Richtig oder falsch

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Von Gastautor Tibor Desczyk

Kann etwas falsch sein, wenn alles richtig ist?

– oder wie lange halten wir ‘das Richtige’ noch durch? –

 

Ernst und mit der Standhaftigkeit der richtigen Position blickt der Kapitän der Lifeline in die Kamera, während er den Rücktritt Horst Seehofers fordert, den er für das Ertrinken von Menschen verantwortlich macht.

Lassen wir diese willkürliche Verquickung unglücklicher Umstände mal für einen Moment beiseite und besinnen uns auf die von uns erlernten Grundwerte, so will selbstverständlich niemand von uns, dass Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken. Genauso wenig, wie wir das Asylrecht denen verweigern wollen, die es berechtigt für sich in Anspruch nehmen wollen. Nebenher verlangen wir die uneingeschränkte Daseinsvorsorge, Kitaplätze, Schulangebote sowie selbstredend günstigen Wohnraum für alle, die zu uns kommen, um deren zügige Integration auf jeder Ebene gewährleistet zu sehen. Und wenn wir schon dabei sind, sagen wir Homophobie sowie Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit weltweit dem Kampf an; zumindest solange nicht Handelsinteressen oder anders gelagerte Sonderrechte einzelner Staaten dies verhindern.

Wie großartig ist doch die Gewissheit, stets auf der richtigen Seite zu stehen. Solange man nicht darüber nachdenken muss, wie der eigene Anspruch realitätsnah umzusetzen ist. Was das nun mit dem Kapitän der Lifeline zu tun hat?

Auch er bleibt leider die Antwort schuldig, wo die von seinem und rund zwanzig weiteren Schiffen, die laufend vor der 12-Meilenzone vor Libyen patroullieren, täglich Geretteten am Ende bleiben sollen. Und gewiss war es auch nicht Herr Seehofer, der die Menschen ermutigte, auf Schlauchbooten und anderen seeuntüchtigen Gefährten die Überfahrt auf dem Mittelmeer zu wagen. Wenn es eine deutsche Mitverantwortung für diesen erschütternden Exodus gibt, dann fragen wir mal nach unserer Willkommenskultur. Deren wunderbare Bilder, die nicht einmal hochdotierte Werbeagenturen besser hätten inszenieren können, kreisen noch immer auf den Smartphones der Menschenschlepper, die ihren Opfern damit die Fahrt ins gelobte Land verkaufen.

Parallel ereifert man sich darüber, dass einem nachweislichen Gefährder und mutmaßlichen Bin-Laden-Getreuen infolge seiner Abschiebung nach Tunesien etwa Ungemach drohen könnte. Denn insbesondere, so erklärt uns Claudia Roth, solange dort Homo- und Transsexuelle diskriminiert würden, könne man nicht von einem sicheren Drittstaat ausgehen. Ach, wie verhielt es sich dazu noch gleich in den OPEC-Staaten; aber lassen wir das.

Denn noch während angestrengt überlegt wird, wem in dieser Welt unser erhobener Zeigefinger den rechten Weg weisen soll, schafft es unsere rechtsstaatliche Doppelmoral, den Vollversorgungsaufwand (24Std-Überwachung, Rechtsbeihilfe, Wohnung, HartzIV, etc.) nur eines Gefährders auf rund 30TEUR/mtl. zu schrauben. Zum Vergleich, erhalten die Opfer des Anschlages vom Breitscheidtplatz eine Zuwendung von 167€/mtl.; das nennen wir dann Gerechtigkeit. Doch jetzt gibt es ja die ‘Zentrale Anlaufstelle für Terroropfer’; Kostenpunkt dieser Behörde locker mal fünf Millionen jährlich, damit künftige Opfer wenigstens nicht zwei Jahre auf die großzügige Zuwendung warten müssen. Wahrscheinlich ein Zyniker, der da die Frage stellt, ob mit Einrichtung dieser Stelle, weitere Terroranschläge zum alltäglichen Regelfall deklariert werden.

Inzwischen halbwegs belastbar wurde ermittelt, dass die nicht in Arbeit vermittelbare Migration in den kommenden Jahren mindestens 20 Milliarden allein an jährlichem Versorgungsaufwand kosten wird. Ist die Frage gestattet, ob man mit diesem Geld in den betreffenden Ländern nicht wesentlich mehr erreichen könnte? Wäre es wiederum zynisch, nachzufragen, warum man in klarer Gewissheit der Lage, immer weitere Menschen über das Mittelmeer verschifft?

Übrigens sind es nicht allein die bedauernswerten Opfer auf dem Mittelmeer. Täglich sterben eine Vielzahl mehr Menschen an den Folgen von Hunger, ethnischen/religiösen Konflikten, kriegerischen Auseinandersetzungen, Schusswaffenmissbrauch, bis hin zu harten Drogen. Was machen wir denn mit denen, wo sind dort die glorreichen Retter? Oder sterben diese Menschen nicht hinreichend medienwirksam?

Eine wiederum zynisch klingende Frage, die aber an einem Beispiel vor unserer Tür klarer wird. Szenario: Beim Brand in einem Miethaus sterben zwei Menschen; Bilder von rauchenden Trümmern oder gar Handyfilme mit lodernenden Flammen laufen über einschlägige Nachrichtendienste auf unsere Bildschirme; erschütternd. Etwa 300 Menschen werden in Deutschland vermutlich in diesem Jahr durch Wohnungsbrände sterben, während die Opferzahlen aufgrund Adipositas in diesem Jahr wahrscheinlich erstmals die Marke von 100.000 erreichen. Doch wie lässt sich Adipositas denn passend inszenieren? Eben, das will auch keiner sehen, obschon hier die Gewissheit besteht, dass nicht die Zahl der Wohnungsbrände, sondern Adipositas den absehbaren Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems herbeiführen wird.

Jedoch haben die Aufwendungen für den Brandschutz die Herstellungskosten im Wohnungsneubau in den letzten vier Jahren um rund 8% sowie am Schluss mietenwirksam ansteigen lassen. Na und, wenn damit Menschenleben gerettet werden können, wird jeder Brandschutzverantwortliche entschlossen in die Kamera sprechen. Ist das falsch? Natürlich nicht, denn unser ethisch-moralischer Anspruch verbietet es uns eigentlich, ein Menschenleben in irgendeiner finanziellen Größe abzubilden. Uneigentlich gilt für Terroropfer, mit dem Regelsatz von 167€/mtl.; dank Kurt Speck haben wir dies nun verwaltungstechnisch geregelt – bravo.

Zurück zum Brandschutz und der unmoralischen Rechnung. Bei einer durchschnittlichen Neubauleistung von jährlich 250.000 Wohnungen in ganz Deutschland (Vergleich 2017 waren es sogar 284.000), belaufen sich nur die Mehraufwendungen für die Einhaltung verschärfter Brandschutzbestimmungen auf etwa 2,1 Milliarden Euro. Sollte es damit äquivalent zum Anteil am Wohnungsbestand gelingen, die Zahl der Brandopfer zu verringern, so sind es rein rechnerisch zumindest etwa 15 Opfer weniger, mithin 140 Millionen Euro je hierdurch gerettetem Menschenleben. Dies mal als Benchmark genommen, könnte man Adipositaspatienten lebenslang wenigstens einen Personalcoach zur Seite stellen. Macht man aber nicht, weil natürlich nicht bezahlbar. Doch die Frage resultierender Wertmaßstäbe wird hier umso deutlicher.

Wertmaßstäbe, die sich so eindeutig am Aufmerksamkeitsgrad der jeweiligen Opfer abbilden lassen. Oder fragen Sie doch mal ihre Krankenkasse, wieviel diese zur Adipositasprävention je Versichertem ausgibt. Sie werden sicher weniger erstaunt sein, dass es keine 140 Millionen Euro sind, als sich vorzustellen, dass nur während Sie diesen Text lesen, etwa 2.000 Menschen in dieser Welt verhungert sind. Welchen Wert haben diese Opfer? Keinen, denn sie haben leider nicht die 12-Meilenzone vor der Küste Libyens sowie erst recht nicht die Lifeline und ihren Kapitän erreicht.

Wer und was also lässt sich besser inszenieren? Der heldenhafte Kapitän der Lifeline und ‘seine’ Geretteten oder der einfache Hausarzt, der täglich seine Patienten von den Vorteilen gesunder Ernährung und Bewegung zu überzeugen sucht; die in den Steppen langsam Sterbenden oder die Opfer eines Wohnungsbrandes? Am Schluss entscheidet wohl die Einschaltquote bzw. der Traffic darüber, welche Opfer auf unsere Solidarität hoffen können; das ist dann moralisch einwandfrei. An allem anderen, ist einfach mal Herr Seehofer Schuld, so leicht ist da die Welt erklärt.

Die Welt, die am Ende dieser Dekade mit etwa 8 Milliarden Menschen ihre Bevölkerung in nur 45 Jahren verdoppelt hat, deren Jahresressourcen wir inzwischen schon innerhalb von vier Monaten verbrauchen, deren Luft und Wasser wir weiterhin ungebremst verschmutzen, in der schon jetzt die kommenden Kriege um das Trinkwasser strategisch vorbereitet werden, die Fluchtbewegungen noch ungeahnten Ausmaßes entstehen lassen, in der die Menschenrechtscharta nur für die gilt, denen mediale Aufmerksamkeit vergönnt ist und in der die Gewissheit besteht, dass das kleine Deutschland allein diese nicht wird retten können.

Umso wesentlicher scheint es mir jedenfalls, dass wir uns dringend darum bemühen, unsere Gesellschaft auf die kommenden Herausforderungen vorzubereiten, anstatt die dafür nötigen Kräfte weiterhin an Doppelmoral und Heuchelei zu verschwenden. Bei allem Respekt für den Einsatz des Lifeline-Kapitäns, sollten Leute wie er nicht dazu instrumentalisiert werden, moralische sowie politische Maßstäbe mitzubestimmen.



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