Von Norman Hanert auf PAZ
Im November 2018 musste Hans-Georg Maaßen seinen Posten als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz räumen. Nun werden auch gegen den Chef des sächsischen Verfassungsschutzes Rücktrittsforderungen laut.
Abermals stehen die Rücktrittsforderungen im Zusammenhang mit der Bewertung von Ereignissen in der Stadt Chemnitz. Hans-Georg Maaßen hatte vergangenes Jahr Zweifel geäußert, dass es bei Protesten in der sächsischen Stadt zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen sei. Gordian Meyer-Plath, der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen, steht nun unter scharfer Kritik, weil seine Behörde das Konzert „wirsindmehr“ im Verfassungsschutzbericht 2018 erwähnt.
Das Konzert hatte am 3. September 2018 in Chemnitz stattgefunden und war als Gegenveranstaltung zu Protesten konzipiert, zu denen es nach einer tödlichen Messerattacke auf einen Deutsch-Kubaner am Rande des Stadtfestes gekommen war. Derzeit verhandelt das Landgericht Chemnitz den Fall. Angeklagt ist ein Syrer wegen gemeinschaftlichen Totschlags. Ein weiterer Tatverdächtiger aus dem Irak ist noch immer auf der Flucht. Die Gewalttat hatte in Chemnitz im vergangenen Jahr zu Protesten gegen die Immigrationspolitik geführt. Linke Gruppen mobilisierten wiederum zu Gegenveranstaltungen wie etwa „wirsindmehr“.
Bereits im vergangenen Jahr war vereinzelt Kritik an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier laut geworden. Er hatte auf seiner Facebook-Seite einen Hinweis auf das Konzert in Chemnitz „wirsindmehr“ geteilt.
Die sächsischen Verfassungsschützer schreiben in ihrem Jahresbericht 2018 zu dem Konzert „wirsindmehr“ nun: „Bei der Konzertveranstaltung unter dem Motto „#WIRSINDMEHR“ mit ca. 65000 Besuchern trat auch die linksextremistische Band Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern auf. Im Publikum wurden Fahnen der Antifaschistischen Aktion und Banner der YPG gezeigt. Im Verlauf der Veranstaltung wurden u. a. die Parolen ,Nazis raus!‘ und ,Alerta, alerta, Antifaschista!‘ skandiert.“
Bereits in der Vergangenheit hatte sich der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern mit der Musikgruppe Feine Sahne Fischfilet beschäftigt und sie mehrfach in Jahresberichten erwähnt. Ins Visier geraten ist die Punkband wegen Textzeilen wie, „Die nächste Bullenwache ist nur ein Steinwurf entfernt“.
Scharfe Kritik an der Einstufung des Konzerts „wirsindmehr“ als teilweise linksextrem, äußerte Sachsens SPD-Chef und Stellvertreter des Ministerpräsidenten Martin Dulig. Dulig sagte, das Konzert sei eine eindrucksvolle Stellungnahme für ein weltoffenes Chemnitz gewesen.
Auch der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) distanziert sich inzwischen von der Einschätzung des Verfassungsschutzes. Über Twitter bezeichnete Wöller das Konzert als ein „klares Zeichen gegen Rechtsextremismus“. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) teilte ebenfalls über Twitter mit, er habe das Konzert als „eine ganz großartige Sache empfunden“. „Die fünf Zeilen im Verfassungsschutzbericht bewerten weder Veranstaltung noch Veranstalter“, so der CDU-Politiker.
Zusätzlicher Druck auf Sachsens Verfassungsschutzchef kommt aus dem benachbarten Brandenburg. Dort wirft ihm der „Die Linke“-Politiker Volkmar Schöneburg Falschaussagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor. Meyer-Plath war bereits im vergangenen Jahr als Zeuge nach Potsdam geladen worden. Der dort eingerichtete NSU-Untersuchungsausschuss hat sich insbesondere mit den Aktivitäten des V-Manns Carsten Szczepanski, alias „Piatto“, beschäftigt. Dieser hatte im Jahr 1998 dem brandenburgischen Verfassungsschutz mehrmals Hinweise auf das flüchtige Trio gegeben, das später als NSU bekannt wurde. Meyer-Plath war bis zum Jahr 2013 Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Ende der 90er Jahre war Meyer-Plath auch ganz direkt mit der Führung der Quelle „Piatto“ betraut.
Aus Sicht von Volkmar Schöneburg, Obmann von „Die Linke“ im Untersuchungsausschuss, hat Sachsens Verfassungsschutzchef im Potsdamer Landtag widersprüchliche Aussagen zu Postlieferungen an den damals inhaftierten V-Mann „Piatto“ gemacht. Laut Medienberichten prüft die Potsdamer Staatsanwaltschaft nun, ob der Anfangsverdacht einer Straftat besteht.
Teile der „Die Linke“-Parteibasis und der Anhängerschaft dürften die Kritik am sächsischen Verfassungsschutzchef durchaus auch als willkommenes Signal verstehen. Gerade in Brandenburg hat die Linkspartei in Sachen Verfassungsschutz nämlich einen erstaunlichen Spagat vorgeführt. In dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses hat die „Die Linke“-Fraktion die Empfehlung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes hineingeschrieben. Als Teil der Regierungskoalition stimmte die „Die Linke“-Fraktion aber vor Kurzem im Landtag wiederum einem neuen Verfassungsschutzgesetz samt neuen Befugnissen zu und nickte auch eine deutliche Personalaufstockung beim Verfassungsschutz ab.