Die drei Corona-Jahre haben den Theatern im ganzen Land schwer zugesetzt. Nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs füllen sich die Zuschauerräume nur zögerlich. In Thüringen, das über die größte Theaterdichte Deutschlands verfügt, ist die Lage besonders angespannt. Schon hört man von Plänen, die Kulturlandschaft des Freistaats „neu zu ordnen“. Das sollte ein Warnsignal für alle sein, die nicht wollen, dass ihr Theater verschwindet. Jeder kann das verhindern, indem er die angebotenen Vorstellungen besucht. Es lohnt sich!
Als Beweis führe ich Kleists „Zerbrochenen Krug“ in der Inszenierung des Theaters Rudolstadt an, der am Freitag, dem 6. Januar
erstmals in Sondershausen gezeigt wurde. Bekanntlich besteht seit der Auflösung der Dreisparten-Theater eine Kooperation zwischen dem Theater Nordhausen und dem in Rudolstadt. Nordhausen liefert die Musikbühne, Rudolstadt das Sprechtheater.
Nun zu Kleist. Dieser Dichter gehört zu den faszinierendsten Autoren unserer überreichen literarischen Landschaft. Unter seinen Zeitgenossen galt er als Außenseiter. In der Rezeption wurde er von unterschiedlichen, zum Teil gegnerischen Gruppen vereinnahmt. Der Dichter, dem „auf Erden nicht zu helfen war“, starb jung einen ebenso dramatischen wie romantischen Freitod, der die Gemüter bis heute bewegt.
Wer seine Stücke sieht und seine Werke liest, spürt mit jeder Zeile das Genie.
So auch im „Zerbrochenen Krug“. Das Lustspiel entstand eher zufällig. Drei Freunde betrachteten einen französischen Kupferstich und beschlossen, dass jeder ein Stück dazu schreiben sollte. Kleists Beitrag ging in den Kanon der deutschen Literatur ein.
Jeder hat vom rechtsbrecherischen Dorfrichter Adam, seinem intriganten Schreiber Licht und der energischen Klägerin Marthe gehört, der es vor Gericht nicht nur um den zerbrochenen Krug geht (der ist unbezahlbar!), sondern die Ehre ihrer Tochter Eve, in deren Zimmer das Corpus Delicti stand.
Wie gehen die Rudolstädter mit dem Stück um?
Das Bühnenbild (Teresa Monfared) überrascht auf den ersten Blick. Vor roten Stoffwänden steht ein dreistufige Luftburg. Die entwickelt sich vor den Augen der Zuschauer zur Mitspielerin, denn sie ermöglicht das Auf und Ab der Handlung und die Gedankensprünge des Richters oder die Luftnummern des Schreibers. Im Laufe der Vorstellung, geht dem Ding immer mehr die Luft aus, parallel zu dem einstürzenden Lügengebäude des Richters.
In der Sondershäuser Vorstellung fehlte Hauptdarsteller Matthias Winde. Er wurde durch Intendant Steffen Mensching ersetzt, der die Rolle meisterte, als wäre er von Anfang an bei den Proben dabei gewesen.
Um beim Loben zu bleiben: Kleists Texte sind eine Herausforderung. Jamben, veraltete, beinahe vergessene Wörter (Metze!), kaum noch verständliche Anspielungen, Wortspiele. Alle Schauspieler waren absolut textsicher. Zum Glück haben die Rudolstädter der Versuchung widerstanden, Kleist in einfache Sprache zu übersetzen und auch auf jegliche Mätzchen verzichtet, so dass die schauspielerische Leistung voll zur Geltung kam.
Die Konzession an den Zeitgeist, aus dem Gerichtsrat Walter (Ute Schmidt) eine Rätin zu machen, erwies sich als Glücksgriff. Schmidts Präsenz beherrschte die Bühne, auch wenn sie am Rand stand. Da kam nur eine dagegen an: Marthe (Ulrike Gronow), die auf die Bühne fegte wie ein Tsunami und das Tempo beibehielt. War es die geballte Frauenpower, die den Regisseur (Markus Fennert) veranlasste, die Frau Brigitte mit einem Mann (Marcus Ostberg) zu besetzen?
Absolut sehenswert ist auch der asige Schreiber Licht (Jochen Danser). Solche Figuren sind immer noch unter uns, wie auch Amts- und Machtmissbrauch des Dorfrichters keineswegs ausgestorben sind. Sie leben heute noch.
Neben den Erwachsenen wirken die beide Jugendlichen Ruprecht (Franz Gnauck) und Eve (Kathrin Horodynski) etwas steif.
Wahrscheinlich sind den coolen Jugendlichen von heute die Figuren etwas fremd. Um das zu dämpfen wäre eine weniger nüchterne Kostümierung vielleicht hilfreich gewesen. Was keine Kritik an den Kostümen (Teresa Monfared) an sich sein soll. Bei allen anderen Figuren waren sie stimmig.
Die Zuschauer verfolgten das Stück mit Spannung, sogar mit Herzklopfen, wie mir eine Besucherin verriet. Am Schluss gab es wohlverdiente 5 Vorhänge.
Bleibt nur zu wünschen, dass sich mehr Nordthüringer aufmachen und sich die Vorstellung ansehen. Damit tun sie nicht nur sich selbst etwas Gutes, es dient auch der Erhaltung unserer Theater.
Nächste Vorstellungen: 13.,14.Januar, 5.Februar im Haus der Kunst, Sondershausen