Nicht nur Großmächte haben Interessen und es kommt darauf an, wie versucht wird, sie durchzusetzen
Von Gastautor Lothar W. Pawliczak
Artig betonten auch unsere Friedensappellierer, daß sie den Krieg Rußlands gegen die Ukraine verurteilen, aber das sei nur eine verständliche Reaktion auf den angeblich von den USA betriebenen Putsch 2014 und es sei legitim, wenn Rußland vor seiner Haustür in seinem Interessenbereich dem US-Imperialismus entgegentrete. Russland führe ja nur „einen Regionalkrieg in der Ukraine“, aus dem man sich heraushalten soll. Der Westen führe „tatsächlich aber einen breit angelegten Krieg gegen Russland, in Gestalt von Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte, eines Wirtschaftskrieges und eines Propagandakrieges. Russland soll als relevante Macht aus der internationalen Politik verdrängt werden.“[1] Es sei nicht im deutschen Interesse, die Ukraine in ihrem Überlebenskampf zu unterstützen.
Richtig: Es geht um Interessen! „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ (Egon Bahr)
Ist aber der Krieg Rußlands gegen die Ukraine wirklich nur Resultat des Interessenkonflikts der Imperialmacht USA mit Rußland, nur eine Fortsetzung des Gegensatzes der Sowjetunion und der USA? Muß man daran erinnern, daß die Imperialismustheorie eine traditionell marxistische ist und die Rede vom US-Imperialismus ein Grundnarrativ der kommunistischen Propaganda im kalten Krieg? Immerhin: Linke billigen nun Rußland wohlwollend zu, auch imperialistisch zu sein. War das große Reich im Osten nicht bisher einfach nur Hoffnungsträger aller, die den Imperialismus der Kapitalisten abschaffen wollen?
Es wird erklärt, die USA hätten ihren Machtbereich mit der NATO auf Osteuropa erweitert und wollten den nun mit der Ukraine bis an die Grenze Rußlands vorschieben, wogegen sich Rußland nur wehre. Was dabei eigentlich das spezielle Interesse der USA und der NATO sei, bleibt unklar: Wieso sollten die NATO und die EU ein unbedingtes Interesse daran haben, noch ein paar Hundert Kilometer weiter an den russischen Machtbereich heranzurücken, wo doch die Baltischen Staaten unmittelbar an dessen Grenzen liegen und die NATO mit Griechenland, der Türkei, Bulgarien und Rumänien faktisch bereits das Schwarze Meer kontrolliert? Wieso hatten die USA und die NATO 1994 – Budapester Abkommen – offensichtlich kein Interesse, in Kasachstan, in Belarus und in die Ukraine ein- und damit näher an die Grenze Rußlands heranzurücken und die dortigen Atomwaffen zu übernehmen? Wieso sollen die USA später plötzlich ein spezielles militärisches Interesse an der Ukraine entwickelt haben? „Ukrainekrieg-Debatte: Wider die linke Ideologie“ weiterlesen