von Philipp Lengsfeld
Ich habe keine Angst vor Sahra Wagenknecht!
Wir brauchen endlich den Politikwechsel und der startet in Thüringen und Sachsen
(Dieser Text erschien zuerst auf Reitschuster.de)
Die neusten Umfragen aus Thüringen und Sachsen sind eindeutig: In Sachsen kommen die Ampelparteien auf zwischen 10-14%, die FDP (und Linke) ziehen sicher nicht in den Sächsischen Landtag ein, Grüne und SPD können sich (da in Konkurrenz) jeweils nicht sicher sein. Ein ganz ähnliches Bild gibt es in Thüringen, wo aber die Linke mit Bodo Ramelow noch einen persönlich anerkannten Ministerpräsidentenamtsinhaber stellt – Ramelow sichert der Linke Thüringen die 5%, zusammen mit der SPD kommen sie sogar auf 18%, FDP und wohl auch Grüne fliegen aus dem Landtag.
Damit gibt es sowohl in Sachsen als auch in Thüringen eine glasklare Mehrheit für einen Kurswechsel weg von der irren linken Ampelpolitik. In Thüringen und Sachsen haben CDU und AfD eine komfortable Mehrheit, CDU und BSW in Sachsen eine knappe, in Thüringen eine stabile Mehrheit in einem Dreierbündnis zusammen mit SPD oder Linkspartei.
In dieser Situation ist ganz klar, dass sich Mario Voigt und Michael Kretschmer als die jeweiligen CDU-Spitzen keine inhaltliche oder personelle Brandmauer Richtung BSW leisten können, außer sie wollen AfD und BSW zu einer direkten Kooperation in Thüringen oder Sachsen treiben (in Thüringen haben AfD und BSW mit zusammen 49% eine klare Mandatsmehrheit im Landtag).
Im Gegensatz zu Friedrich Merz, der sich aber immer mal wieder durch fundamentale inhaltlich-strategische Schwächen auszeichnet, sehe ich kein prinzipielles Problem:
Ich habe keine Angst vor Sahra Wagenknecht und ihrem BSW.
Und das hat einen ganz klaren Grund: Ich habe die deutschen Identitäts- und Weltanschauungsobsession nicht – ich messe Menschen an ihren Analysen und Plänen, aber vor allem an ihren Taten. Und nicht primär an ihrem Denken und vor allem nicht an ihren Äußerungen der Vergangenheit.
Klaus-Rüdiger Mai hat z.B. in seiner lesenswerten Biographie von Sahra Wagenknecht („Die Kommunistin“) an viele Irrungen und Wirrungen der stalinistisch-ulbrichtsch-kommunistischen Autodidaktin und Einzelgängerin Sahra Wagenknecht erinnert, die 1992 die PDS-Führung von Gysi und Bisky schier in den Wahnsinn getrieben hat, da sie das Rüberretten der DDR-Staatspartei in das bundesrepublikanische Parteiensystem mit dogmatisch Kommunismustexten störte. So what?
Sie war damals 23 Jahre alt. Das ist über 30 Jahre her.
Sahra Wagenknecht war in den letzten beiden Jahren der DDR, im Alter von 18, 19 Jahren eine SED-Linksrenegatin, für die mit dem Mauerfall ein Illusionsgebäude eingestürzt ist? Again, who cares?
Sahra Wagenknecht ist ihren Weg gegangen – sie hat den von Gysi und Bisky immer ersehnten Schritt der PDS in den Westen gemacht und hat dort im Guten, wie im Schlechten ihre Erfahrungen gesammelt.
Ihr Programm ist nach der Ulbricht-Fan-Phase jetzt immerhin schon bei einem Fundamental-Sozialdemokratismus Lafontaine‘scher Prägung angekommen. Und trotz für mich sehr irritierender Angst und Abneigung vor dem Liberal-Libertären bin ich sicher, dass ihre in vielen Punkten richtige Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Schwächen der momentanen Industrie- und vor allem Energiepolitik sie noch weiter auf den richtigen Weg bringen wird.
Demokratie lebt von Freiheit und Wettbewerb und damit dem langfristigen Durchsetzen der besseren Lösungen. Die normative Macht des Faktischen wirkt auch bei Sahra Wagenknecht und dem BSW.
Feinde der Freiheit und des Wettbewerbs sind der Kollektivismus, der group think („Konsens“), die Denkverbote, Intransparenz, Klüngelei, Manipulation (viel größeres Problem als Inkompetenz, die es aber auch gibt), unprofessionelle Parteivereinsmeierei und vor allem politische Kartellbildung – aber nicht unbedingt alte politische Verwirrungen: Sahra Wagenknecht ist durch eine harte innerparteiliche, öffentlich-mediale und zuletzt beim Durchleben ihres „Aufstehen“-Projekts auch durch eine schwere persönliche Schule gegangen – ich kann mir nicht anders vorstellen, als dass diese oft schlimmen Lektionen sie einiges gelehrt hat. Die Stringenz und Konsequenz mit der sie das Projekt BSW aufgebaut und durchgezogen wurde, auch und gerade unter konsequentem Ignorieren der diversen öffentlichen Ratschläge, nötigt mir mehr als Respekt ab – die BSW-Gründung folgt genau der Blaupause, die aus meiner Sicht zur Reformation und damit Renaissance der deutschen Parteiendemokratie absolut unumgänglich ist – das vorläufige Scheitern der Parallelprojekte im liberal-konservativen Lagers lag meines Erachtens genau daran: Man hat sich eingebildet, die absolut offenkundigen Schwächen des bundesrepublikanischen Mitgliederparteivereinssystem einfach mit gutem Willem oder anderem Personal überspielen zu können.
Sahra Wagenknecht und das BSW sind da schon viel weiter.
An den Inhalten und Taten wollen wir sie messen. Und da mache ich mir bei den beiden Hauptthemen Energie- und Industriepolitik und Migration kaum Sorgen, beim Thema Bildung, Demokratie und Freihandel muss man sicherlich aufpassen, aber dafür gibt es ja Koalitionen.
Ein echtes Problem sehe ich „nur“ bei der Außenpolitik – und das wird auch nicht besser dadurch, dass es hier sehr große Schnittmengen zu Teilen der AfD, aber auch Teilen von SPD oder Union und wohl auch zu Stimmungslagen in der Bevölkerung gibt: Sahra Wagenknecht ist tief geprägt von der SED-Friedenspropaganda, die in Teilen echt und in Teilen grundverlogen war.
Und das ist der verlogene Teil daran: Es war immer eine Lüge zu unterstellen, dass eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft im Grunde immer auf eine kriegerische Expansion zuläuft. Das Gegenteil ist richtig! Es sind die Autokratien, die unfreien Gesellschaften bei denen immer der Krieg oder Bürgerkrieg als eine Option oder der letzten Rettungsanker mitschwingt – beim neoimperialen Russland Putins ist das offenkundig, weshalb auch jegliche Schwäche gegenüber dem Aggressor falsch ist.
Ohne Freiheit gibt es keinen Frieden. Und natürlich ist Amerika und die Nato unser wichtigster Verbündeter – wir werden eine Friedens- und Wohlstandsordnung perspektivisch nur in einem Europa haben, dass nicht nur die Ukraine, sondern auch weitere Staaten der ehemaligen Sowjetunion umfasst.
Und eine friedliche Koexistenz mit den Großstaaten China, Indien und Russland (habe die Reihenfolge absichtlich so gewählt) ist möglich und nötig, aber geht natürlich nicht ohne starke Armeen und Verteidigungsbündnisse.
Ähnlich wie ihre von ihr selbst ja nicht mehr wiederholte Ulbricht-DDR-Illusion wird Sahra Wagenknecht auch begreifen, dass die freiheitliche Gesellschaft sich gegenüber autokratischen Aggressoren wehren muss. Auch die russische Gesellschaft will sicherlich perspektivisch in Frieden und Wohlstand leben, wir müssen ihr dabei helfen, auf diesen Weg zurückzufinden, indem wir die Freiheit in der Ukraine und an jeder anderen Stelle verteidigen oder zumindest stärken.
Philipp Lengsfeld (MdB 13-17) ist aktiv im liberal-konservativen Spektrum, den politischen Kräften jenseits der Ampel, der Union und der AfD.
Sie können dem Autor schreiben: p.lengsfeld@arcor.de