Auch wenn die schlimmstmögliche Regierungskoalition abgewendet werden konnte, hat sich Deutschland nach der Wahl bereits verändert. Die FDP, die 2017 auf Druck ihrer Geldgeber aus den Jamaika-Koalitionsverhandlungen aussteigen musste und damit die Grünen auf die Oppositionsbank geschickt hat, spielt nun die Rolle des Königsmachers. Noch in der Wahlnacht machte Christian Lindner den Vorschlag, dass FDP und Grüne miteinander reden sollten, bevor sie in Sondierungsgespräche eintreten.
Im Klartext heißt das, die beiden kleinen Parteien kungeln untereinander aus, wer Zugriff auf welche Ämter haben wird und suchen sich danach den passenden Kanzler aus.
Mein Tipp: Habeck wird Außenminister und Lindner übernimmt das Finanzamt. Vielleicht werden sie dafür großzügig den Bundespräsidenten bei der SPD lassen. Das wäre ein Platz, an dem Saskia Esken den wenigsten Schaden anrichten kann.
Auf welches „gemeinsame Projekt“ werden sich Gelb und Grün einigen? Auf gar keins, wenn man die Posten- und Pfründeverteilung nicht dafür ansieht. Mit den heutigen Gesprächen von Gelb-Grün ist der knappe Sieger Olaf Scholz noch vor seinem Amtsantritt zum Frühstücksdirektor degradiert worden. Es ist aber gar nicht sicher, ob Scholz als passender Partner von Gelb-Grün erwählt wird. Armin Laschet wäre das viel willigere Wachs in den Händen von Habeck und Lindner. Von ihm ist keinerlei Widerspruch zu erwarten, denn bei ihm geht es um sein politisches Überleben. Nur wenn er sich in eine Jamaika-Koalition retten kann, ist sein politischer Untergang abgewendet.
Er ist nur deshalb nicht sofort abserviert worden, weil mit ihm die Aussicht auf Posten und Pfründe ganz verloren ginge. Das Gerücht sagt, dass Laschet in der CDU-Vorstandssitzung nur darauf hinweisen musste, dass in der Opposition nur ein Posten zur Verfügung steht, der des Fraktionsvorsitzenden.
Was aber machen die ehemaligen Minister und Staatssekretäre, die sich an ihre persönlichen Dienstwagen samt Entourage gewöhnt haben, als wäre es ein Stück ihres Selbst? Die Altmeier, Spahn, Kramp-Karrenbauer und diejenigen, deren Namen man sich jetzt auch nicht mehr merken muss, sehen sich auf den profanen Bundestagsfahrdienst und die Hinterbank zurückgeworfen! Welch Grauen! Die werden alles tun, um Laschet als einzig möglichen Verhandlungsführer zu behalten. Sein Kopf wird, wenn er erfolglos ist, später umso sicherer rollen.
Genauso sicher ist, dass die Union bis heute nicht begriffen hat, warum sie abgewählt wurde. Merkels kaum beherrschtes Strahlen angesichts der verheerenden Niederlage ihrer ungeliebten Partei, der sie zwar alles verdankt, deren Liebe sie aber nie erwiderte, sprach Bände. Laschets finaler Kniefall vor der Frau, die Deutschland zum Sanierungsfall gemacht und ihm jeden möglichen Stein in seinem Kandidatenweg gelegt hat, erhellte schlaglichtartig, was seine Erfolglosigkeit ausmachte: Er hat Anlauf genommen, die richtigen Themen zu setzen: Innovationsjahrzehnt mit Bürokratieabbau, Festhalten an der Rechtsstaatlichkeit und am Grundgesetz, auch in der Corona-Krise und ist dann nicht gesprungen, weil er den Mut nicht aufbrachte, sich von der Merkel-Politik loszusagen. Er hat nicht begriffen, dass er nur gewinnen konnte, wenn er den glaubwürdigen Versuch machte, die Wähler, die sich wegen Merkel von der CDU abgewandt hatten, zu überzeugen, dass es sich wieder lohnt, CDU zu wählen. Olaf Scholz gewann nicht aus eigener Stärke, sondern wegen der Schwäche seines Kontrahenten.
Es gab kein Argument, das die Behauptung im Wahlkampf stützte, dass Deutschland von der Union regiert werden müsste. Im Wahlkampf der inhaltslosen Phrasen stimmte die CDU ununterscheidbar von den anderen Altparteien ein. Wenn jetzt nach der Wahl gesagt wird, die Union müsste ihre Themen unbedingt ins künftige Deutschland einbringen, fragt man sich: Welche Themen? Nachdem die Partei unter Merkel ihren Markenkern restlos aufgegeben hat, steht sie ohne jede Idee, geschweige denn Zukunftsprojekt, da. Wenn Laschet, Ziemiak & Co jetzt nach einer „Zukunftskoalition“ rufen, werfen sie indirekt die Frage auf, welche Inhalte sie denn in so eine Koalition einbringen wollen. Ich sehe da nichts, außer dem Verlangen, wenigstens einen Teil der Posten und Pfründe zu sichern.
Es ist dennoch nicht auszuschließen, dass sich trotzdem die Irrationalität Bahn bricht und ein Machtkampf um den einzig sicheren Posten doch beginnt. Ralf Brinkhaus, der es geschafft hat, außerhalb seiner Blase als Bundestagsfraktionsvorsitzender unbekannt zu bleiben, will seinen Vorsitz nicht aufgeben. Gleichzeitig wollen Jens Spahn und Laschet, sollte es nichts mit der Regierung werden, die Führung der Fraktion. Selbst wenn Laschet noch die volle Verantwortung für seine Niederlage übernehmen und zurücktreten sollte, bleibt das Problem bestehen, denn es gibt noch Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Peter Altmeier, die nach Höherem streben. Ein solcher Kampf trägt den Keim des Untergangs der CDU in sich.
Laschet weigert sich, die Konsequenzen aus dem desaströsen Wahlergebnis zu ziehen, weil er zurecht die Schuld nicht allein auf sich nehmen will. Markus Söder hat mindestens einen gleich großen Anteil daran. Der Bayrische Ministerpräsident hat nichts unversucht gelassen, Laschet, nachdem er als Kanzlerkandidat nominiert war, als Depp hinzustellen, was die Medien begierig aufgegriffen und verbreitet haben. Erst als seine Sabotage auch vom Mainstream thematisiert wurde, hat er von seiner Stichelei zeitweilig abgelassen, um sie kurz vor der Wahl wieder aufzunehmen. Dabei hat Söder ebenso verloren, wie Laschet. Er hat das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der CSU eingefahren, was nur durch die Tatsache verdeckt wird, dass fast alle Direktmandate gewonnen wurden. Deshalb hat die Werteunion zurecht den Rücktritt von Laschet und Söder gefordert.
Gleichzeitig hat dieses Ergebnis zur Aufblähung des Bundestages beigetragen, denn dadurch, dass die CSU ihre Fraktionsgemeinschaft mit der CDU in jeder Legislaturperiode erneuert, ergeben sich aus dem CSU-Ergebnis Ausgleichsmandate, die nicht entstehen würden, wenn man die Bundestagsfraktion von CDU und CSU als dauerhafte Fraktionsgemeinschaft, die es de facto ist, betrachten würde.
Mit aller Kraft versucht die Union so weiterzumachen wie bisher. Sie hat das Signal nicht gehört, das der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, bedrängt durch die AfD, vernommen hat: „Einfach so weiter machen geht nicht“, denn es „muss ins Verderben führen“.