von Gastautor Dr. Wolfgang Hintze
Ein offenes Wort ist heute selten geworden, ein selbstkritisches umso mehr.
Robert Birnbaum vom Tagesspiegel hat diese Regel durchbrochen. Er schreibt zur innerparteilichen Debatte der CDU zum Migrationspakt etwas Überparteiliches:
“Das Problem bleibt freilich, dass die AfD mit einer regelrechten Kampagne gegen den Pakt vorgeht und – weil die anderen allesamt geschlafen haben – darin mehrere Wochen Vorsprung hat.”
und er ergänzt
“Beinahe täglich steigen Staaten mit rechtspopulistisch geprägten Regierungen aus dem Pakt aus.”
In der Tat: ausgestiegen sind bisher die USA, Ungarn, Österreich, Australien, Tschechien, Bulgarien, Estland und Israel. Heute teilt die Schweiz mit, dass sie jetzt nicht unterschreiben wird. Das sind 9 Länder. 7 aus Europa davon immerhin 5 aus der EU.
Und der Ehrentitel “rechtspopulistisch” wurde ihnen auch gleich verliehen.
Die Schlafmützen und ihr Wecker
Im ersten Satz macht Birnbaum zunächst der AfD zwei Komplimente, erstens, dass sie in der Lage ist, “eine regelrechte Kampagne” auf die Beine zu stellen. In UNO-Diktion hätte er sogar sagen können, “eine sichere, geordnete und reguläre” Kampagne.
Und zweitens, dass sie damit, “mehrere Wochen Vorsprung” erlangt habe.
Dieser Erfolg, so Birnbaums bemerkenswerte Einsicht, habe jedoch auch damit zu tun, dass “die anderen allesamt geschlafen haben”.
Wen kann der Autor mit “die anderen” meinen? Zunächst natürlich die anderen Parteien; also die, die sich gerne selbst “demokratisch” nennen. Er sagt also faktisch, alle Parteien im Bundestag außer der AfD hätten das Thema “Globaler Migrationspakt” verschlafen.
Ein starker Vorwurf! Von sechs Parteien im Parlament ist nur eine wach, und noch dazu die “Rechtspopulisten”?!? Wie kann das sein? Ist jetzt “Schlafen” oder “Verschlafen” zur neuen “sicheren, geordneten und regulären” Aufgabe der Altparteien avanciert?
Wäre nur noch zu klären, ob der “Wecker” positiv oder eher negativ zu bewerten ist. Eigentlich auch eine klare Sache, denn wer lässt sich schon gern aus dem süßen Schlaf wecken?
Schweigekartell aus Politik und vierter Gewalt
Aber Birnbaum kann mit den Schlafmützen nicht nur die politischen Parteien gemeint haben. Ist es nicht vor allem die so genannte “Vierte Gewalt”, der er selber angehört, die geschlafen hat? Aber, so muss man fragen, hat sie überhaupt geschlafen? Hat sie nicht vielmehr aktiv mit den anderen Medien und dem Kanzleramt ein Schweigekartell aufgebaut und der Öffentlichkeit Schlaftabletten zu diesem Thema verordnet?
Neben ARD und ZDF, die am 25.10.2018 auf einem Forum in Dresden der staunenden Öffentlichkeit mitteilten (Zitat von Dr. Kai Gniffke, Chef der ARD) “Ja, der 11.12. ist das Datum, und da bin ich sehr sicher, dass wir darüber berichten werden”, war der Tagesspiegel selber monatelang ein exzellentes Beispiel für diese Schweigestrategie.
Während die “Freien Medien” (das sind die bösen “rechtslastigen” Internet-Blogs) das Thema bereits ausführlich diskutiert hatten, die abonnierte Hauptstadtzeitung aber immer noch keinen Mucks von sich gab, platzte mir der Kragen, und ich schrieb einen Leserbrief, den ich aus Effektivitätsgründen als offenen Leserbrief mit der Überschrift “Globaler Migrationspakt still und leise?” abfasste.
Er erschien erwartungsgemäß nicht, und meine Nachfrage an die Redaktion wurde schon 15 Kalendertage später wie folgt beantwortet: “… dieses Ereignis in Marrakech wird natürlich im Tagesspiegel mit Hintergrundberichten, Beiträgen und Kommentaren begleitet, etwa hier. Wir werden das Thema in den kommenden Wochen bis zur geplanten Unterzeichnung in Marrakech weiter im Auge behalten.”
Darüber hinaus also nicht. Wir müssten demnach auf die mediale Begleitung der Umsetzung verzichten. Schade!
Ist vorsichtiger Optimismus angebracht?
Tatsächlich hat der Tagesspiegel aber seitdem mindestens zwei brisante Artikel zum Migrationspakt veröffentlicht, beide vom Rechtsexperten Jost Müller-Neuhof.
Wir lesen am 3.11.2018 unter der Überschrift “Die Autoren des Migrationspakts haben einen Fehler gemacht”
Der Streit um das UN-Dokument entzündet sich an einem einzigen Satz über Migration. Hätte man besser informiert, wäre das nicht so gekommen.
Und der Autor erläutert:
Der UN-Migrationspakt, den in Deutschland außer Flüchtlingshelfern und Außenexperten bislang wenige zur Kenntnis genommen haben, ist ein politisch-zivilisatorischer Fortschritt. Leider enthält seine Präambel einen verhängnisvollen Satz: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt.“
Wer diese Einsicht einer in Europa gewachsenen Zahl von Menschen vermitteln möchte, für die dieser Teil der Menschheitsgeschichte nicht eine Quelle, sondern eine Bedrohung des Wohlstands darstellt, hat eine große Aufgabe vor sich. Anders gesagt: Allein dieser eine Satz genügt, um sämtliche wichtigen und richtigen Anliegen des 34-Seiten-Dokuments, das im Dezember in Marokko bei einer Regierungskonferenz unterzeichnet werden soll, vollständig zu diskreditieren.
“vollständig zu diskreditieren” das ist eine geradezu vernichtende Bewertung!
Am 12.11.2018 folgt schließlich unter der Überschrift “Auswärtiges Amt sperrt sich; Regierung verschweigt Zugeständnisse beim Migrationspakt” eine ziemliche Skandalgeschichte.
Und die geht so (bitte langsam lesen):
Die Bundesregierung will die von ihr eingegangenen Kompromisse beim umstrittenen UN-Migrationspakt nicht offenlegen. Auch zu ihren ursprünglichen Verhandlungspositionen verweigert sie Auskünfte. Auf eine Anfrage des Tagesspiegels zum Zustandekommen der im finalen Entwurf des Abkommens enthaltenen Aussagen teilte das Auswärtige Amt (AA) lediglich mit: „Zahlreiche Elemente, die im deutschen Interesse sind, konnten dabei umgesetzt werden, dafür gab es an anderer Stelle Zugeständnisse.“
Welche Elemente dies waren und welche Zugeständnisse es gab, soll jedoch nicht öffentlich werden. Ein Sprecher erklärte, nähere Informationen dazu würden gegenüber Medienvertretern ausschließlich vertraulich und nur „im Hintergrund“ erfolgen. Begründet wurde dies nicht. Eine öffentliche Berichterstattung ist nach diesen Maßgaben jedoch ausgeschlossen. Das AA greift bei Antworten auf Presse-Anfragen regelmäßig auf diese Praxis zurück und macht behördlich so bezeichnete „Verwendungsvorgaben“ für Informationen.
Wie war das, “Informationen nur im Hintergrund” und “Verwendungsvorgaben für Informationen” durch die Regierung an die Presse? Ich dachte, Albert Norden, einst im DDR-Politbüro für die “Koordinierung” der Presse zuständig, wäre bereits verstorben. Seine Auffassung von Pressefreiheit allerdings feiert in Merkel-Deutschland fröhliche Urständ.
Der Präsident des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, kritisierte die Informationsvorgabe in solchen vertraulichen „Hintergrundgesprächen“ und mahnte gesetzliche Regelungen an: „Die Kolleginnen und Kollegen werden hier sozusagen zum Teil des politischen Geschäfts“, sagte er dem Branchenmagazin „Journalist“. Da stelle sich schon die Frage, wie man mit so etwas umgehen solle.
Grundsätzlich ist die Frage nicht neu. Frank Überall hatte sich auch früher schon kritisch zu geheimen Pressetreffs und Merkels “Hintergrundgesprächen” geäußert, und Jost Müller-Neuhof war gerichtlich gegen das Kanzleramt vorgegangen.
Fazit
Kommen wir zum Schluss noch einmal zur Feststellung von Birnbaum zurück, die eigentlich Verantwortlichen in Politik und Medien – und damit die erdrückende Mehrheit – hätten ein wichtiges Thema verschlafen. Da stellt sich die bange Frage: welches wichtige Thema werden sie als nächstes verschlafen?
Was hilft dagegen? Ganz einfach: die gute alte Gewohnheit, den Wecker immer aufgezogen zu halten.