Teil I: Bücher, Lesen und Sozialstruktur

Veröffentlicht am

von Gastautor Michael Wolski

PISA, TIMSS und eine Studie zum Buchkauf

Bevor ich zur gemeinsamen Studie „Buchkäufer – quo vadis“ des Börsenvereins und der GFK vom Juni 2018 informiere, möchte ich einige Anmerkungen zu den Schulleistungsstudien PISA und TIMSS machen.

2015 wurden für PISA 15-jährige aus 72 Ländern – einschließlich Deutschlands – mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften getestet, die Studie TIMSS (“Trends in International Mathematics and Science Study” testete das Wissen von Viertklässlern, also etwa 10 Jahre alt).

Die GEW hat zu beiden Studien auf dieser Webseite ausgewählte Ergebnisse veröffentlicht:
https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/pisa-und-timss-zentrale-ergebnisse-der-juengsten-studien/

PISA-Studie 2015 für Deutschland

„Der Leistungsunterschied in den Naturwissenschaften bei 15-Jährigen aus der obersten sozialen Schicht und Gleichaltrigen aus der untersten sozialen Gruppe ist in Deutschland größer als im Schnitt der anderen OECD-Industrienationen. So erzielten Jungen und Mädchen aus dem obersten sozialen Quartil (Eltern sind Akademiker und in leitender Stellung, hohes Einkommen) bei dem Test 569 PISA-Leistungspunkte. Jungen und Mädchen aus dem untersten sozialen Quartil erreichten hingegen nur 466 Punkte. Zu dieser Gruppe gehören Kinder von ungelernten Eltern, Langzeitarbeitslosen oder aus Migrantenfamilien ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Dieser Leistungsabstand von 103 PISA-Punkten entspricht einem Lernvorsprung von etwa zweieinhalb Schuljahren. Im OECD-Schnitt beträgt dieser Abstand 88 Punkte.“

TIMSS – Studie 2015 für Deutschland

Kinder der oberen Mittelschicht und Oberschicht haben am Ende der 4. Klasse einen erheblichen Lernvorsprung gegenüber jenen Kindern, deren Eltern keine berufliche Ausbildung haben und arm sind. Das bedeutet für diese Kinder etwa ein Schuljahr Rückstand.
Fast 1⁄4 der Viertklässler erreichen laut der Studie nicht die Leistungsstufe III. Das bedeutet, dass sie erhebliche Schwierigkeiten bei ihrem weiteren Lernweg in der Sekundarstufe I haben werden.
Was aber haben diese Studien zur Leistungsfähigkeit von Schülern der Sekundarstufe 1 mit den Aussagen des Reports „Buchkäufer – quo vadis“ zu tun? Auch wenn natürlich nicht alle Faktoren widerspiegelt werden, die die Leistungsfähigkeit eines Schülers abbilden, kann man es mit einem Wort sagen: LESEN.

Die Fähigkeit lesen zu können und zu wollen. Lesen ist mehr als die Fähigkeit, Buchstaben zu erkennen und Worte zu bilden. Es ist eine Kultur, die nicht nur in der Schule vermittelt wird sondern im Elternhaus ausgiebig gepflegt werden muss.

Die Studie des Börsenvereins und der Gesellschaft für Konsumforschung GFK stellte 2018 u. a. fest:

  • Die Zahl der Buchkäufer sank von 36 Mio. in 2013 auf 29,6 Mio. im Jahr 2017, das sind 6,4 Millionen Kunden. Meine Schlussfolgerung: Hält dieser Rückgang von etwa 1,3 Millionen Kunden pro Jahr an, so wird sich die Zahl der Kunden bis 2025 im Vergleich zu 2013 fast halbiert haben. Zwar beziehen sich diese Zahlen auf den stationären Buchhandel, aber der Trend ist klar gegeben.
  • Besonders stark schrumpfte der Buchkauf bei den 20 – 49 jährigen. Bei den 40 – 49 jährigen (die häufig Eltern sind) um bis zu 37 %. Meine Schlussfolgerung: Die negative Vorbildwirkung der Eltern wird den Trend der Vernachlässigung des Lesens in der Kindheit und Jugend noch beschleunigen.
  • Gleichzeitig stieg die Internetnutzung, bei Filmen, Chatten und Online-Spielen. Am stärksten in der Altersgruppe 14-29 Jahre. Diese Gruppe umfasst Jugendliche und junge Eltern.
  • Es wird angenommen, dass die Schnelllebigkeit des Alltags und der Leistungsdruck stressen und die Menschen sich „leichteren“ Freizeitgestaltungen hingeben.
  • Zeitknappheit durch wachsendes Angebot von Freizeitaktivitäten, Abhängigkeit von TV und Internet bewirken Abkehr vom Lesen. Bilder sind leichter aufzunehmen und erwirken größere Emotionen, Bücher hingegen erfordern die Reflexion des Gelesenen in einem anderen Umfang und anderer Zeit.
  • TV-Episoden bedienen viele Emotionen und ermöglichen den Austausch mit Freunden, Mitschülern und Kollegen, man fühlt sich im Team geborgen, kann mitreden
  • Bücherlesen ist aber individuell, man bracht Zeit zum Lesen und Reflektieren. Ein Austausch auf Arbeit und mit Freunden ist am nächsten Tag kaum möglich. Wenn man in der Gruppe nicht mitreden kann, kann man zum Außenseiter werden. Der Gruppendruck ist groß.
  • Während Serien lange vor Erscheinen angekündigt werden, ist die Auswahl eines Buches individuell und mit Zeit und Arbeit verbunden. Auch wenn Amazon als größter Buchhändler immer erreichbar ist, ist es aufwändig, Lektüre zu finden. Nicht alle Menschen lieben das Stöbern, viele können Neugier nicht mehr langfristig umsetzen. Jetzt-Gleich lautet die Devise und man macht TV oder Internet an.

Diese Studie reiht sich ein in diese Erkenntnis des Börsenvereins zum Buchhandel in Deutschland: Die von deutschen Buchverlagen produzierten Titel haben 2017 die niedrigste Anzahl der vergangenen zehn Jahre erreicht.
Mein Fazit:

Die Tendenz zu weniger Buchlesen nimmt weiter zu. Das führt schon mittelfristig zu einer Neustrukturierung der Gesellschaft unterhalb der Mitte.

  • Gruppe I: Die Elite von Hochgebildeten (wie bspw. Juristen, Lehrer, Ärzte, Manager, Journalisten) die ihren Beruf nur mit entwickelten Kompetenzen bei Lesen und Schreiben ausüben können. Sie erziehen überwiegend ihre Kinder in diesem Sinne, Lesen ist für sie eine hochgeschätzte kulturelle Praxis. Kinder- und Jugendbücher sind zu Hause verfügbar, der Konsum von Internet und TV durch die Kinder wird reglementiert.
  • Gruppe II: Es folgt eine Gruppe von gut Gebildeten, die das Lesen für ihren Job benötigen und darüber hinaus auch Spaß an Belletristik, Krimis, Sach- und Fachbüchern haben und dieses Interesse auch in der Familie fördern, Kinder- und Jugendbücher sind zu Hause verfügbar (beispielsweise bei Angestellte im mittleren Dienst). Hier erfolgen die ersten Einbrüche, da mit Internet und TV- Konsum der Kinder lax umgegangen wird.
  • Gruppe III: Sie wird gebildet aus denjenigen, die unregelmäßig 1-3 A4-Seiten Text im Beruf lesen und verstehen müssen, danach handeln und in der Lage sind, damit ihren handwerklichen oder gewerblichen Beruf auszuüben (bspw. Handwerker, Lagerarbeiter, Boten, Verkäufer, Hausmeister, Berufskraftfahrer).
    Lesen, da nicht trainiert, wird überwiegend als mühselig und nicht als Chance für einen sozialen Aufstieg empfunden. In ihren Wohnungen findet man kaum Bücher, ihre Kinder haben ein Smartphone und Gameboy und kennen alle Spiele. Es gilt das berühmte „Fressen, F***, Fernsehen“.
  • Gruppe IV: Dieses Segment bilden überwiegend jene, die die Schule nicht abgeschlossen haben (in Berlin jährlich etwa 10 % der Schulabgänger), dauernd arbeitslos oder funktionelle Analphabeten sind (in Deutschland geschätzt 6 Mio. Erwachsene) und durch andauernde Internetnutzung (Spiele, Filme) bestehende Lese-Qualifikation einbüßen. Sie sind passiv und können sich zu aktivem Leben nicht mehr aufraffen. Lesen ist eine Herausforderung, die man durch Filme ansehen zu umgehen trachtet. Allerdings beherrschen die Mitglieder dieser Gruppe die deutsche Sprache fließend mündlich.
  • Gruppe V: Am untersten Rand finden wir Migranten und Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund aus bildungsfernen Schichten (überwiegend aus islamischen Ländern), die zu Hause das Lesen nicht vermittelt bekamen und die in der Schule bzw. den Deutschkursen nicht mitgekommen sind. Sie werden die neue unterste Schicht begründen. Viele Migranten von 2015 gehören ebenfalls zu dieser Gruppe, da sie die angebotenen Deutschkurse nicht oder nicht effektiv wahrgenommen haben und sich nach 4 Jahren von der Passivität der Sozialhilfeempfänger anstecken ließen. Da in den Herkunftsländern der Patriarch des Clans alles regelt und kontrolliert, diese Kontrolle aber hier fehlt, irren sie ziellos durchs Leben. Ein Herauswachsen aus dieser Schicht – wie bisher in Deutschland möglich – ist zukünftig kaum mehr machbar, da die Lesekompetenz fehlt und nur unter höchsten Anstrengungen im höheren Alter erworben werden kann. Wer soll das bezahlen?

Bei hier geborenen Kindern aus türkischen und arabischen Familien fehlt überwiegend die fehlerfreie mündliche Beherrschung der deutschen Sprache. Damit werden sie dauerhaft die unterste Schicht bilden. Zur Kompensierung ihres Status werden sie sich verstärkt der Religion zuwenden.

Einen Bericht der Initiative an der Basis zu unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen finden Sie hier:
https://basisinitiative.wordpress.com/2019/06/16/martyn-ringk-erfahrungsbericht-eines-erziehers-in-erstaufnahme-und-clearingstellen-fur-unbegleitete-minderjahrige-kinder-und-jugendliche-initiative-an-der-basis/

Mehr in Teil III



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