Wir erinnern uns: Bei der Diskussion um die Verfassungsgerichtskandidatin Brosius-Gersdorf ging es um ihre Einteilung von Menschen mit und ohne Würde. Bis eine Minute vor der Geburt hat das Kind, das strampeln, riechen, schmecken und träumen kann, keine Würde und kann deshalb durch Spätabtreibung getötet werden. Letzteres sagt Brosius-Gersdorf zwar nicht direkt, ist aber die Konsequenz ihrer Denkfigur. Es ging um ihre Haltung zum Impfzwang während der Corona-Zeit und ihre Überlegung, Ungeimpften die Grundrechte zu entziehen. Es ging um ihre Forderung nach einem AfD-Verbot, das sie als Verfassungsrichterin unfähig macht, ein solches ohne Vorbehalte zu prüfen. Es ging um ihre Aussage, damit wären aber die AfD-Wähler noch nicht „beseitigt“. Das alles kann sie natürlich vertreten, macht sie aber als Verfassungsrichterin ungeeignet. In der Corona-Krise war Brosius-Gersdorf mit dem Statement aufgefallen, dass Ungeimpften selbstverständlich freistünde, sich so zu entscheiden, sie hätten dann aber auch die Konsequenzen zu tragen. Diesen Maßstab will sie an sich selbst nicht anlegen. Von Diffamierung der Kandidatin, wie Klingbeil behauptet, kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil lediglich Positionen debattiert wurden, die Brosius-Gersdorf nachweislich vertritt.
Nun hat Klingbeil verkündet, die „Bedenken“ gegen Brosius-Gersdorf wären ausgeräumt und ihre Wahl müsste neu angesetzt werden. Ausgeräumt ist aber lediglich der Plagiatsvorwurf, der am Abend vor der Abstimmung auftauchte und in der Debatte gar keine Rolle spielte. Er diente lediglich Kanzler Merz zur Gesichtswahrung. Merz hatte im Bundestag verkündet, er könne es mit seinem Gewissen vereinbaren, Brosius-Gersdorf zu wählen, und brauchte nun einen Vorwand, als er feststellen musste, dass ihm beträchtliche Teile der Unionsfraktion nicht folgen würden. Da kamen die behaupteten Plagiatsvorwürfe gerade recht.
Andererseits will Klingbeil unbedingt am Parteitagsbeschluss der SPD, die AfD zu verbieten, festhalten. Als Vorbereitung dafür hat die SPD zwei Kandidatinnen für das Verfassungsgericht vorgeschlagen, die bekennende Verbotsbefürworterinnen sind. Die SPD ist noch unter die 16%, die sie bei der letzten Bundestagswahl erzielte, abgerutscht. Das ist übrigens auch ein Schlag ins Gesicht von Friedrich Merz, der verkündet hat, dass es eines der Ziele seiner Regierung sei, die SPD wieder über 20% zu bringen. Die SPD muss um ihre Machtoptionen bangen und sieht offenbar einen Ausweg aus dem sinkenden Wählerzuspruch im Verbot der größten Oppositionspartei.
Deshalb hält sie an Brosius-Gersdorf (und Kaufhold) fest, statt Kandidaten zu benennen, die dem Neutralitätsgebot des Verfassungsgerichts entsprechen. Die von den Linken betriebene Politisierung der Justiz ist eines der größten Probleme, wie der Medienwissenschaftler Norbert Bolz festgestellt hat. Dem müssen sich alle Demokraten entschlossen entgegenstellen. Klingbeil darf mit seinem Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen und Druck auf die Union auszuüben, nicht durchkommen.
