„Das wird man doch noch sagen dürfen“

Veröffentlicht am

Von Lothar W. Pawliczak

Als ich einem Freund mitteilte, daß ich nach Torgau fahre, um dort an einer vom PEN Berlin organisierten Diskussionsveranstaltung teilzunehmen, meinte der: „Aber PEN Berlin ist doch ein ganz linker Verein!“ Mit ist es herzlich egal, wer als links oder rechts und von wem auch immer eingestuft wird. Mich interessiert, was politorientiert vorgetragen wird, und dann bilde ich mir selbst eine Meinung. Zumal: Inzwischen weiß doch jeder, dem nicht das Gehirn mit Ideologie ausgeblasen ist, daß das Links-Rechts-Schema nur noch dazu dient, die jeweils Andersdenkenden zu diffamieren; ansonsten versagt es.

Man kann sich das an Frau Wagenknecht verdeutlichen: Ist die Links oder Rechts? Die schöne Sarah hat einfach gemerkt, daß sie sich wichtig tun kann, weil der CDU jeder Helfer recht ist, der verhindert, daß die AfD mit Regierungsbeteiligung zeigen kann, was sie kann – oder praktisch vorführen muß, was sie nicht kann. Und die Wagenknecht-Bündigen glauben, so gutbezahlte Posten ergattern zu können.

Aber nun zur PEN-Berlin-Diskussionsveranstaltung in Torgau. Es ist sehr gut, daß dieser Autorenverein zum Thema Meinungsfreiheit öffentlich diskutieren läßt: insgesamt 37 mal in verschiedenen Orten in Thüringen, Sachsen, Brandenburg. Es ist ja wohl auch erklärungsbedürftig, daß etwa die Hälfte der Bürger der Meinung ist, man könne in Deutschland nicht mehr frei seine Meinung sagen. Wieso werden die Ursachen dafür nicht öffentlich diskutiert? Da kommt dann sofort, daß das nicht stimme, wie man ja z.B. hier sehe, wo jeder frei seine Meinung sagen kann. Tatsächlich: Zu diesen Veranstaltungen gibt es offensichtlich keine Vorsortierung des Publikums, wie das etwa bei „Bürgergesprächen“ von Regierungspolitikern der Fall ist. Aber das erklärt natürlich nicht, wieso die Hälfte der Bürger der Meinung sind, es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr, wie auch zu Beginn der Veranstaltung der Publikumsmoderator – sehr gute Arbeit – mit Eingangsfragen aufwärmend demonstriert hat: Etwa die Hälfte der rund 150 Teilnehmer gaben mit Handzeichen zu erkennen, daß sie meinen, die Meinungsfreiheit sei in Deutschland eingeschränkt. Interessant auch: Auf die Frage, wer von den Teilnehmern Kinder oder Enkel bei Fridays-for-Future hat, meldete sich niemand.

Links: Deniz Yücel, Co-Sprecher des PEN Berlin, Journalist früher bei Jungle World, taz, seit 2015 WeLT; Rechts: Aron Boks (PEN Berlin Mitglied), Autor und hier Publikumsmoderator

Eine halbe Stunde gab es dann die Podiumsdiskussion. Nun weiß man ja insbesondere aus ARD/ZDF-Talkshows, was im Prinzip da gesagt werden wird, wenn man die Talk-Gäste kennt. Ich kannte nur Ralf Schuler und deshalb bin ich auch hingefahren. Der Name Patrick Bahners sagte mir nichts, aber man kennt ja die Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die sich von ihrer Eigenheit als liberal-konservative Zeitung schon lange verabschiedet hat. Deniz Yücel scheint eine wirklich offene Diskussion zum Thema zu wollen, worauf auch seine Mitteilung hindeutet, daß er auch Uwe Tellkamp zu einer dieser Diskussionsveranstaltungen eingeladen hat, der aber leider aus Termingründen absagen mußte. Zu Ralf Schuler hat er, wie er mitteilte, 120 kritische Anfragen bekommen, warum er den eingeladen habe. Das allein macht schon deutlich, daß die Meinung, man dürfe in Deutschland nicht mehr frei seine Meinung sagen, ihre Gründe hat. Immerhin: Harald Martenstein ist auch eingeladen (7.09. Finsterwalde), Jan Fleischhauer (8.09. Cottbus), Monika Maron (19.09. Potsdam). Aber hat niemand gefragt, ob bzw. warum nicht Henryk M. Broder eingeladen wurde, der gegen jegliche Angriffe erhaben ist, oder Jürgen Elsässer, der doch wohl aktuell was zum Thema beizutragen hat, Boris Reitschuster, der bei der Bundespressekonferenz keine Fragen mehr stellen darf, Uwe Steimle, der bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr auftreten darf, Susanne Dagen, die aus einem Antifaschismus-Klassiker nicht öffentlich vorlesen darf, Harald Schmidt, der sicher Heiter-Nachdenkliches zum Thema beizutragen hätte, Bernd Zeller, der die Diskussion auch mit ein paar Karikaturen hätte aufhellen können? Ich habe Micheal Andrick gefragt, der in diesem Jahr zum Thema den Bestseller Im Moralgefängnis. Spaltung verstehen und überwinden veröffentlicht hat, ob er eigeladen worden ist: Nein, ist er nicht! Vera Lengsfeld, der zum Thema schonmal DDR-Vergleiche – das kann man so sehen oder auch widersprechen – eingefallen sind, habe ich auch gefragt: Nicht eingeladen! Übrigens: Sind auch Vertreter des Manifest für einen neuen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk eingeladen? Ich weiß es nicht, vermute aber: Nein!

Auch die Aufstellung auf dem Podium könnte Anlaß zu Fragen sein. Aus Hintergrundgesprächen war zu erfahren, daß die Moderatorin nicht in der Mitte Platz nehmen wollte, wie das eigentlich bei moderierten Streitgesprächen üblich ist. So blieb – Zufall oder nicht? – für Herrn Schuler der Platz in der Mitte. Wurde so nicht auch gleich optisch klar, daß man ihn von zwei Seiten in die Zange nehmen will? Im Gesprächsverlauf hatte man auch diesen Eindruck: Herr Bahners unterbrach seinen Kontrahenten oft, ohne von Frau Jaskulla ermahnt zu werden, die mitunter dasselbe tat. Und manchmal schien sich Herr Bahners garnicht dafür zu interessieren, was Herr Schuler sagt.

Links: Moderatorin Gabriela Jaskulla (PEN Berlin Mitglied), Arbeit als Journalistin beim NDR und Deutsch- landfunk, seit 2017 Professor für Journalistik an der privaten Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Hanno- ver; Mitte: Ralf Schuler, Journalist von 2013 bis Oktober 2022 Leiter der Parlamentsredaktion von BILD, dort selbst gekündigt, weil er diskriminierungsfrei leben will, aber nicht „fest an der Seite der LGBTQ-Community im eisenharten Kampf“ stehen wolle, wie es gefordert worden war, seitdem Mitarbeiter bei Nius; Rechts: Patrick Bahners (PEN Berlin Mitglied), seit 1989 Journalist bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (eigene Photos

Gegen den eloquenten, auch humorvollen Schuler kamen die beiden nicht an. Dafür wurde er vom Publikum oft mit Beifall bedacht. Herr Schuler denkt und argumentiert faktenfundiert (Die Moderatorin hatte sich dagegen im Vorfeld z.B. offensichtlich nicht die offizielle Kriminalstatistik angeschaut.) und differenziert, wie es sich für einen ordentlichen Journalisten geziemt. Das mißlingt aktivistischen Journalisten immer und sie wollen ja auch nicht neutral sein, sondern das Publikum erziehen.

Nur an einem Beispiel sei das erläutert:

Herr Schuler führte u.a. Folgendes an, um zu verdeutlichen, wieweit es bei uns damit ist, seine Meinung nicht mehr offen sagen zu können. In der CDU/CSU Faktion gab es bei Kritik an Merkels „Flüchtlingspolitik“ oft Beifallsbekundungen der Abgeordneten zu dieser Kritik, aber nicht offen, sondern indem die Abgeordneten unter dem Tisch zustimmend klopften, so daß man vom Präsidium aus das nicht sehen konnte (Natürlich war Herr Schuler nicht dabei, aber als Journalist hat man seine glaubwürdigen Quellen.). Nach außen und vor allem bei Abstimmungen im Bundestag vertraten aber fast alle Abgeordneten die Merkelposition. Bahners dazu – das immer wiederkehrende Totschlagargument, daß sei ja nur ein Einzelfall, kam auch: „Die Fraktion muß geschlossen auftreten!“ Auf meine Bitte, das doch mal zu begründen, denn schließlich sind die Abgeordneten lt. Grundgesetz nur ihrem Gewissen und ihren Wählern verpflichtet und nicht der Fraktionsführung oder der Regierung, sondern sie haben die Regierung zu kontrollieren, kam dann: Das Grundgesetz beschreibe eben nicht die ganze politische Wirklichkeit. Aha: Wer regierungsgewogen ist, meint also, die Regierung müsse sich nicht streng an das Grundgesetz halten. Dagegen die differenzierende Erläuterung von Herrn Schuler: Der Fraktionszwang ist ein Instrument des Machterhalts und als solcher nicht pauschal zu verwerfen – aber das steht durchaus im Konflikt mit der Freiheit der Abgeordneten. Machterhalt darf nicht soweit gehen, daß Meinungen unterdrückt und Abgeordnete veranlaßt werden, wider besseres Wissen und Gewissen zu handeln.

Insgesamt war die Frage-und-Diskussionsrunde mit dem Publikum sehr ausgewogen (Wieso werden auf der PEN-Berlin-Internetseite von der zweistündigen Veranstaltung nur weniger als fünf Minuten wiedergegeben?), wobei deutlich die Besorgnis ausgedrückt wurde, man kann zwar seine Meinung sagen, müßte aber dabei nicht nur mit Widerspruch rechnen, was völlig normal ist, sondern damit, gesellschaftlich sanktioniert zu werden. Der Einwand, es würde doch bei uns niemand wegen eines Witzes oder einer Meinungsäußerung eingesperrt, ist da ja wohl nur ein schwacher – um nicht zu sagen: zynischer – Trost.

Auf Fragen wie „Warum ist Journalismus heute so oft zu Aktivismus geworden?“, „Wieso wird so wenig auf die Trennung von Nachrichten und Kommentar geachtet?“ hat Herr Bahners als Antwort, daß Journalismus schon immer ein Tendenzbetrieb gewesen sei. Er findet es also anscheinend völlig in Ordnung, daß Journalisten dem Publikum Meinungen vorsetzen, es belehren und erziehen wollen, anstatt den Leuten Informationen zu liefern, daß sie sich selbst eine Meinung bilden können. Er findet es anscheinend völlig in Ordnung, wenn vieles „in den Medien oft schulmeisterlich rübergebracht wird“, wie es eine Dame aus dem Publikum formulierte.

Konkrete Beispiele, was man denn so alles grade doch noch oder eigentlich nicht mehr sagen darf, wurden von niemandem genannt. Das fiel mir erst im Nachhinein auf und daß das wohl besser so war, nämlich weil die Veranstalter sich bei allen bedankten, daß die Veranstaltung so friedlich verlaufen ist und der Einsatz der Sicherheitskräfte und der Polizei (Ich hatte in meiner Naivität wirklich gedacht, das kleine Polizeiauto stünde nur zufällig auf dem Parkplatz vor der Veranstaltung.) nicht nötig gewesen sei: Was hatten die Veranstalter denn erwartet? Meinten Sie, ein Forum zu geben, wo einige Bürger mal so richtig ihren Frust ablassen würden und eventuell einige aus dem Saal hinausexpediert werden müßten? Nein, das gab es nicht und das war auch nicht zu erwarten!

Zu erwarten wäre eigentlich gewesen, daß den Ursachen etwas nachgegangen wird, warum viele Bürger der Meinung sind, sie können ihre Meinung in Deutschland nicht mehr offen sagen. Das wurde nicht wirklich diskutiert, geschweige denn auch nur ansatzweise geklärt. Man konnte aber der Diskussion dazu viele Indizien entnehmen, auch, warum diese Meinung vielleicht im Osten stärker vertreten ist als im Westen: Ein Diskutant wies darauf hin, daß die Bemühungen des vorherrschenden Journalismus, den Bürgern eine bestimmte Haltung zu vermitteln, die sie dann selbst vertreten sollen, doch sehr an die Forderung in der DDR erinnere, man habe gefälligst den richtigen „Klassenstandpunkt“ einzunehmen. Ralf Schuler, der dazu antwortend „Sag mir, wo du stehst …“ zitierte, erntete ein Lachen bei den Ossis, denn die kannten das zur Bekenntnis auffordernde Lied – die Wessis nicht.



Unabhängiger Journalismus ist zeitaufwendig

Dieser Blog ist ein Ein-Frau-Unternehmen. Wenn Sie meine Arbeit unterstützen wollen, nutzen Sie dazu meine Kontoverbindung oder PayPal:
Vera Lengsfeld
IBAN: DE55 3101 0833 3114 0722 20
Bic: SCFBDE33XXX

oder per PayPal:
Vera Lengsfeld unterstützen