Als ich 1988 aus der DDR rausgeschmissen wurde und in der BRD landete, sagte mir Roland Jahn auf meine besorgte Frage, ob ich meinen Kindern, drei und fünf, eine Fahrt mit kurzen Umstiegszeiten zumuten kann: „Keine Angst, nach der Bahn kannst Du Deine Uhr stellen“. Ich glaubte ihm, denn der legendäre Slogan: „Alle reden vom Wetter, wir nicht“, mit dem die Bahn ihren Anspruch auf Pünktlichkeit unterstrich, war auch in der DDR bekannt und wurde oft zitiert, wenn die sozialistische Wartegemeinschaft sich über die Verspätungen der Deutschen Reichsbahn, so hieß sie in der DDR noch, ärgerte.
Aber ich kann mich an kein einziges Mal erinnern, dass ich damals auf einem Bahnhof stand und feststellen musste, dass der Zug nicht hielt. Das passierte mir im Vereinten Deutschland schon zwei Mal. Die ersten beiden Male in Berlin-Südkreuz, wo der ICE nach München einfach durchraste. Aber da konnte man den nächsten ICE nehmen und doch noch zum Ziel kommen.
Heute war es schlimmer. Weil an diesem Mittwoch die normale Verbindung zwischen meiner Heimatstadt und Berlin fast doppelt so lange dauerte, wie sonst, fuhr ich zwanzig Minuten mit dem Auto nach Berga-Kelbra, eine Art Hauptbahnhof für die ländliche Umgebung. Von hier aus ist man in weniger als drei Stunden in Berlin. Wenn der Zug hält. Die Fahrkarte hatte ich gestern Abend gekauft, da sah alles normal aus. Die Bahn-App schickte auch keine Warnung. Ich erfuhr erst an Ort und Stelle, dass ich nicht weiterkam. In die nächste Stadt zu fahren, lohnte sich nicht, denn ich würde mit der nächstmöglichen Verbindung zu spät zu meinem Termin kommen.
Mir ist bewusst, dass ich hier keinen Einzelfall schildere, sondern dass die Unzuverlässigkeit der Bahn inzwischen trauriger Alltag ist. Der Bahn scheint das inzwischen nicht einmal mehr peinlich zu sein. Sie erfüllt zwar ihre eigentliche Aufgabe, Passagiere verlässlich von A nach B zu bringen, mit jedem Tag schlechter, aber dafür wird ihre Haltung umso fester. Divers, grün, feministisch – das sind die Felder, auf denen sich die Bahn tummelt. Laut Propaganda gab es schon Züge, die nur von Frauen betrieben und an der Strecke betreut wurden. Das wird kaum einen Passagier interessiert haben. Auch das Bahncard 50-Besitzer angeblich nur mit Ökostrom fahren, hämmern uns die Bahnpropagandisten ein, während der Sitznachbar mit normaler Fahrkarte möglicherwiese, sogar Atomstrom verbraucht, eine Schande, die nur durch den sofortigen Erwerb einer Bahncard behoben werden kann.
Mit Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu werben, kommt den Verantwortlichen nicht in den Sinn. Ein anderes ehemaliges Symbol für Zuverlässigkeit und Effizienz, die deutsche Post, findet es inzwischen nicht mehr zumutbar, Briefe von einem Tag auf den anderen zu befördern.
Das ist symptomatisch für Deutschland, für das der Dario Fo-Spruch: „Wir stecken zwar bis zum Hals in der Sch…, aber dafür tragen wir den Kopf hoch erhoben!“ mit jedem Tag mehr zutrifft.
Ach ja, ich kann eine Rückerstattung meiner Fahrkarte beantragen. Auch wenn sie großzügig gewährt werden sollte – für die Folgekosten ist Niemand verantwortlich.