Unglücklich das Land, das keine Helden hat

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Von Gastautorin Angelika Barbe

Bertolt Brecht lässt in seinem Stück „Leben des Galilei“ Galileis Schüler Andrea ausrufen „Unglücklich das Land, das keine Helden hat“, nachdem Galilei seine Lehre widerrief. Sind wir in Deutschland schon wieder so weit, dass wir uns nach Helden sehnen, die uns den mühsamen Widerstand gegen staatliche Willkür und die „Herrschaft des Unrechts“ (Seehofer) abnehmen?
Der Spiegel scheint das Ziel zu verfolgen, Ostdeutsche und vor allem Kritiker der Merkel’schen „Wir-schaffen-das-Politik“ kollektiv zu beleidigen. Durch ein Interview im September 2017 mit dem Liedermacher Wolf Biermann http://www.spiegel.de/spiegel/wolf-biermann-ueber-hass-und-wut-in-ostdeutschland-a-1169747.html, der den AfD-Wählern Feigheit vorwarf, gelang es jedenfalls nicht. Da sich viele noch an die SED-Diffamierungen als „feindlich-negative Konterrevolutionäre“ erinnern, erschreckt es sie nun auch nicht, als Rassisten, Populisten und Nazis bezeichnet zu werden. Obwohl das die schlimmsten Verunglimpfungen sind, die man einem Deutschen verpassen kann, prallen sie am gesunden Menschenverstand der dunkeldeutschen Finsterlinge im Osten ab. Der ostdeutsche Psychiater und Publizist Hans-Joachim Maaz sagt dazu: „Ich finde den Protest gut, weil sich die Menschen etwas trauen.“


Nun hat der Spiegel nachgelegt. „Was für Helden“ lautet die Überschrift einer Recherche im angeblichen Dunkeldeutschland, zu der auch ich befragt wurde. Nachdem ich das Ergebnis der Recherche gelesen habe, muss ich feststellen:
Um zu verhindern, dass sich mehr Kritiker zu Wort melden, müssen offenbar einige DDR-Bürgerrechtler nach dem Motto diskreditiert werden: „Bestrafe einen, erziehe hunderte.“ Gleichzeitig trifft man diejenigen, die erstmals in der deutschen Geschichte mit großer Zivilcourage eine Friedliche Revolution zum Erfolg führten und damit die kommunistische SED-Diktatur stürzten. Ich habe den Eindruck, dass uns viele achtundsechziger das noch immer übelnehmen.
„Die von den selbsternannten Eliten für dumm gehalten Bürger“ (Medienwissenschaftler Norbert Bolz) könnten sich ja bestärkt fühlen, wenn DDR-Bürgerrechtler heute an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, an der Selbstbereicherung der Eliten, am Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Justizminister Heiko Maas und an der enormen Zunahme durch Migranten verübter Verbrechen Kritik anmelden. Hans-Joachim Maaz bekräftigt diese Wahrnehmung: „Heute darf man fast alles sagen. Außer dass man die AfD wählt.“ Der Schriftsteller Siegmar Faust, auch er ein Protagonist der Spiegel-Geschichte, ergänzt: „Da muss sich doch jeder Demokrat fragen, was diese „Demokratur“ noch wert ist, wenn einer neuen, äußerst erfolgreichen Partei, die zugelassen wurde, weil sie alle Regeln erfüllt, solch ein Schicksal beschieden ist.“
In den Redaktionsstuben zahlreicher Medien, in den Machtzentralen der Parteien herrscht offenbar die pure Angst vor veröffentlichter Bürger-Meinung, die nicht dem Mainstream entspricht. Deshalb unterlassen sie es wohlweislich, Artikel der kritischen Bürgerrechtsszene zu drucken, wobei sich deren Leser dann selbst ein Bild machen könnten. Im Gegenteil: Hier wird die von den Kommunisten bereits erfolgreich angewandte 3-V-Strategie benutzt.
Erstes V: Es wird verschwiegen, was die Bevölkerung nicht wissen soll.
Zweites V: Was sich nicht mehr verschweigen lässt, wird verharmlost.
Drittes V: Zuletzt werden die Kritiker verleumdet.
Dabei sind auch solche Meinungen schützenswert, „die verletzen, schockieren oder beunruhigen“, so hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer grundlegenden Entscheidung bestätigt.
Wir DDR-Bürgerrechtler waren keine Opfer, auch keine „narzisstisch veranlagten Pathologen“ (bei dieser Aussage stützt sich der Spiegel auf Maaz) sondern Akteure, die sich von der SED nicht bevormunden lassen wollten. Mit Zivilcourage, Witz, Ideenreichtum planten wir Friedensmärsche, flächendeckende Wahlbeobachtungen (mit denen wir den Wahlbetrug des letzten DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow nachwiesen), Gedenkaktionen (Dauertrommeln gegen die Niederschlagung der chinesischen Studentenproteste) und versetzten so Stasi-Chef Erich Mielke in Panik. Er befürchtete ständig, der nächste Aufstand wie am 17. Juni 1953 stünde vor der Tür.
Dissidenten agierten oft allein, um andere Mitstreiter nicht zu gefährden. Niemals hätte ich den „Johannisthaler Frauenkreis“, meine Protestgruppe, in illegale Situationen gebracht. Das führte zur Eintragung in meine Stasiakte, dass ich mich „am Rande der Legalität bewege“. Angeblich psychisch gestörten Personen, wie es der Spiegel uns Bürgerrechtlern unterstellt, wäre es unter Diktaturbedingungen nicht gelungen, neue Parteien zu gründen und aufzubauen. Denn bis zur Auflösung der Stasizentralen Anfang 1990 hatte die SED die Waffengewalt und das alleinige Gewaltmonopol. Wir brauchten dringend Verbündete. Die Bürger überwanden ihre Angst und meldeten sich in Scharen bei uns – den neuen Parteien, denen sie vertrauten.
„Es gibt keine Garantie, dass man in seinem Leben immer „auf der richtigen Seite“ steht“ sagt Marianne Birthler im Spiegel-Artikel. Was ist die „richtige“ Seite? Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen und es gibt nicht nur eine Richtige. Der Ideologe aber kennt keine Zweifel. Er ist immer auf der „richtigen Seite“. Wir DDR-Bürgerrechtler waren dagegen immer auf der Suche und uns nur darin einig, die SED zu stürzen. Wir verfolgten unterschiedliche Ziele, lehnten aber Gewalt ab – anders als die West-Achtundsechziger, die sogar die demokratische Willy-Brandt-Regierung mit Steinen bewarfen.
Doch wer Kritik am Merkel-System anmeldet, wie einige DDR-Bürgerrechtler eben jetzt auch, lebt laut Spiegel in einer „düsteren paranoiden Parallelwelt“. Dann befinden wir uns ja in bester Gesellschaft – auch mit dem britischen Philosophen David Miller. In seinem Buch „Fremde in unserer Mitte“ schreibt er, es gehe nicht nur um die Wahrung der Menschenrechte Einzelner, sondern darum, was ein Gemeinwesen verantworten kann. Miller besteht auf dem Recht der Staaten, Zuwanderung zu kontrollieren und Grenzen zu schließen. „Ich möchte die Idee verteidigen, dass wir spezielle Verpflichtungen gegenüber unseren eigenen Landsleuten haben.“ Offene Grenzen gefährden für Miller den Anspruch liberaler Gemeinwesen, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Sobald dieser Anspruch in Gefahr gerate, müsse die Politik restriktive Maßnahmen ergreifen. Es dürfe sich keine Zwei-Klassen-Gesellschaft entwickeln, die nicht allen die gleichen Rechte garantiert. Er beruft sich auf Studien aus den USA, wonach durch mehr Vielfalt das Vertrauen der Menschen in demokratische Institutionen sinke.
Übrigens antwortet Galilei in Brechts Stück auf Andreas Vorwurf: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Zuerst erschienen im „Cicero“



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