Von Roger Letsch
Ethnologisch definiert man den Begriff „Gesellschaft“ „als eine größere menschliche Gruppe, deren Mitglieder durch gemeinsame Sprache, Werte, Überzeugungen, Traditionen und Erfahrungen miteinander verbunden sind“. Die Soziologie sieht den Begriff ähnlich, „…als eine durch unterschiedliche Merkmale zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die als soziale Akteure miteinander verknüpft leben und direkt oder indirekt interagieren.“ – nüchtern könnte dem auch jede Kölner Karnevalsgesellschaft zustimmen.
Kann man alles bei Wikipedia nachlesen, ist kein Geheimnis. Es scheint allerdings angebracht, den Begriff und dessen Definition hin und wieder in Erinnerung zu rufen, um seiner inflationären und verdrehenden Verwendung im politischen Alltag entgegen zu wirken. Dort taucht der Begriff „Gesellschaft“ immer wieder als etwas auf, das sich wehrt, rückständig denkt, dessen tumbe Widerstände es zu überwinden, dessen Bewusstsein und Toleranz es zu erweitern gilt. Jährlicher Anlass dieser „Gesellschaftserziehung“ ist der Integrationsgipfel der Bundesregierung, oberste Erziehungsbeauftragte ist Staatsministerin Aydan Özoğuz. In einem von ihr initiierten „Impulspapier“ ist genau nachzulesen, in welche Richtung die Gesellschaft geschubst werden soll. So heißt es dort in der Kurzfassung:
„Einen wichtigen Schlüssel für Teilhabe sehen wir … in der nachhaltigen interkulturellen Öffnung der Gesellschaft, ihrer Organisationen und Institutionen. So wird Teilhabe … an Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen strukturell verankert – als Teilhabe am Haben und am Sagen. Vielfältige interkulturelle Perspektiven werden von vornherein stärker einbezogen. Dadurch können Zugangsbarrieren für Menschen mit Einwanderungsgeschichte abgebaut und Dienstleistungen diskriminierungsfrei, kultursensibel und effektiver angeboten werden.“
Übersetzt: Auch Organsiationen und Institutionen sollen geöffnet und kulturell begründete Willensbildung in der Gesetzgebung (strukturell) verankert werden. Man möchte also der unausweichlichen Bildung von Parallelgesellschaften zu Hilfe kommen, indem man die dazu passenden Strukturen, etwa in Polizei und Justiz, schafft. Das Wort „kultursensibel“ ist übrigens etwas, worauf ich in diesem Zusammenhang nur gewartet habe. Bestätigt es doch meine Befürchtung, dass es zum Beispiel in der Frage des Verbotes der Vollverschleierung eher darauf hinauslaufen wird, dass wir in Deutschland die nötige Infrastruktur schaffen werden, um dieser unnötigen Segregation mit „Toleranz“ begegnen zu können. Auf Seite 3 wird das Impulspapier dann deutlicher:
Aufnahme eines neuen Staatsziels ins Grundgesetz als Art. 20b: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland. Sie fördert die gleichberechtigte Teilhabe, Chancengerechtigkeit und Integration aller Menschen.“ Dadurch wird in der Verfassung verankert, dass Deutschland ein vielfältiges Einwanderungsland ist und alle staatlichen Ebenen zur Umsetzung dieses Staatsziels verpflichtet sind.
Kein Land auf dieser Erde definiert (bisher) auf diese Weise ein Staatsziel, dessen Gegenstand selbst nicht Teil des Landes selbst ist, sondern erst in das Land gelangen soll. Wobei das Adjektiv „vielfältig“ dem Artikel 20b das Genick brechen könnte. Was bedeutet „vielfältig“, wenn gleichzeitig die gleichberechtigte Teilhabe und Integration nur „gefördert“ werden? Wäre es Ausdruck der Vielfalt, wenn eine Mehrheit die Stadt Köln in ein Kalifat umwandelt und dann die Integration der Kölner Katholiken ins Kalifatsleben „fördert“? Hätten die staatlichen Ebenen die Pflicht, diese Vielfalt zu unterstützen? Hat „Vielfalt“ eingebaute Vorfahrt? Weiter heißt es:
Interkulturelle Öffnung wird Chefsache in Organisationen und Institutionen. Dies gelingt unter anderem durch die Festlegung als Führungsaufgabe, die Verknüpfung mit dem Kerngeschäft und Entwicklungszielen, der Festlegung von hauptverantwortlichen Fachstellen – wo möglich gesetzlich verpflichtend – und ein interkulturell orientiertes Qualitätsmanagement.
Mit anderen Worten: Was auch immer Sie tun im Leben, liebe Leserin, lieber Leser…in Zukunft ist die interkulturelle Öffnung eine gleichberechtigte Hauptaufgabe in Ihrem Leben. Also klagen Sie nicht, Sie dürfen weiterhin ihr Taxi fahren, Brot backen oder Abwasserkanäle warten – solange sie ebenfalls und gleichermaßen Engagement in der interkulturellen Öffnung zeigen. Mit gutem Beispiel gehen da unsere evangelischen Kirchen voran, die schon mal den Muezzin zwecks interkultureller Öffnung in ihre Veranstaltungen integrieren. Und weiter:
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