30 Jahre Friedliche Revolution

Veröffentlicht am

Achtundzwanzigster Mai 1989

In Westberlin beginnt eine deutsch-deutsche Lesereihe, mit Teilnehmern aus beiden deutschen Staaten. Es ist eine Veranstaltung im Rahmen des Ost-West-Kulturabkommens. Die Sache hat allerdings von Anfang an einen Haken: In den Westen getriebene Schriftsteller sind von diesem Treffen ausgeschlossen. Man möchte keine Schwierigkeiten mit dem DDR-Regime. Lieber lässt man zu, dass die DDR-Zensur auch in Westberlin gilt. Das Schriftstellertreffen folgt einem Muster, das auch für deutsch-deutsche Städtepartnerschaften gilt: Sie finden nur auf Funktionärsebene statt, das Volk ist ausgeschlossen, die Opposition sowieso.

An dieser Stelle sollte etwas zum Boykott der DDR-Opposition durch die Politik gesagt werden. Offiziell nahm keine bundesdeutsche Partei von der Opposition Kenntnis. Manche distanzierten sich freiwillig, wie der FDP-Minister Otto Graf Lambsdorff, der Honecker versicherte, er hätte keinerlei Sympathien für „diese Leute“.

Der SPD-Politiker Karsten Voigt machte nicht nur mit Politbüromitglied Egon Krenz Urlaub, sondern gab gern Ratschläge, wie Oppositionelle abgeschoben werden könnten.

Am effektivsten war der Konsistorialpräsident Stolpe in der Herabsetzung der Oppositionellen. Er stellte sie bei seinen zahlreichen Gesprächen mit westdeutschen Politikern als Sozialfälle hin, die gern in den Westen wollten. So war die Opposition für die offizielle Politik ein ungelöstes humanitäres Problem, kein Partner. Bis heute ist dieses Missverhältnis nicht beseitigt. Nach wie vor werden ehemalige SED-Funktionäre wie Gysi, Bisky, Brie hofiert, die Bürgerrechtler dagegen marginalisiert.

Die Justiz, die in den überwiegenden Fällen sehr milde mit den willigen Vollstreckern des DDR-Regimes umgeht, hat ein bemerkenswertes Urteil gefällt, das zwanzig Jahre später rechtskräftig wird. Ein Stasioffizier muss einem Ex-Stasihäftling 2500 Euro Strafe bezahlen, wegen „beleidigender Darstellungen“ über SED-Opfer.

Der Sprecher des sogenannten Stasi-Insiderkomitees Wolfgang Schmidt, bekannt durch seine Hetze gegen die Gedenkstätte im ehemaligen Stasigefängnis Hohenschönhausen, wird damit endlich mal an einer Stelle getroffen, wo es ihm besonders weh tut: an seinem durch staatliche Großzügigkeit wohl gefüllten Portemonnaie. Schmidt hat auf seiner berüchtigten Website den ehemaligen Stasihäftling Mario Röllig mit Äußerungen zitiert, die dieser nie getan hat, um ihn zu diskreditieren. Röllig wurde von Schmidt als Lügner schlimmster Sorte hingestellt, der nur ein Ziel habe, die humanen Verhältnisse im Stasiknast zu leugnen. Nachdem Schmidt bereits eine Unterlassungserklärung in Bezug auf den von ihm verfassten Text abgeben musste, tauchte derselbe nach ein paar Wochen wieder im Internet auf. Nun muss der Stasimann für seinen Verstoß löhnen.
Das Gericht stellte fest: „Gerade die Auseinandersetzung einer ehemals für die Stasi tätigen Person mit den Opfern des DDR-Regimes ist von besonderer rechtlicher und auch tatsächlicher Brisanz, und es ist nicht zu verkennen, dass die erneute Veröffentlichung für den Kläger als Opfer der Stasi eine besondere Demütigung bedeutete.“ Auch wenn das Urteil nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, es tut dennoch gut, dass ein Häftling einen Stasioffizier besiegt hat.

1989: Tagebuch der Friedlichen Revolution
1. Januar bis 31. Dezember
Vera Lengsfeld



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