Vom Publizisten Henryk M. Broder stammt der Satz, wenn Deutschland ein Dach hätte, wäre es eine geschlossene Anstalt. Allerdings ist das ein Spruch aus Vor-Corona-Zeiten, die uns jetzt vergleichsweise normal erscheinen. Michael Klonovsky hat in seiner Acta diurna den täglichen Irrsinn nicht nur festgehalten, sondern analysiert. „Reaktionäres vom Tage“ nennt der Autor seine Aufzeichnungen der Jahre 2020 und 2021.
Wir haben sie alle miterlebt, es ist noch nicht so lange her. Trotzdem hat man Vieles vergessen, besser gesagt, verdrängt. Im Rückblick erscheint die Lebenswirklichkeit dieser Jahre zu absurd, als dass sie tatsächlich so stattgefunden haben könnte.
Nach dem vollständigen Zusammenbruch der Corona-Erzählung geben Politiker hektische Erklärungen ab, dass die von ihnen getroffenen Maßnahmen wirkungslos, übertrieben, gar „exzessiv“ (Lauterbach) gewesen seien, aber man hätte es ja mit etwas ganz Neuem zu tun gehabt und hätte damals nicht gewusst, was man nach drei Jahren Erfahrung weiß. Falsch. Alle Einwände, die man gegen die „Corona-Politik“ haben konnte und musste, sei es Maskenzwang, Lockdown oder Impfpflicht, wurden schon in den ersten Wochen der so genannten Pandemie erhoben, aber nicht gehört.
Im Gegenteil. Die Kritiker wurden von Anfang an im Versuch, sie mundtot zu machen, scharf sanktioniert. Sie wurden als „Corona-Leugner und Pandemietreiber“ diffamiert, ihnen wurde unterstellt, sie würden sich am Tod ihrer Mitmenschen schuldig machen. Es wurden nicht nur Geldstrafen verhängt, sondern Prozesse angestrengt und Haftstrafen verfügt. Welche Früchte die tägliche Hetz-Propaganda trug, erlebte ich, als ich nach den Schulschließungen beschrieb, dass sich die Schüler des benachbarten Gymnasiums täglich im Park trafen, um beieinander zu sein. Da wurde mir prompt auf Twitter bescheinigt, „voll Nazi“ zu sein.
Heute wird leise weinend eingestanden, welche Schäden, vor allem psychische, die Corona-Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen angerichtet haben. Man mutmaßt, dass die gestiegene Gewaltbereitschaft Minderjähriger, die bis hin zu Mord und Totschlag geht, eine Folge der Corona-Jahre sein könnte.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Polizisten Kinder am Rodeln gehindert, Jugendliche mit ihrem Fahrzeug im Park gejagt haben, dass in geöffneten Geschäften Regale mit Absperrband unzugänglich gemacht wurden, weil die Artikel nicht verkauft werden durften, dass im Freien Maskenzwang verfügt wurde und Jogger im Wald allein Masken tragen sollten. Wir dürfen nicht vergessen, dass Zugschaffner Macht ausübten, indem sie Fahrgäste, deren Maske nicht „korrekt“ saß oder die sich angeblich zu lange mit Essen und Trinken aufgehalten hatten, aus dem Zug geschmissen haben. In Bayern wurde man von einer Bank gezerrt, auf der man allein saß. Angehörige wurden nicht zu ihren sterbenden Liebsten gelassen, Kinder wurden in Kindergärten gezwungen, in aufgemalten Kreisen zu sitzen, sie sollten nach Willen von Ex-Kanzlerin Merkel mit höchstens einem Freund oder einer Freundin Kontakt haben.
An Weihnachten wurde eine zulässige Höchstzahl von Gästen diktiert, „illegale Grünkohlessen“ von der Polizei aufgelöst.
Klonovsky hielt aber nicht nur die Corona-Geschehnisse fest. Er setzt sich auch intensiv mit der Frage der deutschen Kriegsschuld auseinander. Ihm wurde von Gerald Wagner, einem Mitarbeiter im FAZ-
Feuilleton dessen Buch „Dabeigewesen. Ein Versuch über den Stolz“ zugeschickt mit der Aufforderung, Stellung zu nehmen. Das tat Klonovsky mit der gewohnten Gründlichkeit und Schärfe.
Er analysierte den grotesk anmutenden Versuch von Wagner, seinem Vater, der, als er eingezogen und an die Ostfront geschickt wurde, sich bei erster Gelegenheit, noch ehe er in eine Schlacht geschickt werden konnte, in Gefangenschaft begab, eine Mitschuld an den Kriegsverbrechen nachzuweisen. Klonovsky bemerkte sarkastisch, dass er das Gefühl nicht loswerden konnte, Wagner hätte lieber einen Vater gehabt, der sich wirklich schuldig gemacht hatte.
Es geht um die Kollektivschuldthese, die den Nachkommen der NS-Täter dazu dient, ihr schweres Schicksal besser zu ertragen. Wenn sich ausnahmslos alle schuldig gemacht haben, wiegt die Schuld der Täter weniger schwer.
Die Aufarbeitung der Nazidiktatur, um die uns die Welt angeblich beneidet, hatte von Anfang an die Schieflage, dass die konkreten Familiengeschichten außen vor gelassen wurden. Es wurde auch nicht untersucht, was Menschen befähigte, Widerstand zu leisten oder sich wenigstens nicht in die Naziideologie hineinziehen zu lassen. Wo ein ganzes Volk zum Täter gestempelt werden soll, stören die Widerständler. Sie werden entweder als zweifelhafte Gestalten, wie die Männer des 20.Juli gezeichnet, oder auf einen unerreichbaren Sockel gehoben, wie die Mitglieder der „Weißen Rose“.
Ein anderes Beispiel. Im letzten Bundestagswahlkampf wollten die Grünen einen Syrer, der seit ein paar Jahren in Deutschland lebt, als Bundestagskandidat aufstellen. Der Mann hat keine deutsche Staatsbürgerschaft. Er wolle den hier lebenden Flüchtlingen eine Stimme geben, ließ der Mann verlauten. Das mediale Echo war bis hin zur „Welt“ eher positiv. „Tareq Alaows ist ein neuer Typ Politiker in einem neuen Deutschland, das er durch seine politische Arbeit weiter verändern will“ , lobhudelt das Blatt. Es würde Zeit, dass die hundertausenden Menschen, die inzwischen hier leben, auch im Bundestag eine Stimme bekommen.
Zu diesen Bemerkungen passt, dass der Moderator des Deutschlandfunks, der den AfD-Politiker Brandner interviewte, der Meinung war, dass die Tatsache, dass es neben der Bevölkerung auch ein deutsches Volk gäbe, rechtsextremistisch sei. Aber vielleicht habe ich mich da auch nur verhört. Denn im Grundgesetz ist vom „deutschen Volk“ die Rede und der Verfassungsschutz hat es bislang nicht als rechtsextrem deklariert. Rechtsextrem sind nur die Menschen, die meinen, sich auf das Grundgesetz berufen zu dürfen.
Mehr muss man nicht sagen, um zu begründen, warum Klonovskys Aufzeichnungen wichtig sind. Sie haben den Wert der „Chronik der laufenden Ereignisse“, die von der sowjetischen Opposition erstellt worden sind. Deshalb sollte dieses Buch sollte unbedingt Nachfolger haben.
Michael Klonovsky: “Im Abgang ein hauch von Schwefel! Manuskriptum 2022