Unser nächstes Ziel, die Stadt Tuscania, liegt auf einem Tuffsteinplateau. Wir nähern uns ihr von Osten und genießen ein einzigartiges Panorama mit einer vollständig erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer und den romanischen Türmen der außerhalb der Stadt auf einem Hügel gelegenen Kirche San Pietro. Das ist altes etruskisches Gebiet. Die Etrusker nannten ihre Stadt Tuscana. Sie wurde 285 v. Chr. von den Römern erobert und ihrem Herrschaftsbereich eingegliedert. Aber die Etrusker hinterließen zahlreiche Spuren. So in der Basilika St. Pietro, deren drei Wehrtürme weithin sichtbar sind. Die Basilika wurde im 9. Jahrhundert auf den Resten eines römischen Tempels an der Stelle der etruskischen Akropolis errichtet. Wie viele Reste des etruskischen Baus in der Kirche erhalten sind, ist umstritten. Das heutige Gebäude geht im Wesentlichen auf das 11./12. Jahrhundert zurück. Das etwas später entstandene großartige Mittelportal mit Cosmatenmarbeiten und dem von einer prachtvollen Marmorrosette bestimmten Giebel, beeindruckt durch seine Eleganz. Bei den um sie herum angebrachten Figurenreliefs handelt es sich teilweise um etruskische Spolien, das sind Teile älterer Bauwerke, die ins Neue eingefügt wurden. Wir waren zum Glück morgens da, als die Basilika gerade geöffnet wurde und die Reisegruppen noch nicht angekommen waren. So konnten wir in Ruhe das seit dem 12. Jahrhundert fast unveränderte Innere bewundern, eine Säulenbasilika mit offenem Dachstuhl. Im rechten Seitenschiff steht ein Ziborium, mit Säulen von 1093. Wunderschön ist der Mosaikboden im Stil der Cosmaten. Die Marmorchorschranken mit Flechtbandornamenten aus dem 8. Jahrhundert stammen aus der Vorgängerkirche. An den Wänden etruskische Särge, auf deren Deckel lebensgroße Figuren liegen, ein Abbild der im Sarg Beerdigten. Einige der Figuren sind halb aufgerichtet und wirken sehr lebendig. In der gesamten Kirche finden sich zum Teil sehr gut erhaltene Fresken aus dem 12. Jahrhundert. Man fühlt sich wie auf einer Zeitreise, umgeben von den Hinterlassenschaften derer, die längst zu Staub zerfallen sind, deren künstlerische Energie aber nach wie vor lebendig ist.
Das Bemerkenswerteste der Basilika Santa Maria Maggiore wurde bei der Restaurierung nach dem Erdbeben des Jahres 1971 gefunden: die Fundamente eines großen römischen Gebäudes. Erste Erwähnung fand der Vorgängerbau in einer Bulle des Papstes Leo IV von 852. Der Überlieferung nach soll sie im 6. Jahrhundert als erste Bischofskirche Tuscanias auf den Resten eines Janustempels errichtet worden sein. Die heutige Kirche stammt aus dem 12. Jahrhundert und wurde am 6. Oktober 1206 geweiht.
Ich verlasse Tuscania mit großem Bedauern, denn ich wäre gern noch an der Stadtmauer spazieren gegangen, bin aber sofort getröstet, als wir Tarquinia erreichen, eine ehemalige Hochburg der Etrusker. Eine gesegnete Gegend, von deren Fruchtbarkeit die Olivenhaine zeugen, deren Öl zu den besten Italiens gehört. Vom Platz vor dem Palazzo Vitelleschi, der heute ein Etruskisches Museum beherbergt, kann man hier übers Land bis zum Tyrrhenischen Meer sehen. In der Altstadt sind mittelalterliche Strukturen erhalten geblieben. Aber wir sind wegen der Etrusker hier. Deren Nekropolen, die ganz in der Nähe entdeckt wurden, verhalfen der kleinen Stadt zu Weltruhm.
Erst einmal gehen wir ins Museum, das eine überwältigende Fülle von Exponaten aus etruskischer Zeit präsentiert. Dieses Volk, das keine schriftlichen Dokumente hinterlassen hat, war hoch zivilisiert und von exzellenter Kunstfertigkeit, mit viel Sinn für Schönheit und Eleganz. Letztere ist aus unserem Alltag fast verschwunden und wird offensichtlich von Vielen gar nicht mehr vermisst. Die Etrusker können uns lehren, wie viel ärmer wir geworden sind, da wir die Eleganz fast verloren haben. „Impressionen aus dem Latium 3“ weiterlesen