Heute ist der 23. August. Die Schlagzeilen der Nachrichten werden bestimmt von der Schießerei am Kabuler Flughafen, dem neuen Bahnstreik, der gestiegenen Inzidenz, dem laschen Wahlkampfauftakt der Union, den Lastenfahrrädern, mit denen die Grünen die Handwerker im ländlichen Raum beglücken wollen. Fehlt da nicht etwas?
Während alle möglichen und unmöglichen Gedenktage pflichtschuldigst gemeldet werden, herrscht heute dröhnendes Schweigen. Dabei hatte das Europäische Parlament am 2. April 2009 beschlossen, den Jahrestag der Unterzeichnung des Hitler-Stalinpaktes als “Europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus” zu begehen.
Schon während der Parlamentsdebatte und der Abstimmung wurde klar, dass dies vor allem ein Anliegen der Osteuropäer war, dem die Abgeordneten aus dem Westen nur nachkamen, weil eine Ablehnung zu viel Wirbel gemacht hätte. Schließlich soll der Gedenktag an alle Opfer von totalitären europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert erinnern. Er wurde durch die Prager Erklärung von 2008, die unter anderem von keinen Geringeren als Vaclav Havel und Joachim Gauck unterzeichnet wurde, angeregt.
Durchgeführt wurde er nur in den ersten Jahren nach dem Beschluss. Heute hört man insbesondere in Deutschland, das allen Grund hätte, sich zu erinnern, nichts mehr davon.
Nur kleine Opferverbände, wie die Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion versuchen, den Tag mit Leben zu erfüllen. In diesem Jahr erinnert die Lagergemeinschaft an einen Artikel über die trauerunfähige Linke des 2014 verstorbenen Journalisten, Publizisten und Schriftstellers Ralph Giordano. Der Artikel erschien bereits im SPIEGEL 1992. An Aktualität hat er nichts verloren. Giordano erinnert darin an den wenig bekannten Aufstand von Workuta am 1. August 1953 und an die vergessenen Akteure, die einen Ehrenplatz in der deutschen Erinnerungskultur verdient hätten.
Der Artikel ist hier zu lesen: http://www.workuta.de/aktuelles/index.html