Die Mehrwertsteuer-Senkung – die größte Steuersenkung der letzten Jahrzehnte?

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Von Gastautor Michael Wolski

Als die Bundesregierung am 4. Juni 2020 die MwSt. Senkung um einige Prozentpunkte bekanntgab (von 19 auf 16 Prozent bzw. bei der ermäßigten Steuer von 7 auf 5 Prozent) waren viele Medien aus dem Häuschen.

Man wiederholte die Äußerung des Finanzministers, wonach es die „größte Steuersenkung der letzten Jahrzehnte“ sei.

Verbraucherschützer beobachten genau, ob es echte Nachlässe für die Kunden gibt.“ das klingt martialisch. Aber was passiert, wenn die Unternehmen sie nicht weitergeben? Gar nichts. Alles Lärm um viel Nichts.

Das Problem liegt darin, dass es aus staatlicher Sicht einen Ausfall der Mehrwertsteuer in Milliardenhöhe gibt, aber es gibt auch Millionen Beteiligte, die davon profitieren. Einer Summe beim Finanzminister stehen also etwa 80 Millionen Konsumenten gegenüber und auf dieser Seite tut sich mit Einsparungen wenig.

Andererseits haben die Unternehmen jetzt erkannt, dass es – je nach Zielgruppe (Endkunde, der profitiert, oder Geschäftskunde, für den die Mehrwertsteuer eine durchlaufender Posten ist) sowie dem Digitalisierungsgrad der Firma unterschiedlich hohe Aufwendungen gibt. Denn es muss auf jedem Kassenbon, auf jeder Webseite für Endkunden und in jeder Werbung der Endpreis angegeben werden. Es ist verboten zu schreiben: Endkundenpreis 100 plus die gültige Mehrwertsteuer. Da kommen sofort Verbraucherschützer oder Wettbewerber mit einer Abmahnung.

Wie sieht das in der volkswirtschaftlichen Rechnung aus?

2017 betrug das verfügbare Einkommen je Einwohner in Berlin 20.330 Euro und in Brandenburg 20.225 Euro. Das waren weniger als 90 Prozent des durchschnittlichen verfügbaren Einkommens in Deutschland in Höhe von 22.623 Euro, teilt das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg mit.

Hat also ein durchschnittlicher Berliner Haushalt ein monatlich verfügbares Einkommen von 1.694,17 € (20.330 ./. 12) dann rechnen wir zuerst die Netto-Wohnungsmiete heraus, die ja nicht der MwSt. unterliegt. Verbleiben (grob geschätzt) 1.200 €. Davon gehen 500 € bspw. in Lebensmittel, Bücher, Zeitungen, Blumen und Beiträge in gemeinnützigen Vereinen ab (7 % MwSt.), 500 € in Waren und Leistungen mit 19 % MwSt. und die verbleibenden 200 € werden gespart.

Rechnen wir die Ausgaben und unter Annahme, dass der Endverbraucher die eingesparte MwSt. erhält:

  • 500 € bei ermäßigter MwSt., verbleiben bei 7 % 467,29 € und neu bei
    5 % 476,19 €. Das wäre eine monatliche Ersparnis von 8,90 €.
  • 500 € bei normaler MwSt., verbleiben bei 19 % 420,16 € und neu bei
    16 % 431,03 €. Das wäre eine monatliche Ersparnis von 10,87 €.
  • Beides zusammen wäre Ersparnisse von 19,77 € monatlich und auf
    6 Monate gerechnet 118,62 €.

Aber wie sieht das in der betriebswirtschaftlichen Rechnung aus?

Nehmen wir als Fallbeispiel einen Kosmetiksalon.
Die Inhaberin hat ab 1. Juli zwei Möglichkeiten, die 3 Prozentpunkte wie folgt in die Preise einzupflegen. Eine spannende Frage – wie wird sie entscheiden?

  1. Preise bleiben wie sie waren. Kostete die Kosmetikbehandlung 70 Euro, belässt sie den Preis bei 70,00. Denn sie ist ja gesetzlich nicht verpflichtet, die MwSt. Senkung an die Kundin weiterzugeben. Nach 10 Wochen staatlich verordneter Schließzeit, Investitionen in Masken, Zettel für die Adressdaten der Kunden mit Schreibunterlage, Schutzvisier und Acrylscheibe an der Kasse hat sie also allen Grund, diese Einnahmen aus 3 Prozentpunkten Steuersenkung in ihre Tasche zu stecken.
    Auf der Webseite und in der Preisliste im Salon, wo alle Preise angegeben sein müssen, ändert sie nur den Text:
    Alle Preise beinhalten die seit dem 1. Juli 2020 gültige MwSt. in Höhe von 16 %.
  2. Sie kalkuliert exakt den Preisunterschied. Ihre Kalkulation: In 70 Euro stecken 19 % MwSt., also rechnet sie: 70 ./. 119 x 100 und erhält
    58,82 €. Das ist der alte Nettopreis. Der neue Nettopreis (mit 16 %) ist nach dieser Rechnung 60,34 € – der Zufluss aus der Steuersenkung beträgt somit stolze 1,52 €, den sie an die Kundin weitergeben will.
    Wir erinnern uns an die euphemistische Meldung aus dem Bundeskanzleramt:
    Größte Steuersenkung der letzten Jahrzehnte.
  3. Gibt die Kosmetikerin also diese Steuersenkung an die Kundin weiter, muss sie nun alle Preise in ihrem Salon neu rechnen, dann diese Preise im Salon und auf Flyern neu schreiben (und neu drucken lassen), wie auch die Preise auf der Webseite einzeln ändern. Am 31.12.2020 wiederholt sie dann diese Arbeit und setzt (insofern die MwSt. nicht auf mehr als 19 % wegen Corona erhöht wird, was vermutlich kommen wird) wieder die alten Preise ein. Behält sie die alten Preise und damit die Flyer, ändert sie mit einem Aufkleber nur die Prozentzahl.

Sie haben vermutlich richtig getippt und die 1,52 € behält die Kosmetikerin, auch weil die andere Variante für sie viel teurer wäre.

In der Praxis dürften beim o. g. Beispiel keine 19,77 € monatlich beim Berliner Verbraucher ankommen. Lediglich bei hochwertigen Konsumgütern, wie Autos kann der Verbraucher eine signifikante Einsparung erzielen.



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