Von Gastautor Frank Jordan
Bitte lesen Sie das Folgende. Sich selbst zuliebe. Auch wenn die Thematik Sie auf Anhieb nicht interessiert.
Zu Beginn ein Vergleich. Er hinkt. Trotzdem kann er im Rahmen eines so kurzen Textes dem Verständnis dienen. Stellen Sie sich vor, Sie besitzen ein normalerweise pilzreiches Stück Wald. Die Temperaturen sind mild, aber seit zwei Monaten ist kein Regen gefallen. Die Pilzernte droht auszubleiben. Sie beschließen, den Boden künstlich zu beregnen. Innerhalb von fünf Tagen schießen die Pilze nun hervor. Eine Pracht – aber Sie wissen auch, dass, sobald Sie den Kunstregen einstellen und die Natur machen lassen, diese Pracht in 48 Stunden dahin und vertrocknet sein würde. Sie machen weiter. Und weiter. Immer weiter. Für kurze Zeit herrschen pilztechnisch paradiesische Zustände, aber ganz langsam verändert sich die Sache. Die Pilze werden wässrig und matschig, Nicht nur sie, sondern auch der Rest der Pflanzen, das Erdreich selbst beginnt zu faulen und verarmt, da das Wasser sämtliche Nährstoffe hinausgespült hat. Am Ende stehen Sie vor einem zerstörten Stück Boden, das möglicherweise Jahre braucht, bevor es gesundet sein wird.
János Kornai war der erste Ökonom im Osten, der die “Pilz-Theorie”, die These des “Soft Budget Constraint” (weicher Budgetzwang) auf die sozialistische Planwirtschaft anwandte. Er demaskierte sie damit als Einweg-Ticket in den verschleierten, verschleppten aber zwingenden Bankrott und wurde dafür mit dem Titel “Verräter des Sozialismus” geadelt. Heute warnt die die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) als prominenteste Exponentin (viele andere taten und tun es längst) vor genau demselben. Gemäß ihrem Quartalsbericht sind wir seit den 80er Jahren auf ebendiesem zerstörerischen Pfad. Das Schweigen, das dazu aus den Funktionärsgehegen der EU dringt, ist ohrenbetäubend. Aber auch das leuchtet ein: Jedes noch so kleine zustimmende Kopfnicken wäre das Eingeständnis, dass wir uns auf direktem Weg in einen neue Planwirtschaft befinden.
Es geht um den “Aufstieg der Zombie-Firmen” dem die BIZ in ihrem Quartalsbericht von Ende September ein eigenes Kapitel widmet. Zombies in diesem Sinn sind hoch verschuldete und über einen längeren Zeitraum unrentable Firmen, die ihre Kreditzinsen nur dadurch stemmen und überleben können, dass entweder Kredite verlängert, neue Kredite aufgenommen oder die Zinsen abgeschafft werden. In einem natürlichen nicht manipulierten Marktumfeld würden sie im Rahmen natürlicher Bereinigung via Insolvenz verschwinden (vertrocknen).
Zombie-Unternehmen entstehen dann, wenn Banken das Ausfallrisiko von Unternehmenskrediten nicht einpreisen und Kredite vergeben oder verlängern, von denen sie wissen, dass sie möglicherweise nie bedient werden oder aber dann, wenn Unternehmen sich übermäßig verschulden können, weil Kredite nichts mehr oder nur sehr wenig kosten (Null- und Niedrigzinsen). Was dann eintritt, ist eine Art “Verwöhnte-Kinder-Effekt”: Wenn ein Kind oder Jugendlicher weiß, dass, was auch immer er anstellt, seine Eltern ihn raushauen werden, dann wird er nie risikobewusst und verantwortlich handeln. Das Gegenteil ist der Fall: Jedes Gefühl für Verantwortung wird ihm so regelrecht abtrainiert. Bei den Firmen ist es dasselbe: Wenn ein Unternehmen (Mitarbeiter aller Bereiche und Stufen) weiß, dass, wie auch immer es wirtschaftet, es nicht bankrott gehen und stets an Geld kommen kann (was der künstlichen Bewässerung entspricht), dann wird der Ehrgeiz, profitabel zu sein, mit der Zeit regelrecht erstickt. Die Mentalität der Führungscrew, der Mitarbeiter, der Lieferanten fault ebenso, wie seine Finanzen und die Qualität seiner Produkte.
Genau das passiert in Europa, aber auch in anderen Industrienationen. Gemäß den Untersuchungen der OECD-Volkswirte Dan Andrews und Giuseppe Nicoletti betrug der Anteil des in solchen Zombie-Unternehmen gebundenen Kapitalstocks per 2013 in Griechenland 28 Prozent, in Italien 19, in Spanien 16 Prozent und in Deutschland 12 Prozent. Seither sind fünf weiter Jahre “Stabilisierung” ins Land gegangen und es ist anzunehmen, dass die Zahlen heute weit alarmierender sind. Das erklärt, warum man vonseiten der EZB stillhält, nichts an der Politik des billigen Geldes ändert und eine weitere Verwässerung des Euro, die Enteignung der Bürger, die Zerstörung der Produktivität und die konstante Benachteiligung rentabler solider Firmen und Staaten in Kauf nimmt. Eine Wiedereinführung von Zinsen, würde die Misere sofort aufdecken. Die Zinslasten für die Unternehmen würden steigen, es käme zu Entlassungen, Lohnkürzungen, Preisdruck auf Zulieferer und Pleiten – kurz: zum großen Krach.
Das ist politisch und im Rahmen des Friedensprojekts EU nicht erwünscht. Und es ist nur die halbe Wahrheit. Längst haben wir es nicht nur mit Zombie-Unternehmen, sondern auch mit Zombie-Banken und Zombie-Staaten zu tun. Staaten und Banken also, die ohne billiges Geld, das die Politik gewährt, nicht überleben könnten beziehungsweise in eine brutale Bereinigung hineinstolpern und möglicherweise eine neue Weltfinanzkrise katastrophalen Ausmaßes auslösen würden. Das Gerede von “Stabilisierung”, der “überwundenen Krise” und der “Verhinderung neuer Krisen” durch die Zentralbanken-Politik ist aber möglicherweise im Grunde bloß die Verschleierung eines viel größeren Coups: die lautlose Übernahme der Wirtschaft, der Finanzmärkte und der Staaten durch die Zentrale in Brüssel.
Das Zauberwort, das uns von Ökonomen gerne als Segen verkauft wird, ist die veränderte “Gläubigerstruktur”, die eine Krise wie jene ab 2007/2008 zu verhindern in der Lage sei. Jene, die den Staaten und mittlerweile auch den Unternehmen Geld leihen, seien – glücklicherweise, heißt es – nicht mehr wie vor der Krise in erster Linie die Banken, sondern Zentralbanken, also eigentlich Staaten. Und Staaten – so sagen sie – gehen nicht Pleite. Die Wahrheit ist: Sie gehen sehr wohl bankrott – aber eben nicht so schnell.
Im Fall Italiens befindet sich bereits ein Fünftel der ausstehenden Staatsschulden im Besitz der EZB. Der negative Target2-Saldo (für den ebenfalls Staaten haften) von fast einer halben Billion Euro ist darin noch nicht enthalten. Gleichzeitig haben die Banken zwar keine neuen Staatsanleihen gekauft, aber ihre Bestände auch nicht abgebaut und hängen in Bezug auf diese Portefeuilles stark von deren Rentabilität, also indirekt nebst der vorausgegangenen “Rettung” (Zombifizierung) auch hier von der EZB und ihrer Billig-Geldpolitik ab.
Das alles ist sehr oberflächlich und grob geschildert. Aber es reicht, um zu begreifen, dass hier möglicherweise seit langem etwas im Gang ist, das durchaus als lautlose Übernahme bezeichnet werden kann. Die Übernahme der europäischen Gesellschaften durch einen zentral gesteuerten Staat. Denn jedes Kind weiß: Wer die Schulden kontrolliert, kontrolliert das Eigentum und damit die Produktionsmittel und die Menschen. Innereuropäisch aber auch international sind das mehr und mehr die Staaten. Natürlich ist dieses Zukunfts-Szenario nur eines von mehreren möglichen. Die Tatsache jedoch, dass die großen Wirtschaftsverbände ebenso, wie die Politiker – jene also, die die Kontrolle über einen großen Teil der Produktionsmittel und ihre Verteilung innehaben – auf “Vollendung” und “Vertiefung” drängen und eine Mehrheit der Menschen die Botschaft von “Sicherheit durch Koordination” glaubt, lässt die Wahrscheinlichkeit, dass der Versuch in diese Richtung weitergehen wird, sehr groß werden.
Ob nun aber dieses Szenario Wirklichkeit wird oder ob ein anderer Weg mit mehr Markt eingeschlagen wird: Gemeinsam ist allen, dass – je nachdem, wie lange die aktuelle Entwicklung fortgeschrieben wird – der Boden oder zumindest Teile davon nach diesem großangelegten Experiment zerstört sein wird. Das betrifft die wirtschaftlichen Grundlagen unserer Gesellschaft ebenso, wie die moralischen. Wer das heute weiß, kann sich vorbereiten, indem er sich Werte erschafft, die weder von der Gesellschaft, noch vom Staat abhängen. Wissen und Fähigkeiten, die ihm erlauben, selbständig und im Kleinen etwas auf die Beine zu stellen – egal, ob als Unternehmer, Handwerker oder Selbstversorger. Mobile und nicht verwässerbare Werte, wie zum Beispiel Gold, die ein Überbrücken oder einen Neuanfang möglich machen, wenn das Papiergeld nur noch Papier sein wird. Und schließlich einen moralischen Kompass, der basierend auf gesundem Eigeninteresse Halt gibt, der für mehr reicht, als nur für sich selber.