Manieren an den Tag zu legen, als es in den Hetztiraden Héberts in seinem „Père Duchesne“* als tugendhaft und republikanisch bezeichnet wurde. Man sieht, die Medien spielten zu allen Zeiten die ihnen zugedachte Rolle. Zum Schluss, als täglich hundert und mehr Hinrichtungen Paris in Blut tauchten, verwendete man das tödliche Wort „Aristokrat“ schlicht für jeden, den man einer „falschen Gesinnung“ verdächtigte. Mit tödlichen Folgen. Es bedurfte nicht des Nachweises eines Verbrechens, um auf dem Schafott zu enden, eine falsche Gesinnung genügte völlig. Für den auf die Anklage „Aristokrat” folgenden Schuldspruch reichte es aus, die Personalien festzustellen – und selbst damit nahm man es nicht sonderlich genau.

 

Diese Art des Gesinnungsterrors ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Je ängstlicher und exponierter man ist, umso größer wird die Kokarde am Kragen, umso breiter die Schärpe um die Brust und umso derber die Sprache, mit der man sich gegen die anderen, die „Aristokraten“ oder eben gegen vermeintliche „Nazis“ abzugrenzen versucht. Bloß nicht für zugehörig gehalten werden, nur möglichst weiten Abstand halten, die Köpfe der Verleumdeten fallen ebenso leicht, wie die der Verräter. Auch der Schlachtruf „Nazis raus“ deutet bereits in Richtung einer finalen Konsequenz, denn wo liegt denn dieses „raus“? „Geh‘ doch, wo du wohnst“ kann ja schon mal nicht gemeint sein, denn dort wohnt man ja selber, besucht dieselben Kneipen und Versammlungshallen, kauft im selben Supermarkt die gleichen Marken ein oder bringt seine Kinder zur selben Waldorf-Schule. Genau dort will man Andersdenkende aber eben nicht haben. Verbannung? Lagerhaft? Umerziehung?

Wir wissen nun oder könnten schon lange wissen, wohin diese Denkart führt. Es bedarf nicht erst der Lockerung der Waffengesetze oder der Bildung echter Milizen, statt einer nur erfundenen Amberger Bürgerwehr, um gewisse Leute zum Kantholz greifen zu lassen, um mit gutem Gewissen und dem euphorisierenden Gefühl, „das Richtige“ zu tun, die vermutete Gesinnung samt sechs Sorten Scheiße aus dem gelabelten Feind herauszuprügeln. Um das tun zu können und sich dabei gut zu fühlen, bedarf es lediglich einer wasser- und blutfesten Ideologie sowie der wohlwollenden medialen Beklingelung wie der von Leber im Tagesspiegel, der Opfer zu Tätern, Täter zu Helden und verkaterten Blödsinn twitternde ZDF-Redakteurinnen zu Satire-Talenten mit Antifa-Attitüde aufbläst. Den Shitstorm hat Diekmann sicher nicht verdient, einen Gesinnungsverteidiger wie Leber allerdings schon.


* Heute orientiert man sich natürlich am Wording der TAZ, des Tagesspiegels oder der Süddeutschen, literarisch Anspruchsvolle wenden sich natürlich gleich dem Spiegel zu.



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