Die neueste Premiere am Theater Nordhausen war wieder ein Volltreffer. Gegeben wurden zwei Inszenierungen: „Les Noces“ von Igor Strawinsky in einer Choreografie von Martin Harriague und Nacht/Gedanken von Ivan Alboresi und Davidson Jaconello. Es stehen sich zwei Konzepte gegenüber: Während Harriague das Ballett-Ensemble ganz dicht an Strawinskys Musik agieren lässt, hat Alboresi eine Geschichte entworfen und den Tonkünstler Jaconello beauftragt, dafür die geeignete Musik zu entwerfen. Beide Teile waren beeindruckend, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Was Harriague der Truppe abverlangt und aus ihr herausgeholt hat, ist überwältigend. Das es bei Strawinskys Musik um eine russische Bauernhochzeit geht, wird zur Nebensache. Es beginnt mit einem Hochzeitsfoto und endet mit dem Auftritt des Brautpaares. Aber in den knapp zwanzig Minuten dazwischen wird ein Feuerwerk gezeigt, das nur gelingen konnte, weil alle Mitglieder des Ensembles über eine staunenswerte Körperbeherrschung und Elastizität verfügen und in der Lage sind, ihr Zusammenspiel exakt auf den Punkt zu bringen. Hatte man anfangs noch das Gefühl, die Darbietung könnte zu roboterhaft geraten, legte sich das sehr schnell und gab einer Faszination Raum, die sich steigerte und bis zur letzten Sekunde anhielt. Strawinsky wäre begeistert gewesen.
Alboresi dagegen erzählt die Geschichte einer Nacht, „die nie geschehen ist“. Inspiriert haben ihn zwei Personen: Die italienische Dichterin Alda Merini mit ihrem Nachtgedicht und Salvatore Dali, der eine eigene Methode entwickelte, seine Träume im Gedächtnis zu behalten. Da der Mensch in der Einschlafphase träumt und dann in den traumlosen Tiefschlaf fällt, setzte sich Dali auf einen harten Sessel, mit einem Schlüssel in der Hand, dessen Fall ihn weckte, bevor er in den Tiefschlaf fiel. Er notierte dann seinen Traum. Auch von Goethe wissen wir, dass er ein Notizbuch neben seinem Bett griffbereit platziert hatte, um seine Träume aufzuzeichnen. Alboresi übernimmt die Dali-Routine für seine Inszenierung. Hier ist es ein kleiner Ball.
Es geht aber nicht nur um Träume aller Art, es geht auch um den Schatten seiner selbst, das zweite Ich des Menschen, in vielen Kulturen das Spiegelbild der Seele.
Alboresi platziert sein Ich in einem „halb-realistischen Raum“, dessen Wände durchsichtig werden und in den sich Spiegel bewegen können. Der Träumer und sein Schatten werden durch die Nacht begleitet. Es geht sanft los, mit einer Frau, die zu schweben scheint. Später drängen sich Clowns ins Bild und man fragt sich unwillkürlich, was albtraumhafter sein könnte, als von diesen Clowns umtanzt zu werden. Das Traum Chaos bot eine Spaßgesellschaft, Überraschungsgäste, einen Mann, ein Wesen, eine Braut und etliche Egos, die sich bespiegeln. Die musikalische Untermalung passte jedes Mal perfekt, die Tänzer boten Höchstform.
Im Saal knisterte die Spannung im Bemühen, kein Detail auf der Bühne zu verpassen.
Das ich mich in dieser Beobachtung nicht getäuscht hatte, bewies der begeisterte Schlussapplaus. Besonders Ballettfreunde sollten die Aufführung nicht verpassen.
Es ist ratsam, das hervorragende Programm vorher zu lesen. Das erhöht den Genuss!
Nächste Vorstellungen: 9.3., 16.3., 22.3.
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