Erschließung der Ressource Mensch als letzter Akt der Globalisierung (Teil 1)

Veröffentlicht am

von Gastautor Martin Brandscheid

20. November 2018, Diskussion im Hörfunk des SWR 2 Forums
Es diskutieren:
PD Dr. Stefan Luft, Migrationsforscher, Bremen
Prof. Dr. Reinhard Merkel, Jurist und Rechtsphilosoph, Hamburg
Andreas Zumach, UN-Korrespondent der taz, Genf
Gesprächsleitung: Gregor Papsch
“Vereinte Absichtserklärungen – Der Streit um den UN-Migrationspakt” ist im Medienportal von SWR nachzuhören.

Sinnvolle Punkte des Migrationspakts betreffen die Berücksichtigung der Menschenrechte. Hier sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Alle diesbezüglichen Punkte, insbesondere die Beachtung von Kinderrechten, aus den UN-Menschenrechtskonventionen werden bereits berücksichtigt und umgesetzt. Prof. Dr. Reinhard Merkel beschreibt die medial kommunizierten Unverbindlichkeiten des Pakts dennoch als ein “Softlaw im Völkerrecht”.
Eine zentrale Ausgangsfrage zur ethischen Betrachtung des Profitierens von Arbeitskräften aus anderen Ländern soll hier im Forum im Mittelpunkt stehen. Was bedeutet es, wenn Arbeitskräfte und ausgebildete Fachkräfte ihre Heimatländer verlassen und am Wohlstand westlicher Gesellschaften mitwirken, für die Entwicklung im Herkunftsland? Profitieren afrikanische Länder davon, wenn immer mehr Menschen ihr Herkunftsland verlassen und fehlende Arbeitskräfte durch chinesische Staatsbürger
ausgeglichen werden? Bereits hier wird deutlich, dass Menschen durch Migrationsdruck auf ihre Funktion der Arbeitskraft reduziert werden. Menschen sind aber nun mal keine variablen manövrierbaren Investitionsgüter und sollten dies auch durch “positiv” suggerierte Mobilität niemals werden müssen.
Die Anzahl der bereitwilligen Migranten auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent dürfte inzwischen den meisten Lesern bekannt sein. Prof. Dr. Reinhard Merkel betont, dass 100 bis 130 Millionen potentieller Migranten die Absicht haben, nach Deutschland zu kommen. Das geht natürlich nicht!
Andreas Zumach schildert als UN Korrespondent die seit fünf Jahren bestehende
Informationsversorgung zum Pakt innerhalb aller Parteien des Bundestags und spricht seine Verwunderung aus, dass erst jetzt im Herbst 2018 darüber eine Debatte geführt wird. Waren sich hier etwa alle Parteien mit Ausnahme der AfD einig?

Zitat PD Dr. Stefan Luft: “Es ist schon sehr verwunderlich, dass der Pakt jetzt so durchgewunken wurde und nur in den sozialen Medien und Netzwerken in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Das ist vor dem Hintergrund, dass es sich um eine Grundsatzentscheidung handelt, die das Staatswesen der BRD in seiner Gesamtheit betrifft, schon außerordentlich bemerkenswert.“ (PD Dr. Stefan Luft).
Hierauf antwortet A. Zumach, der Pakt sei kein völkerrechtlich bindender Vertrag und sei deswegen nicht vom Parlament zustimmungspflichtig.
Prof. Dr. Reinhard Merkel widerspricht dieser Behauptung vehement. Der Pakt beinhalte sehr wohl sehr viele Auswirkungen auf die Bevölkerung dieses Landes. Das sei in der Sache eine genuine Materie für einen Beschluss des Parlaments. Hier sein Einwand:
“Die Zustimmung des Pakts ohne eine parlamentarische Auseinandersetzung würde bedeuten, man nimmt diesen Beschluss als genuin nicht ernst. […] Es geht nicht, dass ein solcher Pakt unterschrieben wird, allein nach Verhandlung der Exekutive, während das Parlament nur einmal befragt wurde durch eine dubiose Partei. Es ist ganz deutlich und knapp und undemokratisch, was hier geschehen ist.“ (Prof. Dr. R. Merkel).
Professor Merkel spricht hier als dubiose Partei klar von der AfD und betont seine politische Ablehnung mit einem “leider, leider, leider”. Ja leider haben diesen Einwand keine anderen Parteien angestoßen, was sie hätten tun müssen. Mit “leider” betrauert Prof. Dr. Reinhard Merkel offensichtlich den hier zum Vorschein tretenden Demokratieverlust.

PD Dr. Stefan Luft äußert als anerkannter Migrationsforscher der Universität Bremen drei große Kritikpunkte an den 23 Leitlinien des Pakts.

1.) „Dieser Migrationspakt will ein positives, liberales Verständnis von Migration
festschreiben. D.h. er will festschreiben, dass Migration grundsätzlich eine Bereicherung und einen Gewinn für ALLE darstellt, eine sogenannte win-win-Situation. Das wird weltweit von vielen auch anders gesehen.“ (PD Dr. Stefan Luft)

2.) „Die Autoren sagen, wir müssen außerdem allen unseren Bürgern objektive faktengestützte und klare Informationen über die Vorteile und Herausforderungen vermitteln, um irreführende Narrative, die zu einer negativen Wahrnehmung von Migration führen, auszuräumen.“ (PD Dr. Stefan Luft)
Wer also das neoliberale Narrativ nicht teilt, sitzt einfach nur falschen Informationen auf. Die Staaten wollen ihre Bürger zu einer bestimmten Wahrnehmung von Migration verpflichten. Das ist mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar.

3.) „Die ökonomischen weltweiten Interessen von Migranten werden an keiner Stelle des Papiers erwähnt.“ (PD Dr. Stefan Luft)
Wäre an dieser Stelle evtl, die Formulierung „[…] von und an Migranten” nicht passender gewesen?
In diesem Kontext sei auf die Position der LINKE hingewiesen, die die große Gefahr vor weiterer Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft klar erkannt hat, sich aber bezüglich der Nicht-Zustimmung zum Pakt nicht geschlossen äußern kann.
Zitat Sevim Dagdelen: „Die Stimmen der afrikanischen und lateinamerikanischen Länder mit ihrer Forderung nach Ursachenbekämpfung und Finanzierung wirtschaftlicher Entwicklung in den Herkunftsländern wurden in New York nicht gehört. Diese Länder haben zu Recht die Fixierung auf die Nutzbarmachung von ,Humankapital’ für den reichen Norden kritisiert. Sie riefen nach globaler Gerechtigkeit, aber was sie jetzt bekommen, ist ein Braindrain, eine Abwanderung ihrer Fachkräfte. Dieser Braindrain zugunsten der Profite großer Konzerne dient letztendlich der Enteignung der Länder des Südens. Ich finde, dieses neoliberale Nützlichkeitsdenken ist zynisch.“ (Sevim Dagdelen/LINKE)

PD Dr. Stefan Luft beschreibt in seinem 3. Kritikpunkt weiter, die nicht zu leugnenden Auswirkungen von Migranten auf die bundesweite Lohnentwicklung. Die Deutsche Bank habe vor kurzem darauf hingewiesen, dass trotz einer starken europäischen Binnenmigration in Form einer Nachfrage von Fachkräften, die Lohnentwicklung nicht gestiegen ist, sondern gedämpft wurde:
“Migration wirkt sich immer auf die sozialen Schichten gravierend aus. D.h. die Sozialschwächsten sind dann am meisten betroffen, da sie ohnehin bereits in Stadtteilen leben, in denen ohnehin schon die meisten Armen und Migranten leben und weitere Migranten, die seit 2015 gekommen sind, hinsichtlich Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich und Wohnraum noch stärker in Konkurrenz stehen. Es trifft also weiter die Ärmsten der Armen.“ (PD Dr. Stefan Luft)
Dass durch den Pakt die Lebensstandards optimiert werden, so dass Migranten nicht mehr zwangsweise nach Deutschland kommen wollen, sei an dieser Stelle als Ideal benannt oder ehrlicher ein großes ewig anhaltendes Märchen?
Aufgrund der bestehenden uneinigen Debatte innerhalb der Linkspartei zum Migrationspakt und der bisherigen Versäumnisse zur Zukunft des damit einhergehenden Lohndumpings sei im alternativen Verständnis im Umgang mit Migration auf die sehr detaillierten Beiträge in Form von konzeptionellen Ausarbeitungen von Prof. Rainer Rothfuß verwiesen. Linke und Sozialdemokraten sollten einmal prüfen ob hier nicht doch ernsthaftere, konkretere und effektivere Bemühungen hinsichtlich humanitärer Hilfe und Verbesserungen von Entwicklungsstandards gemeint sind, als in eigenen verwässerten und von Idealvorstellungen negierten Moralkonzepten, die aufgrund von Nichterfüllung und fehlender Umsetzbarkeit die neoliberale Wirtschaftsordnung doch eher massiv unterstützt. Rainer Rothfuß (AfD): https://www.youtube.com/watch?v=MIGe8fD0rjY

 

 



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