Eine Metropole in der Wüste

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Selten habe ich so gut geschlafen, wie hier in der Wüste. Nach dem Aufstehen musste ich mir ein paar Sachen besorgen, denn schon am Nachmittag hatte ich meinen Auftritt in der Ben Gurion-Universität. Meine Gastgeberin fuhr mich zum Einkaufszentrum des Ortes, vorbei an drei Schulen. In Metar leben mehr (jüdische) Kinder und Jugendliche, als Erwachsene. Als wir unser Ziel auf einer Anhöhe erreichten, von wo sich ein weiter Blick auf die Westbank öffnete, sah ich als erstes, dass der Grenzzaun durch eine Mauer ersetzt worden war. Auf der Straße zum Grenzkontrollpunkt herrschte lebhafter Verkehr. Jeden Morgen kommen die Palästinenser, um in Israel zu arbeiten. Sie fahren mit ihren Autos bis zur Grenze, die sie zu Fuß überqueren müssen. Auf der anderen Seite steht eine meist von Beduinen betriebene Fahrzeugflotte, mit der die Grenzgänger zu ihren Arbeitsstellen gefahren werden. Wer in Metar einen Job hat, ist auf Fahrzeuge nicht angewiesen. So wurde der Grenzzaun immer löchriger, weil jeder bestrebt war, den kürzesten Weg zu wählen. Das ist nun vorbei. Metar wächst schnell. Nun gibt es ein Baugebiet, das sich in Richtung Grenze hinzieht. Die Häuser müssen aber eine Schussweite von der Mauer entfernt bleiben. An einem der nächsten Tage werde ich das Grenzgebiet näher erkunden.

Heute muss ich nach Beer Sheva, neben Hebron die älteste Stadt Israels. Der Ortsname geht zurück auf Abraham. Der biblische Stammvater soll hier einen Brunnen gegraben und mit dem Philisterkönig Abimelech einen Bund zur Nutzung geschlossen haben. Beer Sheva heißt sowohl Sieben- als auch Eidbrunnen. Was lange ein verschlafenes Provinznest war, ist heute eine schnell wachsende Metropole, Israels sechstgrößte Stadt. Vielleicht ihre jüngste, denn das Stadtbild wird in erheblichem Maße von den Studenten geprägt, die an der immer noch größer werdenden Ben Gurion-Universität studieren. Die Forschungsinstitute der Universität zählen zu den renommiertesten der Welt. Deshalb haben sich rund um das Unigelände High Tech-Unternehmen wie Satelliten angesiedelt. Mein Begleiter Chaim Noll, der vor über zwanzig Jahren hierher kam, weist mich immer wieder darauf hin, dass er damals überall noch Sand gesehen hat, wo heute hochmoderne Gebäude stehen. Eine wunderschöne, kühne weiße Brücke verbindet den High-Tech- Compound mit der Universität.

Das moderne Beer Sheva ist architektonisches Kleinod und Experimentierfeld zugleich. Ich glaube sofort, dass man nirgendwo in Israel so viele ungewöhnliche Gebäudekonzepte auf einmal bestaunen kann. Sie haben eins gemeinsam: Innenhöfe und Häuserschluchten sind so konstruiert, dass sie vor den häufigen Sandstürmen schützen und Schatten spenden.

Der Unicampus ist ein Traum: Es gibt Wiesen, Kolonnaden aus weißem Sandstein, sogar einen künstlichen Bach, schattenspendende Bäume und Blumen. Man sieht unter den Studenten auch Beduinenmädchen, die zum Teil direkt aus dem Zelt ihrer Familie kommen und oft gegen den Widerstand ihrer Familie hier studieren. Auch in meiner Veranstaltung sollte eine von ihnen sitzen. Ich hätte sie gern gefragt, was sie am Thema „Wachsender Antisemitismus in Deutschland und Europa interessiert, aber sie war am Ende zu schnell verschwunden.

Mir wurde gesagt, dass vergleichsweise viele Studenten zu meinem Vortrag gekommen seien. Immerhin waren fast alle Plätze besetzt. Die Diskussion war jedenfalls sehr lebhaft. Zu meiner Überraschung wurde ich gefragt, ob ich mit Deutschland nicht zu hart ins Gericht gehe. Ich hatte am Ende von der verdienstvollen Recherche Anabel Schunkes über Antisemitismus in der Rapperszene und das Einsickern antisemitischer Zerrbilder in Sendungen wie „Tatort“ berichtet. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie positiv das Deutschlandbild in Israel immer noch ist. Ein Kapital, das von unserer unfähigen Politik verzockt wurde.

Noch profitieren wir von diesem positiven Bild. Israel bildet viel mehr High Tech-Studenten aus, als es beschäftigen kann, trotz der vielen Firmengründungen. Viele Studenten gehen noch nach Deutschland, besonders nach Berlin, wo sie mit der Gründung von Unternehmen einen Wirtschaftsaufschwung bewirkt haben, über dessen Ursachen sich die meisten Berliner im Unklaren sind. Was wird, wenn diese jungen Unternehmer beginnen, sich unsicher zu fühlen, weil der importierte Antisemitismus im Alltag wachsend spürbar wird? Mark Gelber, der mich in die Uni eingeladen hat und ein großer Deutschlandfreund war, würde nun nicht mehr auf Berlins Straßen seine Kippa tragen.

Beim abendlichen Gespräch mit Chaim und seiner Frau Sabine, stellen wir fest, dass Deutschland auch in Sachen Israel ein tief gespaltenes Land ist. Es gibt die unverbesserlichen Israelfeinde und die enthusiastischen Israelfreunde. Dazwischen ist ein weites, leeres Feld.

Einer der Israelfreunde war der deutsche Unternehmer Heinz  Horst Deichmann, der die Ben Gurion-Universität großzügig unterstützt und ganze Forschungseinrichtungen finanziert hat. Seine Tochter Ute hat sich entschieden, ganz nach Israel zu ziehen, hat hier spät geheiratet und unterrichtet heute als Professorin an der Uni.

Unter meinen Zuhörern waren auch junge Deutsche, die sich entscheiden haben, sich in Israel niederzulassen. Der Hauptgrund ist wohl, dass Israel ein entspanntes, erwachsenes Land ist, während Deutschland zunehmend in den Infantilismus abgleitet.



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