Von Gastautorin Ursula Prem
»Europa wird vier weitere Jahre Orbán ertragen müssen«, titelt ein Gastbeitrag von Anton Pelinka bei ZEIT online. Orbán bastele in Ungarn an seiner »Vision einer illiberalen Demokratie«, erfährt der Leser aus dem Teaser. Die »Demokratiequalität« in Ungarn sinke seit Jahren, zitiert der nachfolgende Text eine »Analyse des Projekts Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung«. Wer auf den von der ZEIT an dieser Stelle beigefügten Link klickt, landet auf einem fast gleichlautenden Artikel, der sich unter der Überschrift »Viktor Orbán: Geschwächt, aber siegessicher?« auf der Domain bertelsmann-stiftung.de findet. Zum Verfasser heißt es in der ZEIT, dass er als Professor für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der Central European University in Budapest tätig sei.
Recherchiert man die Geldgeber der Central European University Budapest, dann erfährt man, dass die CEU 1991 von Investor George Soros gegründet und mit insgesamt 420 Mio. Euro von ihm gefördert wurde. George Soros kann somit als der reguläre Brötchengeber des Artikelschreibers betrachtet werden. Die ungarische Regierung wirft George Soros vor, das Land mithilfe zahlreicher NGOs zu destabilisieren und bereitet ein umfangreiches Gesetzespaket gegen die illegitime Einflussnahme von Soros vor. Dass kein großes Medium, auch nicht die ZEIT, den gegen Soros erhobenen Vorwürfen jemals ernsthaft nachgegangen ist und stattdessen mit schöner Regelmäßigkeit Artikel wie den oben genannten publiziert, hat sicher einen Grund, denn: Wenn der Schreiber eines gegen Orbán gerichteten Artikels auf der Lohnliste von dessen größtem Gegner steht, so hätte dies transparent gemacht werden müssen. Neutrale Berichterstattung jedenfalls kann bei dieser Konstellation nicht erwartet werden.
Meinungsstark und oberflächlich
Wer sich in mehreren großen Onlineportalen über die Person Viktor Orbáns informiert, stellt unschwer fest, dass alle reichweitenstarken Artikel sich inhaltlich weitgehend ähneln. So schreibt der Journalist Keno Verseck am 29.01.2017 für SPIEGEL online: »Rechte Regierungen in Osteuropa haben einen neuen Staatsfeind: den Milliardär George Soros. Weil er Bürgerrechtsorganisationen unterstützt, wird er massiv antisemitisch angefeindet.« Es folgt ein äußerst kritischer Bericht über die »neue Offensive des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seiner Regierungspartei Fidesz gegen Nichtregierungsorganisationen (NGO) und insbesondere gegen solche, die von Soros‘ Open-Society-Stiftung finanziert werden.« Tatsächlich ist Keno Verseck auf SPIEGEL Online so etwas wie der Spezialist für alle Orbán-Fragen. Im typisch-alarmistischen Stil schreibt er am 24.01.2018:
»Der 87-jährige Milliardär, so behauptet es Orbán seit Monaten, hege den Plan, Europas christlichen Charakter und die ethnisch-kulturelle Identität seiner Nationen zu zerstören. Um das zu erreichen, fördere Soros eine „Invasion“ Europas durch Millionen illegaler Migranten, zumeist Muslime. Diesen angeblichen „Soros-Plan“ will Orbán nun mit dem „Stop-Soros“-Gesetzespaket durchkreuzen.
In Wirklichkeit geht es aber um noch mehr: Mit den Bestimmungen der drei Gesetzentwürfe des „Stop-Soros“-Paketes kann die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Vereinen und Bürgerinitiativen eingeschränkt werden – denn sie sind eine der letzten noch funktionierenden Kontrollinstanzen der Macht in Ungarn.«
Keiner der zahlreich bei SPIEGEL online erscheinenden Artikel von Verseck zu den Themen Ungarn, Orbán und Soros setzt sich jemals mit Hintergründen auseinander. Sie bleiben allesamt meinungsstark und oberflächlich. Welche tatsächlichen Gründe könnte Orbán dafür haben, beispielsweise auf transparente Finanzierungsstrukturen von NGOs zu pochen? Nur so viel dazu: Er hat dazu jede Menge Anlass! Die Ausführungen dazu würden jedoch vom Thema dieses Artikels wegführen.
»Als Agentur liefern wir vor Ort recherchierte Geschichten«
Wer den Namen Keno Verseck googelt, stößt nicht nur auf weitere Auftraggeber wie beispielsweise die ZEIT, wo er schon 2013 mit seinem Beitrag »Zurück zu Blut und Heimat« das Zeitalter einer finsteren »Pseudo-Demokratie« in Ungarn heraufziehen sieht, sondern auch auf ein Osteuropa-Magazin namens ostpol. Insgesamt 87 Artikel von Keno Verseck sind dort seit 2011 gelistet, viele davon drehen sich auch um die Person Viktor Orbáns. Ob dessen Sportförderung (»fragwürdig«) oder dessen Wahlerfolg 2014, den er »seiner konfrontativen Rhetorik und einer schwachen Opposition« zu verdanken habe: Orbán habe »eine sehr starke Persönlichkeit«, weshalb man sich um die »bedrohte Freiheit der Medien« Sorgen machen müsse.
Wer noch nichts von ostpol gehört hat: Das Magazin wird produziert von n-ost. Hierbei handelt es sich laut Website um eine »Medien-NGO«, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, »Journalistinnen und Journalisten [zu] qualifizieren und Medienschaffende unterschiedlichster Perspektiven in einen Dialog über sich und die Welt [zu] bringen.« Gleichzeitig präsentiert sich n-ost auch als Lieferant fertiger Artikel: »Als Agentur liefern wir vor Ort recherchierte Geschichten – und bieten so eine Alternative zu den Newstickern. Wir haben dabei immer auch im Blick, worüber und wie die Medien berichten.« Und: »In unserem Netzwerk versammeln sich mehr als 250 JournalistInnen und MedienaktivistInnen aus ganz Europa. Ihre Länderkenntnisse verbinden sie mit Themenexpertise, journalistischer Professionalität und Engagement.«
Nichtregierungsorganisationen – eine Mogelpackung
Dass so viel Engagement Geld kostet, ist klar. Hier kommen die »Förderer und Auftraggeber« ins Spiel, die n-ost.org auf seiner Website auch benennt. Neben staatlichen deutschen Finanzierungsquellen wie der bpb (Bundeszentrale für politische Bildung), der Konrad Adenauer Stiftung, dem Auswärtigen Amt sowie dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finden sich als Förderer neben weiteren auch die Open Society Foundations, die Stiftungen von George Soros. Halten wir also fest: Wer für ostpol tätig ist, wird, zumindest in Teilen, aus Mitteln des umtriebigen Milliardärs entlohnt. Weitere Mittel erhält er indirekt aus der Staatskasse, wodurch die von n-ost geführte Bezeichnung »NGO« zu einer Mogelpackung wird, bedeutet sie doch »Non Governmental Organization«, zu Deutsch: Nichtregierungsorganisation.
Dass die journalistischen Inhalte dieser von Soros und der deutschen Regierung geförderten angeblichen Nichtregierungsorganisation Eingang in viele Mainstreammedien finden, dazu dürfte auch die Unterstützung beitragen, die n-ost von einem weiteren Wohltäter erhält: von der Stiftung ZEIT. Tatsächlich ist die Chance sehr hoch, auf den Beitrag eines ostpol-Autors zu stoßen, wenn man versucht, sich bei großen Medien über Orbán oder Soros zu informieren. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Artikel »So hat Viktor Orbán Ungarn verändert« aus der Süddeutschen Zeitung. Er weist dieselbe Argumentationslinie auf wie die Artikel Keno Versecks, sodass es sich schlicht nicht lohnt, sich zu diesem Thema in beiden Medien zu informieren. Unnötig zu erwähnen, dass auch der Schreiber Matthias Kolb schon mal für ostpol tätig war. Dass die Journalisten aus dem Netzwerk dieser Agentur so gerne den angeblich schwindenden Pluralismus in der ungarischen Medienlandschaft beklagen, ist wohl nur noch ein Treppenwitz.
Der Club der ostpol-Journalisten
Auch Krisztián Simon taucht im Club der ostpol-Journalisten auf. »Oligarch Mészáros: Orbáns Mann fürs Geld« titelt der Bericht, den Simon gemeinsam mit Tibor Racz und Ákos Keller-Alánt für ostpol verfasst hat. In derselben Besetzung für das Thema empfohlen hatte sich das Team wohl durch einen ähnlichen Artikel, den es schon 2017 für die Heinrich Böll Stiftung verfasst hatte. Ebenfalls von 2017: ein Artikel von Krisztián Simon für Cicero, in dem wieder einmal, wie so oft, Orbáns angebliche Undankbarkeit gegenüber Soros thematisiert wird. Dass Simon als »Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung in Berlin« vorgestellt wird, einem Gönner, der sich ebenfalls in der Fördererliste von n-ost findet, ist da sicher nur noch ein Zufall.
»Was Europa bei einem erneuten Sieg von Viktor Orbán droht«
Einen »Angriff auf die akademische Freiheit« vermeldet Journalist Stephan Oszvath, erfahrener ostpol-Mitarbeiter seit 2006, auf deutschlandfunk.de, während Marco Fieber als weiteres Mitglied der großen ostpol-Family in der HuffPost darüber aufklärt, »Was Europa bei einem erneuten Sieg von Viktor Orbán droht«.
Ebenfalls ostpol-erfahren: Michał Kokot, der am Tag der Wahl in Ungarn auf ZEIT online über Orbán schreibt: »Erfolgreich durch Hetze gegen Flüchtlinge.«
Soros interviewt Soros
Mit einem ganz besonderen Schmankerl wartet die Süddeutsche Zeitung am 5. April 2018 auf, drei Tage vor der Wahl in Ungarn. Unter der Überschrift »Die deutsche Autoindustrie muss aufhören, sich von Orbán missbrauchen zu lassen« steigt wieder einmal ostpol-Mitglied Matthias Kolb in den Ring. »Der Politikforscher Thorsten Benner vom Thinktank Global Public Policy Institute beobachtet die Entwicklungen in Ungarn genau«, erfährt man im Teaser. Es folgt ein Interview mit Thorsten Benner, der an die deutsche Automobilindustrie appelliert, auf Distanz zu Orbán zu gehen, die indirekte Andeutung eines veritablen Shitstorms inklusive:
»Es gibt keine Kampagne von Nichtregierungsorganisationen, die fordert: „Herr von Klaeden, hören Sie auf, Herrn Orbán zu hofieren.“ Mich überrascht wirklich, dass dieses wichtige Thema hierzulande ignoriert wird, denn es ist eindeutig kampagnenfähig.«
Wer sich über das Thinktank Global Public Policy Institute informiert, findet auf dessen Website unter dem Reiter »About« – Unterpunkt »Funding« die Förderer des fraglichen Instituts. Dort versammeln sich neben anderen sowohl Soros‘ Open Society Foundations, als auch die von Soros finanzierte Central European University. Auch Thorsten Benner ist somit von Geld und Dunstkreis des Orbánfeindes kontaminiert und damit in keiner Weise als neutraler Beobachter anzusehen. – Die Süddeutsche scheint das nicht anzufechten: Sie lässt einen Journalisten mit Ostpol-Weihen einen Aktivisten von GPPI interviewen. Vorschlag für die nächste Ausgabe: George Soros könnte gleich sich selbst interviewen, um etwas mehr Transparenz zu schaffen.
Scheinpluralismus – der Zwischenschritt in den Totalitarismus
Die vorgestellten Stichproben zeigen, dass auch eine scheinbar vielfältige Medienlandschaft schnell auf wenige Akteure zusammenschrumpft, wenn es darum geht, die Deutungshoheit über ein Thema zu erzwingen. Die ZEIT lässt mit Anton Pelinka, Keno Verseck und Michał Kokot gleich drei Schreiber zu Wort kommen, deren wirtschaftliche Verbindungen zu Orbáns Erzfeind sie dabei »vergisst« zu erwähnen. Dieselbe Intransparenz gilt für den SPIEGEL: »Keno Verseck arbeitet für eine von George Soros und Ihrer geneigten Bundesregierung unterstützte NGO« – diesen Hinweis sucht man leider vergebens. Vielmehr ist davon auszugehen, dass mehrheitlich Journalisten aus dem Netzwerk von ostpol heute das Bild prägen, das sich der Westen von Viktor Orbán macht. Menschen, die sicher mehr Talent zur Dankbarkeit zeigen, als der eigensinnige ungarische Ministerpräsident. Im Artikel von Krisztián Simon heißt es: »Mit Soros hatte Orban früher sogar ein freundliches Verhältnis. Seine politische Karriere hätte ohne Soros wahrscheinlich nicht so einfach ihren Lauf nehmen können, denn es war damals Soros, der es Orban ermöglichte, mit einem Stipendium in Oxford zu studieren, wo dieser seine Englischkenntnisse polieren konnte. Jene Englischkenntnisse sollten ihm in späteren Jahren helfen, als er sich im Ausland mit Staatsleuten bekannt machte und sich als ein westlich-gesinnter Politiker zu präsentieren versuchte.« – Für Simon scheint es eine ausgemachte Sache zu sein, sich durch den Erhalt eines Stipendiums zu lebenslanger Loyalität gegenüber dem Spender zu verpflichten.
Liegt in solchen unausgesprochenen Verpflichtungen und Erwartungen der Schlüssel für die heutige Medienkrise, in der reiche Gönner, Ministerien, NGOs und politische Stiftungen nach ideologischer Passform auswählen, wer künftig zu ihrem Kreis gehören und der Welt über die großen Medien seine Erkenntnisse präsentieren darf? Möchte, wer derart an der Angelschnur der Gutmenschen hängt, sich in der Folge keinesfalls als störrisch, eigensinnig oder gar undankbar präsentieren? Liest sich deshalb fast jeder neue Artikel in den Mainstreammedien gleich, während sein Inhalt in vielen Fällen tragisch falsch und fast grotesk wirkt, wenn man durch stichprobenartige Eigenrecherchen an der Oberfläche kratzt?
»Die Regierung fabuliert ständig von einem angeblichen „Soros-Plan“, vor dem sie Ungarn bewahre. Belege für dieses mutmaßliche Komplott gibt es natürlich nicht«, schreibt Anton Pelinka in der ZEIT. Zu den angeblich fehlenden Belegen kann man nur sagen: Der Mann hätte einfach in den Spiegel sehen sollen. Oder in den SPIEGEL. Oder eine andere große Zeitung.
Jetzt mitmachen!
ostpol zeigt, dass es möglich ist, viele Journalisten der »richtigen« Gesinnung mittels privater oder/und staatlicher Fördermittel zusammenzuspannen, auf Linie zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie allesamt nahezu dasselbe schreiben. Kritisches Lesen ist deshalb heute angesagt, egal, ob es um kleine Blogs oder große Leitmedien geht. Vielleicht hat ja jemand von Ihnen Lust, die Recherche weiterzuführen und die Ergebnisse über einen Kommentar hier zu verlinken? Einen möglichen Ansatzpunkt habe ich bereits entdeckt:
2016 überreichte die Journalistin Anja Reschke den Grimme Online Award an die Macher des Portals »dekoder – Russland entschlüsseln«, Chefredakteurin: Tamina Kutscher. Tamina Kutscher ist ebenfalls Mitglied von ostpol. Meine Frage: Wenn nahezu jede Information, die wir aus den Leitmedien über Viktor Orbán erhalten, ihren Ursprung bei ostpol nimmt und ostpol damit unser Orbánbild geprägt hat: Wie sieht es dann mit Wladimir Putin aus? Ist der neue Kalte Krieg, der gerade beginnt, das Ergebnis eines einzigen Willens, der noch nicht einmal demokratisch gewählt ist? – Dass es sowohl an Orbán als auch an Putin wahrscheinlich manches zu kritisieren gibt: geschenkt! Interessant für mich ist ausschließlich die Frage, ob wir die Informationen über beide Personen aus neutralen Quellen erhalten oder nicht. Hat jemand Zeit und Lust, sich mit dieser Frage zu beschäftigen?
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von Ursula Prem