Ein Orden – aber wofür?

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Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke

Demnächst wird Angela Merkel mit dem höchsten Orden ausgezeichnet, den Deutschland verleihen kann. Hat sie diese Ehre verdient? Und wenn ja, wofür?

Das Vaterland

Der ehemaligen Bundeskanzlerin, von 2005 bis 2021 im Amt, soll am 17. April das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik in besonderer Ausführung verliehen werden. Nach Adenauer und Kohl wird ihr als Dritter diese höchste Ehrung zuteil. Ob die Auszeichnung gerechtfertigt ist, das lässt sich beurteilen, wenn man einen Blick in den entsprechenden „Stiftungserlass“ wirft (Fettdruck vom Autor):

„In dem Wunsche, verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes und des Auslandes Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen, stifte ich am 2. Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Der Orden wird verliehen für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten, und soll eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt.“

Man erkennt sofort, dass der Text Begriffe enthält, die von der zu ehrenden Person wenig respektiert oder sogar abgelehnt werden. Das „deutsche Volk“, wurde ja inzwischen abgeschafft. Damit waren wohl die gemeint, die schon länger hier leben. Und ihre Liebe zum Vaterland kam zum Ausdruck, wenn sie schwarz-rot-gold in den Papierkorb warf oder wenn sie beim Abspielen der deutschen Nationalhymne von unkontrollierbarem Schütteln erfasst wurde. Das wurde zwar von hilfreichen Fachleuten schnell als Folge eines Mangels an Flüssigkeit interpretiert. Dass der aber exakt und wiederholt beim Erklingen von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ eintrat, das legt eine andere Erklärung nahe. Könnte es ein Ausdruck seelischer Drangsal gewesen sein – aber wodurch verursacht?

Lasst Zahlen sprechen

Diese emotionalen Ereignisse sind freilich nicht die geeignete Messlatte, um Merkels Beiträge zum „friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland“ zu werten. Dazu müssen wir sachlich bleiben.

Es gab ja Kritik an ihrer Politik in Sachen Energiewende, Grenzöffnung und Meinungsfreiheit. Aber waren diese Entscheidungen denn nicht auch nützlich für die deutsche Bevölkerung? Kann man das irgendwie objektiv messen?

Kluge Soziologen haben dazu den „Life Quality Index“ (LQI) erfunden, der die Lebensqualität in einem Land nach Aspekten wie Einkommen, Lebenshaltungskosten, Sicherheit, Infrastruktur, Gesundheitssystem, Freizügigkeit etc. errechnet. Diese Elemente werden gewichtet und für jedes Land auf einer Skala von 0 bis 100 bewertet. Daraus ergibt sich dann der LQI

NUMBEO hat solche Indizes von 84 Ländern veröffentlicht, genauer gesagt dessen Mittelung über die jeweils vergangenen 12 Monate. Vergleicht man nun die LQIs besagter 84 Länder, so kann man jedem Land ein „Ranking“ zuordnen. In der Graphik ist der Verlauf des Rankings für Deutschland dargestellt.

Ist das Merkels Schuld?

2012 war Deutschland also auf Platz 2 unter den 84 ausgewählten und damit auch auf Platz 2 in der Weltrangliste. (Die übrigen Staaten dieser Erde, die nicht analysiert wurden, wie Surinam oder Vatikanstaat, spielen in einer anderen Liga und haben keinen Einfluss auf die Verteilung der vorderen Plätze.)

Viel höher konnte Deutschland nach 2012 nicht mehr rutschen: „höher nimmer, abwärts immer“. Und genau in diese Richtung ging es dann.

Welche Entscheidungen wie viele Punkte des LQI gekostet haben soll hier nicht gemutmaßt werden. Es ist aber sicher, dass die strategischen politischen Weichenstellung wie „Energiewende“ oder Grenzöffnung sich erst nach Verzögerung bemerkbar machen, aber dann für lange Zeit wirksam sind.

Wie auch immer: Von einer Nation mit optimaler Lebensqualität ist Deutschland in den vergangenen zehn Jahren dramatisch abgerutscht. Dabei haben globale Einflüsse wie Corona oder Ukraine keinen Einfluss auf das Ranking, da sie andere Länder ebenso betreffen.

Die Krümmung der gestrichelten Kurve zeigt zudem, dass dieses Absinken nicht linear mit der Zeit verlief, sondern immer stärker wurde.

 

Wie geht es weiter?

Die Graphik gibt also wenig Anlass zu Optimismus. Wir befinden uns auf abschüssigem Terrain. Und noch etwas: Auch wenn uns das Schicksal – oder eine Erleuchtung des Wahlvolkes – demnächst eine Regierung bescheren sollte, die von Verantwortung, Kompetenz und Bescheidenheit geprägt wäre, auch dann wäre eine Umkehr nach oben schwer vorstellbar.

Deutschlands wirtschaftlicher Erfolg war weder seinen Rohstoffen, noch dem Tourismus, noch seinen billigen Arbeitskräften zu verdanken. Der Spitzenplatz unter den Industrienationen geht auf seine überragende Kompetenz in technischer Forschung, Entwicklung und Fertigung zurück. Ohne diese professionellen Qualitäten ist eine wirtschaftliche Gesundung – und damit eine Gesundung der Lebensqualität – nicht vorstellbar. Und wie sieht es damit aus? Stehen die besten Ingenieure bei uns in den Startlöchern und warten nur auf das Kommando?

Das Global Finance Magazine hat da kürzlich ein Ranking der Nationen hinsichtlich ihrer technologischen Kompetenz erstellt (2022), und da landet Deutschland auf Platz 13.

1             South Korea

2             United States

3             Denmark

4            Switzerland

5             Sweden

6            Taiwan

7             Japan

8            Netherlands

9            Finland

10           Israel

11            Singapore

12           Norway

13           Germany

 

Auch ohne abergläubisch zu sein muss man erkennen, dass das nicht gut aussieht.

 

Das beste Deutschland

Am 3. Oktober 2020 nun urteilte unser Bundespräsident: „Ja, wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“. Falls sich das „wir“ in seiner Aussage auf die direkten oder indirekten Arbeitnehmer der Politik bezieht, mag das stimmen. Selten hat es so viele davon gegeben, selten hat man ihnen so wenig abverlangt, und selten haben sie so viel dafür bekommen. Für die übrigen Deutschen allerdings war das Ranking zum Zeitpunkt obiger Äußerung bereits von Platz 2 auf Platz 9 abgerutscht. Und das war zu 100% die Verantwortung von Angela Merkel, der „mächtigsten Frau der Welt“.

Hat sie also diese Auszeichnung verdient? Machen wir einen „Lackmustest“. Fragen wir uns, wie Deutschland heute aussähe, wenn es Merkel und ihre Politik nie gegeben hätte. Stünden wir besser da? Viel besser? In solch einem Fall sollte man ihr aber keine Medaille verleihen, oder?

In einem t-online Interview vom 3.11.2021 wird Niall Ferguson die rhetorische Frage gestellt: „16 Jahre lang hat sie Deutschland regiert, Europa und den Rest der Welt zumindest mitgelenkt. Da ist ein wenig Anerkennung für Merkels Leistungen nur recht und billig – oder?“,  „Nein“ ist die Antwort des bekannten Historikers.

Nun, die Medaille wird ja von besagtem Bundespräsidenten verliehen und dessen Beurteilung der Lage kennen wir. Das ist auch nachvollziehbar. Seine Lebensqualität hat sich beim Einzug ins Schloss Bellevue sicherlich nicht verschlechtert, und daran hat ja vielleicht auch die mächtigste Frau der Welt auch etwas mitgewirkt.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.



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