Die Kanzlerin, die aus der Kälte kam

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Dass Angela Merkel am 17. Juli 2024 70 Jahre alt wurde, hat kaum einer bemerkt. Zwar lief auf ARD kurz vorher eine Doku, aber zu nachtschlafender Zeit. Zuschauerrekorde wurden jedenfalls nicht gemeldet. Die „Süddeutsche“ widmete der Ex-Kanzlerin eine ganze Seite 3 mit der Frage, ob Merkel eine große oder nur eine halbgroße Kanzlerin gewesen sei, listete aber ihre Fehlentscheidungen auf, die belegen, dass sie in Wahrheit die schlechteste Kanzlerin seit Bestehen der Bundesrepublik gewesen ist. Warum traut sich keiner, das zu sagen? Weil Merkel ein Medienprodukt ist, an dem die gesamte staatsnahe Presse mitgewirkt hat. Da müsste man sich eingestehen, am Desaster, das Merkel hinterlassen hat, beteiligt gewesen zu sein.

Kurz vor Merkels Jubiläum veröffentlichte der Anderwelt-Verlag eine „Biografie einer Unbekannten“, die „aus der Kälte kam“. Wieso Kälte? Merkel kam aus der DDR und unbekannt ist sie auch nicht. Sie hat sich durch die Politik, die sie betrieben hat, sehr kenntlich gemacht. Aber genau das ist das Defizit dieser x-ten Merkel-Biografie. Es erfolgt keine stringente Analyse von Merkels politischen Entscheidungen, die Autoren des Sammelbandes stochern, wie alle anderen Biografen im Privaten, versuchen herauszufinden, was der Großvater und der Vater ihr bedeuteten, wer sie wie prägte, als ob es dieser Analysen bedürfte. Es wird untersucht, ob Merkel eine irgendwie geartete Dissidentengeschichte hat, weil der Stiefsohn von Robert Havemann, Utz, der sich heute nach seinem Vater Havemann-von Trotha nennt, ihr Kollege am physikalischen Institut der Akademie der Wissenschaften war und sie anscheinend mal nach Grünheide, wo der bekannteste Dissident unter Hausarrest stand, mitgenommen hat.

Es wird viel berechtigte Kritik an den vielen Biografien geübt, die im Laufe der Jahre entstanden sind. Vor allem wird darauf hingewiesen, wie sehr die Autoren voneinander abgeschrieben haben. Alles nicht falsch, aber an der Legende, die mit großem Erfolg um Merkel von ihr und ihren Helfern herum gebaut wurde, wird nicht ernsthaft gekratzt. Welche Positionen hat Merkel vertreten? Immer nur die, die Erfolg in der Öffentlichkeit versprach. „Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert“, erklärte Merkel 2010 auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, 2015 mit der unkontrollierten Masseneinwanderung war dasselbe Phänomen alternativlos. Im Jahr 2010 nahm Merkel an der Siegesparade in Moskau anlässlich der Kapitulation Nazi-Deutschlands teil, wie übrigens jeweils 70 Nato-Soldaten aus Frankreich, USA, Großbritannien und Polen. Sie saß neben Putin und ließ sich für ihre häufigen Gespräche mit ihm loben. Heute wird behauptet, sie hätte immer eine Abneigung gegen Putin gehabt. Wenn, dann hat sie diese sehr gut verborgen. Mit Beginn des Ukraine-Konflikts wird Merkels Russland-Politik nicht nur von Friedrich Merz als „Scherbenhaufen“ bezeichnet, denn heute ist Putin der Unberührbare. Während Merkel auf der Tribüne in Moskau saß, wurde in Brüssel die No Bail Out-Klausel aufgehoben. Seitdem kommt Deutschland für die Schulden anderer Länder auf.

Als Chefin der schwarz-gelben Koalition ließ sie die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern, kurz darauf, nach dem Tsunami in Japan, der auch ein AKW beschädigte, wurde die Verlängerung kassiert und in einen beschleunigten Ausstieg umgewandelt. Das Desaster der „Energiewende“ geht auf Merkel zurück. Ebenso wurden alle falschen Entscheidungen der Corona-Politik bereits zu Merkels Zeiten getroffen. Das Standard-Argument, dass Entscheidungen aus dem Augenblick heraus beurteilt werden müssten – nicht ex post, also mit dem Wissen von heute, ist nicht valid, denn sowohl in der Energie- als auch in der Corona-Politik gab es alle Gegenargumente von Beginn an. Sie wurden nur vom Tisch gewischt.

Mit Merkels Regierungen ist auch die Erosion der Rechtsstaatlichkeit verbunden. „Für die Bundesregierung kann ich sagen, dass wir Recht und Gesetz einhalten wollen und werden und da, wo immer das notwendig ist, auch tun.“ Wenn es nicht „notwendig“ ist, wenn z.B. der Ministerpräsident von Thüringen demokratisch, aber mit den falschen Stimmen gewählt wurde, findet Merkel das „unverzeihlich“ und fordert, die Wahl „rückgängig“ zu machen. Ich vermisse in dem Buch eine Auflistung der Gesetze, die den Rechtsstaat unterhöhlen und von Merkel-Regierungen beschlossen wurden. Laut ihrer Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz sollen wir die Regeln unseres Zusammenlebens täglich neu aushandeln müssen. Merkel stand, als das verkündet wurde, daneben.

Das alles ist nur eine kurze Auflistung dessen, was aus meiner Sicht eine Merkel-Biografie leisten müsste, aber auch hier kaum zu finden ist.

Am 27. November diesen Jahres soll Merkels Autobiografie „Freiheit. Erinnerungen 1954-2021“, für das sie in einem Outfit in AfD-Blau wirbt, in 30 Ländern gleichzeitig erscheinen. Man darf gespannt sein, welche Freiheit die Ex-Kanzlerin meint. Es wird höchste Zeit, der Merkel-Legende fundiert zu widersprechen.

Die Kanzlerin, die aus der Kälte kam, Anderwelt-Verlag 2024



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