Die Neiddebatte gigantischen Ausmaßes, die von den Qualitätsmedien angeheizt wurde, ist kürzlich von „hart aber fair“ wieder aufgenommen worden. Der Kern dieser Debatte könnte kümmerlicher nicht sein. Friedrich Merz, der den CDU-Vorsitz anstrebt, weil er Kanzler werden will, verdient nach eigenen Angaben eine Million im Jahr und zählt sich selbst zur Mittelschicht. Darf er da Politik machen?
Die Mehrheit unserer Qualitätsjournalisten scheint der Meinung zu sein, dass nur Geringqualifizierte Politik machen dürfen. Schließlich sind abgebrochene Ausbildungen, endlos-Studenten mit 28-30 Semestern inzwischen in den Parlamenten keine Ausnahme mehr. Das führt zu so absurden Situationen, dass Claudia Roth und Katrin Göring-Eckard, beide Studienabbrecher, sich über den Fachkräftemangel im Land beklagen. Den haben wir – vor allem in der Politik. Charakteristisch für die politische „Elite“ sind Figuren wie Annalena Baerbock, die als Energiespezialistin das Stromnetz für einen Speicher hält.
Merz hat viel Geld verdient, na und? Interessanter ist die Frage, womit er sein Geld verdient hat. Aber gerade das spielt nur am Rande eine Rolle, obwohl es das eigentliche Problem ist. Merz verdient sein Geld als Berater, Aufsichtsrat, Veräußerungsbevollmächtigter für eine ganze Reihe von Institutionen. Eine davon war die mit massiven Staatshilfen gestützte WestLB. Die Privatisierung der WestLB war von der EU-Kommission verlangt worden. Merz` Anwaltskanzlei Mayer Brown, eine US-Großkanzlei, bei der er heute Senior Counsel ist, hatte nach Ausbruch der Finanz- und Bankenkrise bereits die Auslagerung “giftiger Anlagepapiere” der WestLB in eine so genannte “Bad Bank” gemanagt. (Laut Handelsblatt waren bei der Kanzlei Mayer Brown, bei welcher Merz als Wirtschaftsanwalt gearbeitet hat, Tagessätze von 5.000 Euro nicht unüblich.)
“Mit Herrn Merz wird diese Aufgabe von jemandem übernommen, der viel Erfahrung und wirtschaftlichen Sachverstand mitbringt, der politisch gleichermaßen in Brüssel wie in Berlin verankert ist und der als Person hervorragend geeignet ist, den Interessen aller Beteiligten, einschließlich der Beschäftigten der Bank, Rechnung zu tragen“, hieß es in einer Erklärung des Finanzmarktstabilisierungsfonds im Jahr 2010.
Wie groß die Erfolge von Merz waren, ist für mich schwer feststellbar. Tatsache ist, dass die Wirtschaftswoche am 13. August 2015 meldete, dass der Plan zur Privatisierung der WestLB-Nachfolgerin Portigon gescheitert sei. Jetzt müssten sich Nordrhein-Westfalen und die Sparkassen einigen, wer für die Pensionen der Mitarbeiter aufkommt.
Zu Merz´ zahlreichen andern Posten: Er ist Chef des Aufsichtsrats beim Vermögensverwalter Blackrock Deutschland, Aufsichtsrat des Arnsberger Unternehmens Wepa, Leiter des Kontrollgremiums des Flughafens Köln-Bonn und Aufsichtsratsmitglied bei der Privatbank HSBC Deutschland. Er sitzt zudem im Verwaltungsrat des Schweizer Zugbauers und Siemens-Konkurrenten Stadler Rail. Seine Aufsichtsratsmandate will er anscheinend niederlegen, sollte er im Dezember zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt werden.
Besonders brisant sind Merz` Verbindungen mit Blackrock in München und der HSBC-Bank wegen deren mutmaßlicher Verwicklung in die so genannten Cum-Ex-Geschäfte. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen Blackrock im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktionen zwischen 2007 und 2011. Dort ist Merz seit 2016 Aufsichtsratschef. Natürlich hat er mit den Vorgängen von 2007 bis 2011 nichts zu tun. Die brisante Frage ist aber, ob und wie viel Merz von diesen Geschäften gewusst hat, als er seinen Posten antrat.
Seine Äußerungen in der Sendung von Anne Will im November 2018: „Ich arbeite nicht für solche Unternehmen“ oder „Ich mag solche Leute nicht“ passen jedenfalls nicht zu seiner Tätigkeit für Firmen, die unter Verdacht stehen, beim größten Steuerbetrug aller Zeiten mitgemacht zu haben.
Der Finanzexperte der Grünen, Gerhard Schick, der sich große Verdienste um die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals erworben hat, geht von “Steuerausfällen von über 30 Milliarden Euro” allein in Deutschland aus.
Beim Thema Blackrock windet sich Merz in einer Weise, die nichts Gutes für die dringend notwendige Erneuerung der Politik erwarten lässt: Er setzt auf Verharmlosung. „Ich beaufsichtige die Firma, führe sie aber nicht.“ Es handle sich um ein Unternehmen, das die Vermögen seiner Kunden treuhänderisch verwalte. Es sei keine Heuschrecke, kein Private-Equity-Anbieter.
Merz räumt zwar ein, Cum-Ex-Geschäfte, die dazu dienten, „die Steuerzahler auszunehmen” seien unabhängig von der juristischen Bewertung “vollkommen unmoralisch“, aber das sind nur leere Beteuerungen angesichts seines Verbleibs bei Unternehmen, deren manche Praktiken er „nicht mag“.
Bei den Cum-Ex-Geschäften, die Merz` Mentor Wolfgang Schäuble „illegitim, aber nicht illegal“ nannte, geht es darum, dem Fiskus das Steuergeld Anderer zu rauben, indem man sich die Kapitalertragssteuer auf Dividenden erstatten zu ließ, obwohl man sie nie gezahlt hatte.
Möglich war das dank sogenannter Leerverkäufe im Aktienhandel. Dabei lieh man sich Aktien, die einem nicht gehören, und verkaufte sie. Erwarb der Käufer die Aktien kurz vor dem Dividendentag, an dem Dax-Firmen ihre Gewinne ausschütten, mit (cum) Dividendenanspruch, bekam er sie beim Leerverkauf erst nach dem Stichtag ohne (ex) Dividende geliefert. Der Leerverkäufer mussten dem Käufer deshalb einen Ausgleich zahlen. Anders als die echte wurde diese künstliche Dividende aber jahrelang nicht besteuert.
Banken und Fonds handelten Milliarden Aktien immer wieder im Kreis und ließen sich so die nie gezahlte Steuer nicht bloß einmal, sondern gleich mehrfach erstatten. Trotz mehrfacher Hinweise von Whistleblowern reagierten die Finanzbehörden jahrelang nicht auf diese Hinweise.
Erst 2012, nach langer Untätigkeit der Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) schlossen die Beamten in Berlin die Schlupflöcher.
Die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Cum-Ex-Affäre mehr als ein Jahr lang aufgearbeitet hat, hielten die Geschäfte allerdings parteiübergreifend für missbräuchliche Steuergestaltung. Und die war auch ohne spezielles Cum-Ex-Gesetz nach § 42 der Abgabenordnung schon immer verboten, wenn sie zu “einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt“.
Wären Informationen von Insidern sofort genutzt worden, hätten die Betrügereien viel früher gestoppt werden können. Milliarden an Steuergeld, das für Schulen, Straßen und Polizisten hätte ausgegeben werden können, gelangte in die Hände von Steuerbetrügern. Das sind die zentralen Erkenntnisse im Abschlussbericht zur Cum-Ex-Affäre.
Sollte er Kanzler werden und sich der Verdacht gegen Blackrock und die HSBC-Bank erhärten, müsste Merz gegen seine früheren Arbeitgeber vorgehen. Kann das nicht zu erheblichen Interessenskonflikten führen?
Statt diesen brisanten politischen Fragen nachzugehen, wird eine Scheindebatte über die Einkommensverhältnisse von Merz geführt. Cui bono?