Von Gastautor Frank Jordan
Ralf Schuler, der langjährige Leiter des Parlamentsbüros der BILD in Berlin, der 2022 nach dem Kniefall des Springer Verlags vor der LGBTQI+-Lobby seinen Posten räumte, hat dieser Tage mit „Generation Gleichschritt“ ein bemerkenswertes Buch vorgelegt. Der Titel macht deutlich, worum es geht: Die Regenbogenfahne ist nicht die Standarte von Vielfalt und Freiheit, als die sie präsentiert wird, sondern ihr buntes Bahrtuch.
Bemerkenswert ist der dichte, aber „süffige“ Text zum einen deshalb, weil er dem Leser den perfekt austarierten Mechanismus der nie offen geübten, sondern stets durch die Filter einer von Menschenfreundlichkeit und Gerechtigkeit weichgezeichneten Zensur aus dem Blick des Praktikers präsentiert. Wo andere – wenn auch brillant – nur die theoretische Seite von sich verengenden Meinungskorridoren und von Schweigespiralen beleuchten können, lässt Schuler hier das Licht persönlicher Erfahrung erbarmungslos in jene schlecht gelüfteten Ecken fallen, die für den normalen Medien- und Polit-Konsumenten ansonsten hinter den gut isolierten Türen des „Betriebs“ verbleiben. Zum anderen gelingt es dem Autor durch den totalen Fokus auf die Thematik, dass sich beim Leser eine Art Druckkraft entwickelt, deren Spannung ihn bereits während der Lektüre über das eigentliche Thema hinausträgt und Antwort auf die Fragen nach der Qualität moderner Massendemokratien und nach ihrem Status als dem sprichwörtlichen Ende der Geschichte fordert. Für jeden Freund der Kleinstaaterei und der Subsidiarität eine Freude.
Das Bild, das Schuler vom Maschinenraum des polit-medialen Komplexes zeichnet ist kein Schönes. Man ahnte es ja längst. Es aber in dieser wenn auch diplomatisch formulierten Deutlichkeit vor Augen geführt zu bekommen, ist hoch spannend, unterhaltsam und erschreckend zugleich. Die Demokratie, die sich auf diesen Seiten zur Kenntlichkeit entstellt, ist wie das dicke Holzscheit, nach dem man in der Gewissheit greift, es würde Wärme für Stunden liefern. Um dann beim Hochheben festzustellen, dass es seine besten Tage längst hinter sich hat und dass, was man da hält – leicht, morsch, schwammig – bestenfalls für fünf Minuten den Effekt von Helle und Hitze vorzutäuschen vermag.
Was sich Demokrat und Volksvertreter nennt, zeichnet sich durchs Band nicht durch Vernunft und erst recht nicht durch Verantwortlichkeit aus, sondern gerade durch das Abstreiten aller Verantwortlichkeit und durch eine schon fast bewundernswert beharrliche Charakter- und Überzeugungslosigkeit im Dienst des eigenen Wohls. Alles ist Berechnung – auch jede Bescheidenheit. Echte Überzeugung gibt es nur nach gewonnenen Wahlen oder aus der Sicherheit des Ruhestandes heraus. Bekenntnisse nur dort, wo sie gefahrlos und einträglich sind. Die einzige Partei, der man exklusiv und ohne Vorbehalte dient, ist die Macht. Virtuosität gibt’s exklusiv in den unzähligen Erscheinungsformen der Vorsicht: des sich Duckens, des Kuschens, des Ausweichens, Taktierens, Intrigierens und Abwartens. Und die niederschmetternde Selbstverständlichkeit schliesslich, mit welcher Politiker, wenn Posten winken, zum Gegner überlaufen, und die man gerne als Ausnahme stehen lassen würde, welche die Regel bestätigt, ist die Regel.
Was das Ganze zusammenhält, so der Eindruck, sind der Opportunismus und das gegenseitige Wissen um die Fliehkräfte der Feigheit, die man heute genauso effizient zum Machterhalt einsetzt, wie eh und je. Heute mobilisiert man nicht mehr den Pöbel aus den Vorstädten wie einstmals in Paris, um jedem mit Aufruhr, Terror und Demontage zu drohen, der Anstalten macht, aus der Reihe des ideologisch radikalen Gleichschritts zu tanzen. Heute bietet man die Medien und die Shit-Storm-Brigaden der mit Hunderten von Millionen an Steuergeldern finanzierten sogenannten „Zivilgesellschaft“ auf – hoch professionelle NGOs, regelrechte Kampagnen-Maschinen, die Heere von Pressure-Groups, Aktivisten, Medienkontakten und Sympathisanten zu mobilisieren und die Illusion eines „Mehrheitswillens“ zu schaffen in der Lage sind. Nur so ist die irrwitzige Logik hinter der Praxis erklärbar, welche in sämtlichen zukunftsrelevanten Fragen unter dem Label der „Demokratie“ – Herrschaft der Mehrheit – reine Minderheitenpolitik durchpeitscht um – ein weiteres Mal – die neue Gesellschaft zu gestalten.
Damit aber wird man zu dem Schluss geführt, dass hinter der bunten Kulisse im Grunde etwas viel Gefährlicheres für uns als Gesellschaft im Gange ist, als die Transformation der Demokratie zur Ineptokratie es je sein könnte: Die Transformation des Rechtsstaats in einen Weltanschauungsstaat nämlich. Wo die Demokratie zu einem Schmierentheater und Selbstbedienungsladen wird, ist das zwar tragisch, aber nicht überraschend. Von Plato über Tocqueville bis hin zu Denkern der Gegenwart, haben viele es als den natürlichen Verlauf dieser Herrschaftsform vorausgesehen. Die Demokratie ist nicht der Gott, als der sie uns präsentiert wird, und ihre Aushöhlung, die ja nicht erst seit gestern stattfindet, ist nicht existentiell gefährdend für das Leben, das Zusammenleben und Zusammenarbeiten im Rahmen einer Gesellschaft, solange das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht angeführt wird. Solange also für jeden dieselben verbindlichen, logischen und beständigen Regeln gelten, nach denen er sich, sein Planen und sein Handeln jederzeit ausrichten und auf die er sich jederzeit berufen kann. Wird der Rechtsstaat aber zum Zweck von Machtausbau und Machterhalt von der Politik angetastet, gleitet eine Gesellschaft in die Finsternis einer Willkürherrschaft ab. Nichts, was bisher als sicher galt, ist dann mehr sicher, weil alles sich jederzeit ändern kann. Es grassieren Planungsunsicherheit und Misstrauen. Genau das aber geschieht in sich zunehmend steigerndem Tempo: Unter dem Eindruck sogenannter Krisen und Notstände, unter dem Regenbogenbanner der Gerechtigkeit und unter den Schalmeienklängen globaler Solidarität wird geltendes Recht zunehmend entweder durch supranationales Recht oder durch neue Gesetze konterkariert, gebeugt oder gebrochen, von machtaffinen Gerichten ausgehebelt oder aber durch einen Wust neuer Gesetzt erstickt nach dem Motto: Wo es ein Gesetz gibt, gibt es auch das Verbrechen dazu. Nichts fällt dann leichter, als den politischen Gegner oder den Falschdenkenden nicht nur kaltzustellen, zu ächten und aus der Gruppe der Anständigen auszuschliessen, sondern ihn zum Kriminellen zu machen. Das ist der wirklich abschüssige Weg, der sich hinter den Mechanismen von Feigheit und Vorsicht abzeichnet. Beispiele wie die Diskussion über eine Impfpflicht, die Enteignungen von Währungsreserven fremder Staaten oder von Vermögen von Privatpersonen zeigen, dass wir auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorwärtsgekommen sind.
Damit aber führt einem Schuler direkt zu der Frage nach dem Wie – Wie ist das alles möglich? Wie konnte es soweit kommen? Er beantwortet sie zwar nicht direkt, aber dennoch eindrücklich vermittels zahlreicher Anekdoten. Und diese sprechen eine deutliche Sprache: Weil alle, alle mitmachen. Wohl sind die treibende Kraft dieses fatalen Niedergangs der Staat und seine Hohen und, weil hinter jedem Hohen stets noch ein Höherer steht, wohl auch diese. Aber – und hier hört man regelrecht die eindringliche Stimme La Boëties, die über fünf Jahrhunderte ins heute hinein klingt – nichts, nichts wäre möglich, würden sich die Mehrheit der Bürger, die Wirtschaft, die Kirchen, die Wissenschaft, würden sich die Menschen sämtlicher Lebensbereiche der Gesellschaft gegen diese Anmassung des Politischen, gegen die zunehmende Ideologisierung und gegen die Aushöhlung der Rechtssicherheit stemmen. Nichts könnten sie tun die gewählten und nicht gewählten Demokraten. Ihnen wären die Hände gebunden, hätten die Menschen das Rückgrat, auch mal eine Durststrecke in Kauf zu nehmen zugunsten der zu erhaltenden Bedingungen in deren Rahmen sie bisher frei leben konnten. Aber das Gegenteil scheint heute der Fall zu sein: Viele, wenn nicht die meisten, haben es vorgezogen und ziehen es vor, sich ihre Freiheit und Verantwortlichkeit von der Politik für das Linsengericht von Legislatur-Perioden, Quartalszahlen, politischen Gefälligkeiten, Geldgeschenken und der längst brüchigen Scheinsicherheit des Dazu-Gehörens und In-Ruhe-Gelassen-Werdens abkaufen zu lassen und zahlen dafür den ihnen zurzeit noch billig erscheinenden Preis des Schweigens, des Gleichschritts und des Denkens ab Stange.
Was ist die Remedur? Was können wir tun, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern? Wie standhalten in einer Zeit der Shit-Storms, der Kontaktschuld und des allgegenwärtigen Misstrauens? Schulers Antwort auf diese Frage wird, ohne zu viel verraten zu wollen, jedem Freund der Freiheit das Herz höher schlagen lassen, wenn er mit Kierkegaard schreibt: Die Remedur ist der Einzelne. Weg von allen Ismen und ihren Kollektiven. Zurück zum Individuum, zur persönlichen Verantwortung, zur Befragung des eigenen Gewissens und zum Handeln danach.