Von Ramin Peymani auf Liberale Warte
Schlepper sind Straftäter. Da kann es keine zwei Meinungen geben. Und tatsächlich hat sich Europa vor Jahren dem Kampf gegen die Schleuserkriminalität verschrieben. Inzwischen ist davon aber nicht mehr viel übrig geblieben. Zumindest nicht auf dem Mittelmeer.
Dreieinhalb Jahre lang patrouillierten Militärschiffe der EU-Staaten im Rahmen der Operation „Sophia“ vor der libyschen Küste. Ihre Aufgabe war es, Schlepperboote aufzuspüren, zu entern und die Besatzung festzunehmen. Dabei wurden die an Bord befindlichen Migranten aufgenommen und ans europäische Festland gebracht. Im März 2019 wurde die Mission eingestellt. Offiziell vor allem, weil Italien die Aufnahme der „geretteten“ Migranten verweigerte. Allerdings war „Sophia“ ein voller Erfolg: Kamen laut der Internationalen Organisation für Migration 2015 noch mehr als 1 Million Migranten aus Nordafrika über das Mittelmeer nach Europa, waren es ein Jahr später gerade noch rund 380.000. Bis 2018 war diese Zahl auf weniger als 117.000 gesunken. Für das erste Halbjahr des laufenden Jahres wurden gar nur noch knapp 28.000 Menschen gezählt. Mit dem Trockenlegen der Transportrouten ging eine kontinuierliche Reduzierung ertrunkener Migranten einher, von mehr als 5.600 im Jahr 2016 auf rund 600 im ersten Halbjahr 2019. Auch dies sollte man bei aller Betroffenheit über den Verlust jedes einzelnen Menschenlebens als klaren Erfolg werten. Stattdessen erwecken Grüne, Linke und die einschlägigen Nichtregierungsorganisationen den Eindruck, erst die völlige Öffnung aller europäischen Grenzen verhindere weitere Tote.
Wie zweifelhaft die privaten „Rettungsmissionen“ sind, offenbaren die Konfrontationen der „Sea-Watch“-Schiffe mit der libyschen Küstenwache
Um dieser Ideologie zum Durchbruch zu verhelfen, kreisen seit 2015 Schiffe des Berliner Vereins „Sea-Watch“ vor der Küste Libyens. Mit ihrer Hilfe können Migranten schon nach wenigen Seemeilen vom Schlepperboot umsteigen, um sich in einen europäischen Hafen befördern zu lassen. Anders als der erste Teilabschnitt, ist die Weiterfahrt dabei kostenlos. Mehrfach hat Italiens Regierung auf dieses Problem aufmerksam gemacht, bisher aber vergeblich auf europäische Rückendeckung gehofft. Eine gemeinsame Asylpolitik, die das Asylrecht schützt und Missbrauch eindämmt, liegt in weiter Ferne – allen Lippenbekenntnissen und Schaufenstervereinbarungen zum Trotz. Wie zweifelhaft die privaten „Rettungsmissionen“ sind, offenbaren die Konfrontationen der „Sea-Watch“-Schiffe mit der libyschen Küstenwache. Unter anderem starben bei einem Gerangel um die Aufnahme von Schiffbrüchigen am 6. November 2017 mehr als 50 Migranten. In der Folge wurde die „Sea-Watch 3“, das aktuelle Schiff des Vereins, mehrfach festgesetzt, zuletzt von Malta im Juni 2018. Erst im Oktober durfte das Schiff wieder auslaufen. Im Januar 2019 versuchte der damalige „Sea-Watch“-Kapitän mit einer Klage die Einfahrt in einen italienischen Hafen zu erzwingen, blitzte jedoch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ab. Im Mai setzte sich die Besatzung der „Sea-Watch 3“ dann über das von Italiens Regierung ausgesprochene Verbot hinweg, in italienische Hoheitsgewässer einzudringen. Das Schiff wurde daraufhin für zwei Wochen beschlagnahmt. Nun macht „Sea-Watch“ erneut Schlagzeilen – und fordert den Rechtsstaat einmal mehr heraus.
Bis zu zehn Jahre Haft drohen der Kapitänin nach dem Rammen eines italienischen Patrouillenbootes wegen Widerstands und Gewaltanwendung
In einem nächtlichen Manöver legte die deutsche Kapitänin der „Sea-Watch 3“ trotz Androhung einer Geldstrafe im Hafen von Lampedusa an. Dabei rammte sie ein italienisches Patrouillenboot, das dies zu verhindern versuchte. Das Hinwegsetzen über geltende Gesetze erscheint umso ruchloser, als sich zu diesem Zeitpunkt – wie stets in der Vergangenheit – bereits eine Lösung zur Aufnahme der 40 an Bord befindlichen Migranten abgezeichnet hatte: Portugal, Luxemburg, Frankreich und Deutschland standen längst parat. Offenbar ging es der „Sea-Watch“-Besatzung nicht um eine „Rettung“, sondern darum, die Lage einmal mehr eskalieren zu lassen, um ihrem Anliegen Geltung und größtmögliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Bis zu zehn Jahre Haft drohen der Kapitänin nach dem Rammen des Patrouillenbootes wegen Widerstands und Gewaltanwendung. Ihr werden zudem Beihilfe zur illegalen Einwanderung und die Verletzung italienischer Hoheitsgewässer vorgeworfen. Angesichts dessen ist man fassungslos, dass sich Ex-Bundesjustizminister Maas zu der Aussage verstieg, „Seenotrettung“ dürfe nicht „kriminalisiert werden“. Tatsächlich verfolgt die Justiz nämlich nicht die Aufnahme der Migranten im Mittelmeer, sondern das Hinwegsetzen über geltendes Recht. Den unerhörten Akt der Selbstjustiz verteidigte auch Bundespräsident Steinmeier. Und die Evangelische Kirche verteufelte die Strafverfolgung durch den italienischen Rechtsstaat gar als „Schande“. Lange vorbei sind die dunklen Jahre, in denen Deutschland Europa von Berlin aus das Recht mit Unrecht austrieb. Die Gutmenschen und ihre Helfer sind dabei, dieses Schreckgespenst wiederauferstehen zu lassen.