Babbel-Deutsch reicht für die Schule von morgen

Veröffentlicht am

von Gastautor Josef Hueber

Frage: Was ist typisch für Lehrer?
Antwort: Sie haben vormittags recht, und nachmittags frei.

Der Politik mangelt es nicht an Einfällen, Wege aus den Sackgassen, in die sie uns geführt hat, anzubieten. So provoziert die „Mutter aller Probleme“ (Seehofer), d.h. die außer Kontrolle geratene Zuwanderung in Deutschland, wieder einmal einen Lösungsvorschlag, der sich um seine Auswirkungen wenig kümmert. Der aktuelle Einfall ist eine amtlich verordnete Sturzgeburt: die Rekrutierung von Zugewanderten als pädagogische Quereinsteiger in den Schulen.

LEHRER WERDEN IST NICHT SCHWER …
Eine aktuelle Schnapsidee, die offensichtlich von bildungspolitisch unbeleckten Politikern lanciert wurde, erstaunt heftig. Dazu eine Zahl vorneweg: 5800 Lehrerstellen sind in NRW nicht besetzt.

Die Zeitungsmeldung:
NRW will Lehrermangel mit Flüchtlingen bekämpfen
Um dem Lehrermangel entgegen zu wirken, sollen in Nordrhein-Westfalen geflüchtete Menschen für den Unterricht qualifiziert und eingesetzt werden. Etwa 400 Lehrer aus Drittstaaten haben sich bereits beworben.“

Das klingt irgendwie easy: An den Universitäten Bielefeld und Bochum, so der Artikel, gibt es bereits ein Programm namens „Lehrkräfte Plus“, das für „Geflüchtete“ angeboten wird.

LEHRER AUS DEM SCHNELLEN BRÜTER
Wie sieht dieses „Plus“ aus? Ein Qualifizierungsprogramm für die Bewerber, Dauer 1 (!) Jahr, enthält einen Intensivkurs Deutsch und „vor allem pädagogisch-interkulturelle Schulungen“. Gelernt wird dabei durch „Hospitationen und ein integriertes Mentoringprogramm“. Dazu gibt es die „Anerkennung von Lehramtsabschlüssen“ [des Herkunftslandes, Anm.Verf.]. Ein Einsatzgebiet [für die frisch gebackenen Experten in Sachen Unterricht, Anm.Verf.] ist etwa der „Vertretungsunterricht“. Damit, so lesen wir, wurde reagiert auf Kritik der SPD-Opposition, die bemängelte, dass die „kostbare Ressource“, welche die geflüchteten Lehrkräfte darstellen, „nicht genutzt“ werde. Das könne man nicht länger akzeptieren. Sagt die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion.

Was bisher galt: Um Kinder in Deutschland beschulen zu dürfen, musste das „lehrende Personal“ einwandfreies Deutsch sprechen. Das wird nun anscheinend Vergangenheit. Das 1-Jahresdeutsch, vermutlich vergleichbar mit dem Niveau, das man bei der Internet-Plattform Babbel.com im gleichen Zeitraum lernen kann, soll dann in Zukunft die Kommunikationskompetenz garantieren, um den pädagogischen Ansprüchen im Schulalltag gerecht zu werden. Ein Argument gegen die Skeptiker: Das genügt, weil der Lehrer von morgen nicht mehr der frontale Einpeitscher ist, der er bisher war.

DER LEHRER VON MORGEN IST KONFLIKTMANAGER
Der Lehrer von morgen, das ist nur noch der Lernbegleiter, der Kommunikationsmanager, der Trouble-Shooter, wenn lernmäßig gar nichts mehr geht oder wenn Disziplinprobleme in Schlägereien ausarten. Dann kann er nämlich den aufsässigen Schüler, den Trouble-Maker, in einen Raum begleiten, wo ein Psychologe sich der Ursachen und Therapiemöglichkeiten für das abweichende, sprich „erlebnisorientierte“, Verhalten annimmt. Immer individuell, versteht sich. Ein hinzugezogener Psychotherapeut mag im Einzelfall angesagt sein.

UNTERRICHTEN GEHT AB MORGEN ANDERS
Der Lehrer von morgen vermittelt, wie sich das heute in modernen Unterrichtstheorien allenthalben und in der Praxis immer häufiger schon abzeichnet, den Stoff nicht mehr selbst. Die traditionell jahrelange wissenschaftliche und pädagogische Ausbildung und Erfahrung in Sachen Unterrichten, unabdingbare Voraussetzungen für die „altersgemäße“ – vorrangig sprachliche – Vermittlung von Wissen und Erkenntnis, Problemdenken und effizienten Arbeitstechniken, sind passé wie die Schallplatte als Tonträger. Das Digitale hat hier wie dort die Herrschaft angetreten.
Auf Schülerseite: Der Gebrauch der artikulierenden Zunge und der schreibenden Hand weicht dem Gebrauch des Wisch- und Tippfingers auf dem Tablet. Auf Lehrerseite: Das Pop-up Fenster verdrängt das schrittweise Erstellen eines Tafelbildes, das einen zeitflexiblen (und damit an unterschiedlichen Lerntypen orientierten) Verstehensprozess erst ermöglicht. Stattdessen wird die PowerPoint-Präsentation als Königsweg des „kompetenzorientierten“ Lernens nur noch von Steinzeit-Pädagogen hinterfragt.

MACH DICH SELBER SCHLAU !
Der modern gecoachte Schüler erarbeitet das zu Lernende selbst anhand von Arbeitsvorgaben und Material, das ihm der Lehrer zur Verfügung stellt. Dies kann auch schon mal lediglich eine URL oder ein Link sein, anhand dessen er sich selbstständig im Internet Informationen beschafft, sie aufgrund seiner dabei erworbenen Kompetenz eigenverantwortlich auf Relevanz hin überprüft und nur im Zweifelsfall die „lehrende Kraft“ zu Rate zieht. (siehe: Beitrag des Forum Bildung Digitalisierung)

BARRIEREFREIES DEUTSCH GENÜGT
Diese veränderten Rahmenbedingungen erfordern generell keinen essentiell differenzierten Spracheinsatz und legen kein ausdrückliches Augenmerk auf Sprachpflege. Es genügt, auch mit Blick auf die von der Politik erwünschten pädagogischen Seiteneinsteiger mit fremdsprachlichem Hintergrund, barrierefreies Babbel-Deutsch. Die Einwände von Skeptikern gegen diese „Innovationen“ werden kein großes Gewicht haben. Das Aufkommen der Subsprache Leichtes Deutsch ermöglicht es allen am Lernprozess Beteiligten, ob Muttersprachler oder nicht, mit einfachen Worten jedes Problem irgendwie darzustellen, sollte es im Einzelfall nicht sowieso ohne Verbalisierung zu bewältigen sein.
Was hilft es da zu klagen, dass die allmähliche Rücknahme eines gehobenen Anspruchs an Sprache durch Deutsch Light zu Denken Light führen wird, zum Verlust differenzierter Wirklichkeitserfassung und -bewältigung?

POTEMKINSCHE STATISTIKEN ALS BERUHIGUNGSPILLE
Denkt man vom Ende her, was der von der Politik begonnene Umbau des Systems Schule, personell und didaktisch, für Deutschland, das vor allem auf intellektuelle Ressourcen angewiesen ist, bedeutet?

Dann sind wir endlich angekommen in der Welt der pädagogischen Tragikomödie: Die Quote der „Durchfaller“ wird drastisch sinken, die Quote der Abiturienten – besonders derer mit Durchschnittsnote 1,0 – wird deutlich steigen. Der Wert von schulischen Bildungsabschlüssen befindet sich aber fortan im freien Fall.



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