Von Gastautor Steffen Meltzer
Vermutlich hat sich ein 11-jähriges Mädchen das Leben genommen, weil sie das erfolgte Mobbing in der Schule nicht mehr aushalten konnte. Der innere Schmerz könnte zu groß gewesen sein. Die Gesamtelternvertretung, Schulleiter, Schulamtsrat, Väter und Mütter hatten die Probleme immer wieder angesprochen. Es hat nichts genützt. Üblicherweise wurden die Probleme verniedlicht. Gegenüber dem Tagesspiegel äußerte sich ein Vater: „Seit mehr als einem Jahr gibt es massive Mobbingfälle an der Schule“, „Es wurde immer wieder den Lehrern und der Schulleitung gegenüber angesprochen, vom Elternbeirat, aber auch von Müttern und Vätern, deren Kinder betroffen waren. Doch man hat alle Fälle einfach abgetan. (…)“
Ein Entsetzen geht jetzt durch die Berliner Schulbehörde, weil man einmal mehr unerfreulicherweise in der Öffentlichkeit steht. Die Zustände an Berlins Schulen sind seit langem bekannt. So konnten muslimische Schüler monatelang ungestört einen jüdischen Mitschüler mobben. Jeder dritte Berliner Schulleiter kann den Beruf nicht empfehlen. So bestimmen Brandbriefe und Kündigungen den Alltag, sind Schrottschulen und Maulkorberlass für Schulleiter an der Tagesordnung, gibt es Drohungen der Bildungssenatorin, falls die Missstände öffentlich gemacht werden. Dafür wird sich mit gendergerechten Unisextoilette an einer Schule beschäftigt, währenddessen Schultoiletten verfallen. Ideologische Ausrichtungen scheinen deutlich wichtiger zu sein, als menschenverachtende Verhaltensweisen zu bekämpfen.
Das ist zugegebenermaßen kein Berliner Problem, auch ich kann darüber an Brandenburger Schulen nicht nur ein Lied anstimmen. So sagte mir einmal der Schulleiter eines Gymnasiums bei einer Elternversammlung zum Thema Mobbing, bei der ich einen Vortrag hielt, dass die Lehrer bei der Bearbeitung dieses Themas keine Ausbildung hätten. Das Bedenkliche war, diese Bemerkung war wirklich ernst gemeint. Ein anders Mal wurde ich an eine Schule hinzugerufen, weil Schüler einen Klassenkameraden fünf ganze Jahre gemobbt hatten. Erst als eine unbeteiligte Schülerin ihrer Mutter diese Zustände beichtete, wandte diese sich an die Mutter des betroffenen Schülers. Diese drohte dem Rektor mit einer Strafanzeige bei der Polizei wegen unterlassener Hilfeleistung, wenn man nicht sofort etwas tun würde. Als ich daraufhin in der Klasse eintraf, um das Thema aufzubereiten, waren alle Schüler anwesend, nur den Betroffenen hatte man „vorsorglich“ freigestellt, offensichtlich um zu verhindern, dass konkrete Misshandlungen ans Tageslicht geraten.
Freilich habe ich auch mehrere Schulen kennengelernt, in denen die Schulleitung richtigerweise sofort und sehr konsequent schon beim Ansatz unsozialer Verhaltensweisen einschritt. Auch an der Schule zählt: „Wie der Herr, so das Gescherr“.
Währenddessen überall Jubelfeiern darüber abgehalten werden, dass die offiziellen Kriminalitätszahlen sinken würden, nimmt merkbar an allen Fronten die Verrohung der Gesellschaft zu. Man fragt sich, wie kommt es zu diesem scheinbaren Widerspruch?
Wenn man genauer hinschaut, bemerkt man, dass Gewaltstraftaten sehr wohl wieder zunehmen. Mobbing an sich ist leider, anders als in Frankreich, kein eigener Straftatbestand. Mobbing besteht aber aus vielen einzelnen Straftatbeständen, zum Beispiel: üble Nachrede, Verleumdung, Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung, Vortäuschung von Straftaten, Sachbeschädigung, Diebstähle usw..
Durch Gerüchte und offene Anfeindungen werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene ausgegrenzt und systematisch über einen längeren Zeitraum seelisch und körperlich verletzt und zerstört. Dem Opfer wird gleichzeitig eingeredet, es wäre „überempfindlich“, „psychiatrisch verhaltensauffällig“ und somit an seiner Lage selbst „Schuld“. Da sich dabei immer viele auf einen stürzen, nimmt nur selten jemand daran Anstoß, es sei denn, er könnte der Nächste sein, der daran glauben muss. Deshalb gibt es die vielen Mitläufer an allen Orten ähnlich dem politischen und medialen Mainstream. Die Spirale der Gewalt hinter der vorgehaltenen Hand nimmt somit ihren tragischen Lauf, der im finalen Suizid enden kann, da das Opfer mit der Zeit die Anfeindungen als eigene Glaubenssätze übernimmt und sein Dasein als nicht mehr lebenswert empfindet.
Sollte diese höchstmögliche Dramatik eintreten, tun danach üblicherweise alle Beteiligten „total überrascht“, da Mobbing oftmals unter der Decke der Verborgenheit stattfindet und deshalb, bei etwas wegschauen, nicht bemerkt werden muss, wenn man sich nur die Mühe dazu gibt.
Die sozialen Medien ermöglichen, 24 Stunden rund um die Uhr, das auserwählte Opfer neben der Schule oder Arbeit, nach allen Regeln der Kunst fertig zu machen. Es ist nicht wie einst, als bei einer Schlägerei, in der einer den Kürzeren zog, nicht mehr nachgetreten wurde, wenn der Gegner am Boden lag. Heutzutage wird noch zusätzlich auf den Kopf gesprungen, bis das Opfer endlich schwer verletzt oder getötet liegenbleibt. Der Vernichtungswille steht im Vordergrund! So ähnlich brutal kann man sich Mobbing „rund um die Uhr“ vorstellen. Niemand greift dabei ein, weil das Wegschauen so leicht fällt.
Zu wenig Lehrpersonal, keine Fehlerkultur und Kritikverbot, Lehrpersonal, das gegenseitig selbst einen „straffen Ton“ (wie erlebt) an den Tag legt, Gleichgültigkeit, weil die Verträge am Schulende sowieso gekündigt werden, Arbeitslosigkeit eintritt und zum neuen Schuljahr eine Neubewerbung erforderlich ist u.v.m. können dazu beitragen, dass Verantwortliche innerlich kündigen und bei Problemen wegsehen. Warum sollten sie sich zusätzlicher Probleme annehmen?
Wer hat es gemacht?
Darüber hinaus sollte klar sein, dass Kinder lediglich die Erwachsenenwelt kopieren, die sie tagtäglich nicht nur zu Hause erleben. Wenn sich ein Kind deshalb das Leben nimmt, weil es von anderen Kindern gemobbt wurde, haben nicht in erster Linie die mobbende Kinder versagt, sondern wir Erwachsene als schlechte Vorbilder. Ein Elternhaus, in dem Gewalt, Ausgrenzung und Unterdrückung eine herausragende Rolle spielen, kann allerdings auch keine noch so gute Schule dauerhaft kompensieren.
Mobbing finden wir in der ganzen Gesellschaft. Es ist ein Parallelsystem, das neben dem Rechtsstaat existiert. Mitarbeiter, denen man nicht kündigen kann, werden solange schikaniert, bis sie schließlich entnervt aufgeben. Dabei ziehen Mitläufer, Verwaltung und Vorgesetzte an einem Strang, denn keiner will der Nächste sein.
Wir leben in einer angeblich so „toleranten“ und vielfältigen Gesellschaft, die gerade sogenannten Minderheiten immer wieder ein diskriminierungsfreies Leben garantieren will. Soweit zur Theorie. Aber was ist mit den Menschen, die im Studium, in der Schule, auf Arbeit oder im Dienst täglich drangsaliert und belästigt werden?
Diese haben keine Lobby, niemand nimmt sich des Themas in Politik und Wissenschaft ausreichend öffentlichkeitswirksam an. Es sind archaische barbarische Zustände, die mit einer aufgeklärten modernen Gesellschaft nichts gemein haben. Das Opfer hat niemals Schuld, es kann jeden von uns treffen, wenn man zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort in ein „falsches Team“ gerät. Fatalerweise ist es üblich, den/die Betroffene zu entfernen. Das ist typisch, leicht gedacht, schlecht gemacht. Nachdem der/die „Unangepasste“ weg ist, ist der Nächste dran..
Wie geht es weiter?
Im Bildungssenat wird man sich in allererster Linie darüber den Kopf zerbrechen, wie man das öffentliche Gemüt schnellstmöglich beruhigen kann. Im Mai sind Europawahlen. Wer dabei denkt, es könnte darum gehen, Mobbing zu bekämpfen, könnte sich auf dem Holzweg befinden. Schließlich müssen die eigenen politischen Posten und Pfründe gesichert werden. Da ist schlechte Presse unerwünscht. Jetzt schlägt die Stunde der Berufsbetroffenen und der Besänftiger. Aktionismus ist angesagt, bis der nächste Skandal die Medien beschäftigt. Wir müssen auch in Zukunft deshalb damit rechnen, dass Mobbing weiterhin fleißig allerorts unter den Teppich gekehrt wird und seine weiteren Opfer fordert.
Steffen Meltzer, Sachbuchautor Ratgeber Gefahrenabwehr: So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf
Der Artikel erschien zuerst auf Tichys Einblick