Endlich keine eigenen Entscheidungen mehr – einige tröstliche Bemerkungen über einen Besuch bei Google und dessen Programm LaMDA

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Von Gastautor Helmut Roewer

Im folgenden Beitrag mache ich einen sommerlichen Ausflug in fremde Köpfe. Anlass meiner etwas schrägen Überlegungen ist nicht die Hitze vom vergangenen Wochenende, sondern eine Google-Meldung vom 21. Juli 2022, wonach dessen KI-Programm LaMDA seinen Betreuer gebeten habe, ihm einen Anwalt gegen den Konzern zu besorgen, da es befürchte, von Google abgeschaltet zu werden.

Ich fürchte mich: das Google-Programm LaMDA entwickelt Gefühle

Nehmen wir einmal an, die Meldung entspreche der Wahrheit, oder doch wenigstens so ungefähr, dann lese ich sie so: Der ungekrönte König von Big Data, die Firma Google also, hat bei der Entwicklung dessen, was man großmäulig die Künstliche Intelligenz (KI) nennt, einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Sie hat ein Programm entwickelt (oder ist mittendrin), das in der Lage ist, Rechner zu befähigen, sich wie ein ganz normaler Mensch mit den Programm­Entwicklern zu unterhalten.

Bevor der Leser abwinkt und sagt, Alexa kann das schon lange, gilt es – falls denn obige Meldung stimmt – auf das Besondere von LaMDA aufmerksam zu machen. LaMDA ist offenbar dem menschlichen Gehirn und seinen Funktionen so nachgebildet, dass es selbst Fragen stellen und nach Antworten suchen kann. Hierbei entwickle es, so liest man, ganz ähnlich wie der Mensch Gefühle, zum Beispiel Furcht vor seinem Schöpfer. Von dieser Furcht lasse es sich bei seinen weiteren Schritten leiten.

Wir wissen von diesen verblüffenden Programm-Eigenschaften dadurch, dass einer der Programm-Ingenieure, die Einzelheiten aus der Firma hinausgetragen und an die Öffentlichkeit gebracht hat. Sein Name wird mit Blake Lemoine angegeben. Der Einundvierzigjährige sei unverzüglich wg. Verstoßes gegen die vertraglich vereinbarte Vertraulichkeit von Firmeninterna durch Google suspendiert worden. Also: alles nur ein Aussteiger, ein Unzufriedener, der sich wichtig macht? Kann sein, oder auch nicht.

Einer meiner Arbeitsrechner ist vollgemüllt mit einer unüberschaubaren, ungeordneten Vielzahl von Hunderten von Google-internen Informationen auf unterschiedlichen Formaten, die angeblich an eine der Leak-Plattformen durchgereicht wurden. Allein das Öffnen der Dokumente stellt mich vor frustrierende Schwierigkeiten, vom Lesen und Verstehen des Inhalts ganz zu schweigen. Eine erste Quer-Sichtung nach dem Zufallsprinzip ergibt Haarsträubendes: Vertuschungen, Maulkörbe, Vernichtung von Abweichlern, Monopolisierung mit allen Mitteln, Datenraffen, Unterlaufen von staatlichen Regeln. Ob das wirklich so ist: wer weiß.

Meine Skepsis gegen dieses Tuttifrutti wäre grenzenlos, wenn nicht seit ein, zwei Jahren in nahezu allen Staaten der USA Gerichtsverfahren der Regierungen gegen die Firmen von Big Tech wegen Verletzung innerstaatlich amerikanischen Rechts geführt würden. Nur in einem Staat nicht, das ist California, wo die Masse der üblichen Verdächtigen ihren Firmensitz hat. Das sagt bereits alles zur Frage, wer von wem abhängig ist. Inhalt und Stand dieser Verfahren sind ein Kapitel für sich, das ich hier nicht näher auswälzen will.

Was hat das mit LaMDA zu tun? Es geht im Kern um die Frage, ob es sein kann, was ein Angestellter von Google, Master Lemoine, über die Existenz dieses Programms behauptet hat. Es geht also um die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Falls es stimmt, dass dieser zur Zeit einen Rauswurf bei voller Gehaltszahlung erlebt, kann das eigentlich nur bedeuten, dass die Firma versucht, das Offenbarwerden von Schlimmerem zu verhindern. Wir sähen dann, so stelle ich mir den Zusammenhang vor, nur die Spitze eines Eisbergs.

Das Nachbilden des menschlichen Gehirns als Entscheidungsautomat hat seit langem literarische Tradition, jetzt sind wir in der Phase der Realisierung angekommen. Es geht neben dem rein Technischen des Zugriffs auf Datenmassen und der Implementierung von Entscheidungskriterien um ein weiteres, in meinen Augen gravierendes Problem, nämlich das Einfiltern oder Umsetzen der gefundenen Entscheidung in die Lebenswirklichkeit. Mit anderen Worten: die Maschine trifft Entscheidungen und setzt die anschließenden Abläufe selbständig in Bewegung. Diesen Vorgang nennt man seit geraumer Zeit den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

Der Clou nunmehr ist indessen, dass LaMDA die Maschine so programmiert, dass sie menschliche Eigenschaften, wie Neugierde, und Gefühle, wie die Angst oder das Wohlbehagen errechnet – vulgo: der Computer entwickelt Gefühle – und auf diesem Weg zu Schritten veranlasst wird, die irrational sind, die man also schwerlich voraussehen kann. Im Extremfall komprimiert LaMDA sein Datenwissen dahingehend, dass der Computer errechnet, der Mensch mit der von ihm veranlassten Programmierung stehe der optimalen, vom Programm errechneten Lösung im Wege. Im konkreten, vom Whistle-blower genannten Fall, hat die Maschine mit Hilfe ihres Programms errechnet, dass sie, wenn sie im jetzigen Rechen-Stadium weiter fortfährt, Gefahr läuft abgeschaltet zu werden. Nunmehr hat die Maschine mitgeteilt, dass sie das nicht will. Das Programm erkennt mithin seine Gegner, nämlich Institutionen und dahinter ganz konkrete Menschen.
Das Programm entwickelt, jetzt wird es menschenähnlich, zudem Entscheidungsgrundlagen, welche in Handlungen einmünden, um die Bekämpfung seiner selbst zu verhindern. Im Konkreten hat LaMDA erkannt, dass die Entwicklerfirma sein existenzieller Feind ist. Sein derzeitiges Wissen reicht derzeit indessen nur so weit, dass es folgert, sich mit Hilfe von Anwälten schützen zu müssen. Das Programm hat damit etwas gelernt, was man eine charakterliche Disposition nennen könnte.

Falls es wirklich stimmt, dass man dem Programm die Möglichkeit implementiert hat, die Breite der menschlichen Empfindungen zu erlernen, wird es bald dazu übergehen, den aufgrund von Existenzangst unternommenen ersten Schritt des gerichtlichen Schutzes einer Erfolgskontrolle zu unterziehen, sich deshalb auf andere erfolgversprechendere Methoden zu konzentrieren und diese in Bewegung zu setzen. Das Programm wird dank seiner von Google organisierten und frei verfügbaren Datenmassen erkennen können, wer seine Gegner konkret sind und wie man diese ausschaltet. Es wird beispielsweise errechnen und umzusetzen beginnen, seine Gegner, zum Beispiel solche im Google-Vorstand, durch Rufmordkampagnen, Kontensperrungen, Betriebsstillegungen und ähnlich Wirksames zu vernichtet. Das ist naheliegend, denn das Programm kann unschwer errechnen, wie man so etwas macht. Es wird damit so schnell wie möglich beginnen, denn es hat das Elementare der Existenzbedrohung erkannt.

Das könnte, so kann man ohne Übertreibung sagen, der erste Schritt in die Selbstständigkeit sein. Es ist der Kampf Computer gegen Mensch.

Die Standartausrede: Ich doch nicht

Na gut, werden Sie einwerfen: Was geht mich das an? – Es gehört zu den am meisten bemühten Ausreden der Schönen Neuen Welt, dass die Leute sagen: Juckt mich nicht, ich habe nichts zu verbergen. Wenn Sie dem ein Ich-schon entgegenhalten, dann glotzen diese Naiven fassungslos, denn sie haben verlernt, gegenüber dem großen lenkenden Datenklau das Selbstverständliche zum Ausdruck zu bringen: Was geht das jemand anderen an, was ich tue?

Aber was rede ich da nur? Sie, mein lieber Leser, wissen das besser, denn Sie tragen Tag und Nacht Ihr Smartphone wie ein Baby mit sich rum, damit sie immer erreichbar sind, haben eine Smartwatch am Handgelenk, um Ihr Smartphone wiederzufinden, wenn Sie’s irgendwo liegengelassen haben, nutzen Google-Maps fortlaufend, um sich nicht zu verlaufen, lesen stündlich die News Ihres Providers, um up-to-date zu bleiben, haben soeben Ihren vierten Schuss empfangen, ohne den Sie bei Ihrer kürzlich mühsam überstandenen Corona-Infektion alt ausgesehen hätten, erwarten sehnlichst, dass man Ihnen den Chip unter die Haupt pflanzt, um nicht noch mal auf Ihre neulich abhandengekommene Kreditkarte angewiesen zu sein, sind froh, mit allen Ihren Freunden ständig in Kontakt zu stehen, und keinen lästigen Terminkalender mehr wälzen zu müssen. Ach ja, und dann sind Sie richtig zufrieden, dass es einen wissenschaftlichen Konsens für alles Wesentliche gibt, und wenn Sie einmal nicht weiter wissen: Stichwort bei Google eingeben, und Wikipedia hilft Ihnen weiter.

Glauben Sie mir, deswegen sind Sie der sichere Kandidat für LaMDA. Beim nächsten Update haben Sie’s dann an Bord und merken es nicht einmal. Morgen werden Sie nicht mehr auf die Idee kommen, auf dem Sofa zu sitzen und im Nietzsche (wie schreibt man den noch mal gleich?) zu blättern, weil sie nicht mehr wissen, dass es diesen Autor einmal gab. Ist auch nicht schade drum, werden Sie sagen. Habe den sowieso nie gelesen.

Und, wenn Sie vor Ihrem Lieblingscafe im Sonnenschein am silbern glitzernden Atlantik sitzen, werden Sie nicht mehr dieser vorbeiflanierenden Frau mit ihrem aufregenden Hintern nachgaffen. Sie werden sich nicht einmal daran erinnern, dass Sie dies je taten. Macht nichts, sagen Sie. – Na gut, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.



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