Wie wir die Demokratie überwunden haben, wo der »Einzeltäter« hin ist, und welche Peinlichkeiten die SPD noch parat hat

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Der satirische Wochenrückblick mit Hans Heckel

Und wozu haben wir uns jahrhundertelang abgemüht? Seit griechischer Polis, römischer Republik und germanischem Thing quälen sich Europäer damit ab, eine demokratische Ordnung zu erschaffen. Unter langen, auch schrecklichen Rückschlägen. Aber, so dachten wir, am Ende haben wir es doch irgendwie geschafft, raus aus der Höhle von politischem Gottesgnadentum und vermeintlicher Vorbestimmung von allem und jedem hin zur freien Entscheidung nach Herz UND Verstand durch die Bürger selbst oder ihre gewählten Vertreter.

Doch dann kam der Evangelische Kirchentag. In der Schluss­predigt führte uns Pfarrerin Sandra Bils zurück von den stürmischen Höhen der freien Entscheidung hinunter in die warmen Tümpel besinnungsloser Hingabe und Gefolgschaft.
„Wir sehen, wo Gott in der Welt wirkt“, so Bils, nämlich „durch die Leute von Sea-Watch, SOS-Mediterranee und Sea-Eye, durch Greta Thunberg und die Schülerinnen und Schüler, durch so viele andere. Und dabei machen wir mit … Behaltet euer Vertrauen, seid unerschrocken, zeigt gemeinsam euren Glaubensmut. Wir haben Gott an unserer Seite.“

Wir, nicht die anderen. Wer Greta nicht folgen will, Sea-Watch und Konsorten für Schlepper und Gesetzesbrecher hält und die  „Fridays for Future“-Schwänzer für aufgewiegelte, hysterische Backfische oder partygeile Sowieso-Schwänzer, der hat Gott gegen sich. Weniger noch: Es reicht schon, einfach anderer Meinung zu sein bei Asylfrage oder Klimadebatte, schwupp ist man ein Fall für die Inquisition, die heute vorzugsweise bei Will oder Maischberger  zelebriert wird.

Schon PR-Puppe „Rezo“ hatte dekretiert, dass es zum Thema Klima keine zwei legitimen Meinungen mehr gibt, sondern nur eine, nämlich seine. Gott sieht es genauso, wenn wir Pfarrerin Bils folgen, und tut seine einst unergründlichen Ratschlüsse durch die Prophetin Greta kund, der wir nur noch vertrauensvoll zu folgen haben.

Forschung, Wissenschaft, Kritik und demokratischer Meinungsstreit sind wieder abgeschafft. Ärgerlicherweise wollen das aber nicht alle Leute einsehen. Es schleichen Ketzer durchs Gebüsch, die ihr angebliches Recht auf Abweichung und Kritik einklagen. Dabei verschanzen sie sich hinter ihren angeblichen „Grundrechten“. Aber da sind wir ja auch schon dran, CDU-Mann Peter Tauber bereitet gerade das Feld vor.

Demokratie war ja immer lästig. Aber seitdem so viele Deutsche, besonders im Osten der Republik, auch noch ganz falsch wählen, haben die gehobenen (oder gar: geheiligten?) Stützen des Staates gänzlich die Lust an dem Zirkus verloren. Wie tief die Demokratie in deren Ansehen gesunken ist, lässt Thomas Oppermann lässig durchblicken.

Der SPD-Politiker will alle Bundesbürger bei der Wahl eines neuen SPD-Chefs mitstimmen lassen, wenn sie wollen. Nicht-SPD-Mitglieder sollen bloß fünf Euro Gebühr zahlen, um das gleiche Stimmrecht wie die eingeschriebenen Sozialdemokraten zu erhalten.

Das dürfte vor allem die alten Genossen, von denen etliche schon „Willy wählen“ waren und die der Partei seitdem durch alle Höhen und Tiefen die Treue gehalten haben, aber freuen: Jeder kann sich das Stimmrecht holen für einem Ramschpreis, den man sonst bei Aufführungen von Schülerbands hinlegt, weil die Qualität der Truppe mehr nicht hergibt.

Aber warum überhaupt noch der ganze Aufwand mit der Vorsitz-Wahl? Fragt doch einfach Greta, durch die „Gott in der Welt wirkt“, oder Frau Bils, die Gott zumindest an ihrer Seite weiß, wer SPD-Chef werden soll? Wer das Gottesurteil anzweifeln sollte, den entlarven wir als „Feind der Demokratie“, der den „Hass predigt“, der „spaltet“ und sich mitschuldig macht an Mord und Gewalt.
Apropos Mord und Gewalt: Wo ist eigentlich der „Einzelfall“ geblieben? In dem derzeitigen Getöse habe ich ganz vergessen, wo und wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Jahrelang war Gevatter „Einzelfall“ schließlich unser täglicher Begleiter.

Wo immer jemand einen oder mehrere Menschen ermordet hatte aus weltanschaulichen Motiven, also aus religiösen oder politischen Gründen oder von beidem etwas, wurden wir sofort belehrt, dass dies wieder ein „Einzelfall“ gewesen sei, der nichts, aber auch gar nichts mit den politischen oder religiösen Anschauungen des (mutmaßlichen!) Täters zu tun habe. Rückschlüsse auf eine möglicherweise defekte Weltanschauung oder gar auf andere Anhänger dieser oder jener Lehre verböten sich daher von selbst und stellten eine ganz üble „Instrumentalisierung“ der Gewalttat dar.

Im Zusammenhang mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist auf einmal alles ganz anders, nämlich genau entgegengesetzt. Ob dahinter ein System steckt? Welch zynische Annahme! Na ja, zynisch vielleicht, aber vermutlich nicht halb so zynisch wie jene, die dieses System der Doppelbewertung erklügelt haben.

Wie dem auch sei, wir sollten uns nicht grämen. Sobald wieder einer von der gewissen „Weltanschauung“ zuschlägt, wird auch der „Einzelfall“ in ganzer Pracht wieder auferstehen, als sei er nie fort gewesen. Denn in Wahrheit wartet er nur in der Kulisse, bis er politisch wieder gebraucht wird.

Wiederauferstehungen sind indes eine zweischneidige Sache. Sie können gefährlich nach hinten losgehen. Stellen Sie sich nur kurz vor, Helmut Schmidt würde zurückkommen, um seine SPD zu inspizieren. Oder gar − Herbert Wehner!
Wer Wehners Wutausbrüche der 60er, 70er oder 80er Jahre für einen Ausbund an Pöbelei gehalten hat, der macht sich keine Vorstellung davon, wie der Mann seine eigenen Genossen durch den Wolf drehen würde angesichts des jämmerlichen Zustands der SPD. Nach qualvollem Hin und Her hat sich der Parteivorstand nun darauf verständigt, dass die Partei eine Doppelspitze bekommt. Aber nicht, dass der Eintritt dann zehn Mäuse kostet. So haben wir nicht gewettet, Herr Oppermann!
Ach nein, Oppermanns Ramsch-Idee war wohl selbst den Genossen zu beschämend und verschwand weitgehend unkommentiert im Gully. Stattdessen hat man sich eine ellenlange Prozession von Schrittchen einfallen lassen, an deren Ende die neue SPD-Spitze stehen soll. Das Ganze dauert fast ein halbes Jahr.

Ab 1. Juli können Zweierteams oder Einzelbewerber ihre Kandidatur einreichen, Einsendeschluss: 1. September. Am 14. Oktober wählen die SPD-Mitglieder, am 26. Oktober wird das Ergebnis präsentiert. Wenn keiner der Bewerber oder Zweierteams mehr als 50 Prozent abgreift, kommt es zur Stichwahl, die aber nicht rechtlich bindend ist. Vom 6. bis 8. Dezember kommt dann der SPD-Parteitag zusammen, um die Sieger formell zu bestätigen.

Mit anderen Worten: Die Partei ist dermaßen verunsichert, dass sie auf allen Vieren zur Vorsitz­wahl robbt, um nur ja an keiner noch so kleinen Ecke stolpern zu können. Daher soll nun die gesamte Nation mehr als fünf Monate gebannt verfolgen, wie sich eine Zwölf-Prozent-Partei zu einer neuen Parteispitze durchwühlt.
Was das für Blüten treiben wird, möchten wir uns gar nicht ausmalen. Müssen wir auch nicht, denn die Blüten sprießen bereits.

Gesine Schwan, die zweimal vergeblich versuchte, Bundespräsidentin zu werden, hat sich als neue SPD-Chefin empfohlen. Gern würde die 76-Jährige eine Doppelspitze mit Kevin Kühnert bilden, der das aber noch gar nicht wisse, weil sie noch nicht mit ihm darüber geredet habe. Allerdings wolle sie ihren Hut nur dann in den Ring werfen, wenn man sie darum bitte. Das tut augenscheinlich niemand, weshalb Schwan dies via Deutschlandfunk in die eigene Hand genommen hat und sich sozusagen selbst bittet − Dilettanz und Eitelkeit tanzen Boogie Woogie.
Solche sagenhaft peinliche Auftritte könnten wir in den kommenden Wochen viele erleben. Herbert! Mach ein Ende!



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