Der letzte DDR-Bürger in Valparaiso

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Das unweit von Santiago gelegene Valle Central ist eine der ältesten und traditionsreichsten Gegenden Chiles. Es ist schon seit präkolumbianischen Zeiten besiedelt. Die einst hier ansässigen Mapuche wehrten sich schon gegen die Eingliederung in das Inka-Reich, wie sie sich heute gegen die Eingliederung in den chilenischen Staat wehren. Der bewaffnete Kampf zwischen Indigenen und Spaniern dauerte mehr als 300 Jahre, seitdem Pedro de Valdivia Chile 1541 erobert hatte und die Hauptstadt Santiago gründete. Der Konquistador verlor die Schlacht bei Tucapel 1553 und wurde von den Mapuche geköpft und aufgespießt.

Trotzdem kolonialisierten die Spanier ab dem Jahr 1541 das Tal erfolgreich. Heute ist es der wohlhabendste Teil Chiles. Das ist vor allem seinen erfolgreichen Weingütern zu verdanken. Chilenischer Wein ist längst kein Geheimtipp mehr, sondern sehr begehrt bei den globetrottenden Gourmets. Jedes Weingut ist deshalb auf zahlreiche Besucher eingerichtet. Die angebotenen Weinverkostungen sind ein Muss. Für den Normalreisenden stellt die Gewichtsbegrenzung von Fluggepäck einen beträchtlichen Hinderungsgrund dar für den Drang, von allen angebotenen Sorten mindestens eine Flasche mit nach Hause zu nehmen.

Hat man das Valle Central durchquert, gelangt man nach Valparaíso. Die 1544 gegründete Stadt war bis Ende des 19. Jahrhunderts der größte Hafen im Südpazifik. Heute gilt die Stadt als kulturelle Hauptstadt Chiles. Im Juli 2003 wurde der historische Stadtkern mit seiner Architektur aus dem 19. und 20. Jahrhundert von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Ein Grund dafür ist die Street-Art, die in der ganzen Stadt verbreitet ist. Es begann damit, dass die Häuser, die sehr stark der Meereswitterung ausgesetzt sind, mit den Farben gestrichen wurden, die von der Reparatur der Schiffe übrig blieb. Da Schiffe ganz unterschiedliche Farben haben, wurden auch die Häuser bunt. Später kamen die Graffiti dazu, die anders als in Deutschland, nicht einfach Schmierereien, sondern zum Teil wirkliche Kunstwerke sind.

Das Besondere ist, dass Valparaíso auf 45 Hügeln liegt, die steil an einem schmalen Küstenstreifen aufragen. Man hat die Wahl, die Hänge zu erklimmen, oder eine der vielen Seilbahnen zu nehmen, die es in der Stadt gibt. Man wird mit immer neuen, atemberaubenden Aussichten belohnt.

Aber auch politisch spielt die Stadt eine Rolle. Der Militärputsch in Chile von 1973 nahm seinen Anfang im Hafen Valparaíso. Nach dem Sturm auf die Moneda und Allendes Selbstmord wurde sein Leichnam, zuerst geheim, auf dem Friedhof des nahegelegenen Viña del Mar beerdigt. Am Ende der Ära Pinochet wurde der chilenische Nationalkongress in die Stadt verlegt. Ein Beschluss, der bis heute nicht rückgängig gemacht wurde. Jedes Jahr am 21. Mai spricht der Präsident des Landes vor dem Kongress. Dann kommt es regelmäßig zu Straßenschlachten zwischen linksgerichteten Demonstranten und der Polizei.

Mitten in dieser pittoresken Stadt soll der „letzte Bürger der DDR“ wohnen. Der sich so nennt, ist der Enkel des langjährigen Staats- und Parteichefs der DDR, Erich Honecker. Während der Regierung Allende und nach dem Militärputsch kamen ein paar hundert chilenische Kommunisten in die DDR. Sie bereicherten die graue musikalische Landschaft mit ein paar Andenweisen und waren bei den Mädchen sehr begehrt. Eines davon war Sonja Honecker, die ihren chilenischen Erwählten, Leonardo Yánez, der unter Allende zum Studium in die DDR geschickt worden war, heiraten durfte. Die Ehe hielt nicht, aber Chile gewährte dem Ehepaar Honecker Asyl, nachdem es Moskau verlassen musste, Honecker in Deutschland im Gefängnis Moabit landete, aber schließlich wegen Haftunfähigkeit frei gelassen wurde.

Enkel Roberto lebte in einer Hippie-Kolonie in der Atacamawüste, schrieb Gedichte und malte. Er musste wegen der Folgen seines Drogenkonsums 1994 in einer Klinik auf Kuba behandelt werden. Seinen Lebensunterhalt verdiente er unter anderem als Kellner, Bibliotheksgehilfe, Straßenmusikant und Übersetzer. Oder er lebte von seiner Großmutter Margot Honecker, in deren Haus er auch überwiegend wohnte. Nach dem Tod von Margot Honecker soll er die Urne von Erich wieder ausgebuddelt haben. Beide Urnen sollen nun darauf warten, nach Deutschland überführt und dort begraben zu werden. Bislang scheint sich keine nennenswerte Unterstützung für das mutmaßliche Vorhaben von Yánez gefunden haben.

Gegenüber von Valparaíso liegt Vina del Mar, ein eher langweiliger Badeort, dessen prächtige Blumenrabatten diese Tatsache etwas überdecken können. Der Ort ist aber ein Muss für alle, die nicht unbedingt auf die Osterinsel reisen, die ja auch zu Chile gehört, aber eine ihrer berühmten Figuren im Original sehen wollen. Das kann man am Eingang des Museo de Arqueologia e Historia Francisco Fonck, das über eine herausragende Sammlung von Objekten der Osterinsel verfügen soll. Wir mussten uns mit dem Moai vor dem Eingang begnügen. Trotz der fremden Umgebung und des Touristenrummels um ihn herum, spürt man etwas von der Magie dieser unerklärlichen Kultur.

Ob Roberto Yánez ab und zu hierher kommt, um sich einem Schicksalsgenossen nahe zu fühlen, der wie er, ungefragt aus seiner Heimat hierher verfrachtet wurde?



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