In den letzten Wochen, in denen wieder Krieg in Europa geführt wird, über den nicht verhandelt werden soll, habe ich zwei künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Ersten und den Zeiten Weltkrieg gelesen und gesehen, die ich allen dringend ans Herz legen möchte, die meinen, der Krieg in der Ukraine müsse unbedingt weiter gehen.
Die Lektion, die aus den verheerenden Kriegen des letzten Jahrhunderts hätte gelernt werden müssen, dass ein militärischer Sieg niemals zum Frieden führt, ist schon wieder vergessen, oder nie wirklich gelernt worden.
Der letzte Krieg des vergangenen Jahrhunderts auf dem Balkan ist durch Einfrieren beendet worden, nicht durch einen Friedensschluss. Es ist allemal besser, das Morden zu beenden, als es zu befördern.
Zum Kriegsführen gehören immer zwei: Diejenigen, die ihn führen wollen, aber selbst nicht auf dem Schlachtfeld sind und denjenigen, die sich führen lassen und die das mit ihrem Leben oder ihrer Gesundheit bezahlen. Heil kommt niemand aus einem Krieg heraus, nicht als Soldat und nicht als Zivilist.
In „Finale Berlin“ von Heinz Reim, der in seinem Roman die letzten drei Kriegswochen in Berlin beschreibt, spricht der Wahnsinn des Krieges aus jeder Zeile. Reim hat den Kampf um Berlin offensichtlich selbst miterlebt, sonst hätte er ihn nicht so genau schildern können.
Die Handlung beginnt am 14. April, als ein Deserteur eine Kneipe am Schlesischen Bahnhof, heute Ostbahnhof, betritt und zufällig auf einen Wirt trifft, der ihn nicht sofort an die Gestapo verrät, weil er Mitglied einer kleinen Widerstandsgruppe ist, wie es sie auch nach der Zerschlagung der bekannten Gruppen, wie die Rote Kapelle, Die Herbert-Baum-Gruppe und die Verschwörer des 20. Juli noch gegeben hat.
Es ist einer der letzten Tage vor dem großen Sturm. Die Sowjets stehen an der Oder, die Amerikaner an der Elbe. In der Hauptstadt hat sich der Führer in seinem komfortablen Bunker verkrochen, der so solide ist, dass die Bombeneinschläge, die in der Umgebung niedergehen, nicht zu spüren sind. Von hier aus will Hitler die Kriegswende herbeiführen, oder Deutschland untergehen lassen.
Der heutigen Antifa scheint nicht bewusst zu sein, dass sie ganz im Sinne Hitlers agiert, wenn sie „Nie wieder Deutschland“ brüllt.
Während die drei Millionen Menschen, die sich in Berlin befinden, kaum noch aus den Kellern kommt, weil die Stadt Tag und Nacht von den Alliierten bombardiert wird, funktioniert der SS-Staat noch fast reibungslos. Die Gestapo fahndet nach Deserteuren und „Verrätern“, die Propaganda erfindet immer neue Geschichten, warum der Endsieg bevorsteht und den täglichen Wehrmachtsmeldungen wird immer noch geglaubt. Zwar gibt es kritische Bemerkungen, die aber sofort verstummen, sobald eine öffentliche Person erschient – und sei es nur der Luftschutzwart. Die Menschen sind abgestumpft gegenüber der täglich schlimmer werdenden Zerstörung ihrer Stadt, sie bringen kein Mitgefühl mehr für ihre Mitmenschen auf. Wenn in einer Schlange, die nach Brot ansteht, eine Frau tödlich getroffen wird, wird, überwiegt in der Menge das Gefühl der Erleichterung, einen Nahrungsmittelkonkurrenten los geworden zu sein. Rein schildert nicht nur, wie es sich anfühlt, unter ständiger Todesdrohung zu stehen, er liefert auch genaue Psychogramme der Mitläufer.
Das Buch ist voller überraschender Details. Die kleine Widerstandsgruppe des Kneipenwirts hat auch eine junge Frau mit einer atemberaubenden Biografie zum Mitglied. Lotte gehörte der Herbert- Baum-Gruppe an, einer jüdischen Widerstandsgruppe aus Weißensee, die im Mai 1942 einen Brandanschlag auf die Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ durchführte. 23 Mitglieder wurden zum Tode verurteilt, 22 hingerichtet. Lotte entging der Hinrichtung, weil sie krank war und Kranke nach dem Gesetz nicht hingerichtet werden durften. Danach verschwand ihre Akte, sodass sie vier Jahre lang von Gefängnis zu Gefängnis rumgeschoben wurde, bis jemand auffiel, dass sie Jüdin war. Das brachte sie in ein Lager für Juden, aus dem sie entkommen konnte. Nun lebte sie mit falschen Papieren in Berlin und hatte ihren Widerstand gegen die Nazis wieder aufgenommen. Sie verteilte Flugblätter gegen die Sinnlosigkeit des Krieges, aber die wirkungsvollsten Taten der Gruppe bestanden darin, dass sie Deserteure oder Untergetauchte mit falschen Papieren versorgte. Ein Mitglied, ein illegaler Kommunist, nutzte seine Arbeitsstelle bei der Reichsbahn, um Sabotage zu üben – bis ihm die Gestapo auf die Spur kam und er gänzlich untertauchen musste.
Interessant sind auch die Psychogramme, die Reim von Mitgliedern der Polizei, SS und Gestapo liefert.
Als der Sturm auf Berlin begann, hörten die alliierten Bombardements auf, weil man die in die Stadt eindringenden Rotarmisten nicht treffen wollte. Dafür wurde Berlin nun mit Artillerie beschossen. Und zwar nicht nur von den Sowjets, auch von der Wehrmacht. Zusätzlich folgte die SS dem befohlenen Vernichtungsprogramm, indem sie Brücken, Gebäude und wichtige Lebensadern der Stadt zerstörte. Eines der schlimmsten Verbrechen war die Sprengung der Mauer zum Landwehrkanal, was die Flutung des U-Bahntunnels bis hin zum heutigen Nordbahnhof zur Folge hatte. Kurz vorher hatte man noch einen Zug mit Verwundeten in den Tunnel geschoben. Tausende Frauen, Kinder und Verwundete ertranken.
Auch in den letzten Apriltagen gab es Menschen, die inmitten des tödlichen Chaos noch an eine Wende und den Endsieg glaubten. Die Propaganda hatte versichert, dass der Führer den Sowjets mit Berlin nur eine Falle gestellt hätte und die Entsatzarmeen, sowie die Wunderwaffe, die in aller Munde war, die Wende herbeiführen würden.
Je mehr sich die Sowjets dem Stadtzentrum näherten, desto schlimmer wurde der Terror der SS. Mitte April kam die Direktive heraus, das jeder berechtigt, ja verpflichtet sei, Deserteure und Verräter, oder was er dafür hielt, standesrechtlich zu erschießen oder zu erhängen. Zum Schluss gab es über zweitausend erhängte Deserteure in der Stadt.
Übrigens wurden erst im Jahr 2002 die Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure und im Jahr 2009 die Urteile wegen Kriegsverrat und damit auch wegen Desertion an der Front aufgehoben.
In den letzten Tagen, während Hitler sich in seinem Bunker noch der Hoffnung auf die Armee Wenck hingab, sich gleichzeitig aber auf seinen Abgang vorbereitete, der laut seinen Nero-Befehlen auch den Untergand ganz Deutschlands, das sich seiner nicht würdig erwiesen hätte, nach sich ziehen sollte, kämmte die SS systematisch alle Häuser und Ruinen durch, um jeden Mann von 14 bis 65 Jahren in den sinnlosen Kampf zu jagen. Die Aufgespürten folgten, weil sie den wahrscheinlichen dem sicheren Tod vorzogen.
Während die Wachen der Reichskanzlei mit den Sekretärinnen tanzten, nahm sich Hitler am 30. April das Leben und ließ mit einem letzten Befehl die Lüge verkünden, er sei im Kampf an der Front gestorben. Es dauerte noch zwei weitere Tage, bis endlich die Kapitulation Berlins erfolgte.
Als die Widerstandsgruppe auf den ersten Rotarmisten traf, musste sie sofort ihre Uhren abgeben. Einen Tag später wurde ihr die Aufgabe zugewiesen, das Leben in der zerstörten Stadt zu reorganisieren. Dabei hatten die Mitglieder die Schreie der vergewaltigten Frauen im Ohr, die sie so bald nicht vergessen würden.
Wer wissen will, wie Berlin nach der Schlacht aussah, muss sich den Film „Die Mörder sind unter uns“ anschauen, der in den Ruinen gedreht wurde. Es gleicht einem Wunder, dass aus diesem Trümmerfeld wieder eine lebendige Stadt wurde, zwar nicht in alter Schönheit, aber gut bewohnbar nach dem zweiten Krieg.
Nicht mehr auffindbar nach dem dritten? Wer diesen Gedanken für absurd hält, den verweise ich auf Twitteräußerungen von Journalistinnen, die meinen, bekunden zu müssen, lieber einen Atomkrieg erleben zu wollen, statt in der Ukraine-Krise nachzugeben.
Im Westen nichts Neues? Davon morgen mehr.