Rezension einer Rezension von Gastautor Josef Hueber
“Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.”
(Aydan Özoguz, SPD, Integrationsbeauftragte)
Es ist ein Treppenwitz der Geschichte. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, behauptet allen Ernstes, dass es, außer der deutschen Sprache Deutschlands, wohin die Zuwanderer von überall und irgendwo kommen wollen und integriert werden sollen, nichts gibt, was uns Deutsche ausmacht, was uns als Nation und Mitglied des europäischen Kulturkreises definiert. Also nichts, was uns von den Neu”bürgern” von überall her unterscheiden könnte. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ob man es dann auch schlucken kann, ist eine andere Frage.
Ein kleines Gedankenspiel. Nehmen wir an, Bio-Deutsche, die schon lange hier leben, möchten (rein theoretisch) in die Türkei emigrieren, weil sie unter deutschen, die Menschenrechte verachtenden Verhältnissen, leiden. Sie sollen dort integriert werden. Eine deutschstämmige Integrationsbeauftragte von Erdogans Gnaden würde dann, wegen auftretender kulturbedingter Anpassungs-Schwierigkeiten, analog zu ihrer Expertin in der Merkel-Regierung, von sich geben, dass den willkommen geheißenen deutschen Zuwanderern keinerlei Identitätsmerkmale der in der Türkei beheimateten Kultur, außer der Sprache, die Integration erschweren würden, weil es dergleichen schlichtweg nicht gibt.
Spielen wir das Gedankenspiel weiter. Erdogan, der weltoffene und um Menschenrechte besorgte, global denkende Präsident, der mit Parlamentssitzen begehrenden Politikern, trotz einer deutlichen Niederlage in der letzten Wahl, in einer türkischen Groko weiterregieren möchte, kann zentrale türkische Kulturwerte, wie auch seine deutschstämmige Integrationsbeauftragte, nicht erkennen. Die Türkei, so von ihm als Regierungschef unwidersprochen, ist, jenseits der türkischen Sprache, schlicht nicht als eigenständiger Kulturraum identifizierbar?
Der Blick in nicht-deutschsprachige Veröffentlichungen ist, wer möchte das bestreiten, bereichernd. Vielleicht erhalten wir dort eine Antwort auf die beschriebene, rein spekulative Situation?
Was man dort liest, sieht ganz anders aus als die intellektuelle Verwirrung deutscher Befürworter von de-facto-obergrenzenloser Zuwanderung aus gutmenschlicher oder ideologischer Gesinnung, die meist dem begrenzten Horizont des eigenen, engen intellektuellen Tellerrands zuzuschreiben ist.
” Forgetfulness: Making the Modern Culture of Amnesia ” (Die moderne Kultur des Vergessens) lautet der Titel eines im Dezember 2017 publizierten, englischsprachigen Buches von Francis O’Gorman, das in dem stets lesenswerten Blog Spiked-online.com besprochen, inklusive in einem Interview mit dem Autor vorgestellt wurde (http://bit.ly/2BoLmsI).
Francis O’ Gorman, Professor für Englisch an der Universität Edinburgh, beschäftigt sich nach eigenen Aussagen in dieser Veröffentlichung mit dem “Wandel der westlichen Geistesarchitektur” ( “Changing architecture of the Western mind”).
Der Kerngedanke im Untertitel seines Buches entsetzt den Leser. O’German sieht eine fatale Tendenz : die Amnesie, das Vergessen des “Selbstverständnisses der westlichen Kultur”.
In einem Interview legt er seine kulturkritische Analyse der westlichen kulturellen Befindlichkeit dar (Die deutschen Formulierungen sind von mir vorgenommene Übersetzungen. Aus Gründen besserer Lesbarkeit habe ich darauf verzichtet, die originalsprachige englische Version ausnahmslos zu zitieren. Sie kann jedoch jederzeit nachgelesen werden unter dem von mir gegebenen Link. Die Wiedergabe der Gedanken des Autors habe ich im Indikativ vorgenommen, der besseren Lesbarkeit wegen.).
Ausgangspunkt der Überlegungen O’ Gormans ist das heute veränderte Bewusstsein davon, was Zeit bedeutet. Er geht aus von der Kultur der griechischen Stadtstaaten. Jahrhunderte von erzählten Geschichten [“Narrativen” würde man heute vielleicht sagen] waren dort stets präsent. Dies steht, so schreibt O’German, im deutlichen Kontrast zu unserer ” Kultur der Zukunft”, welche die Vergangenheit allzu bereitwillig als das Obsolete, oder noch schlimmer, als die “Herrschaft des Bigotten und Grausamen” entwertet. Konsequenterweise bewirkt diese Sicht der Vergangenheit die Überbewertung der “Modernität”. Der Verlust der Vergangenheit, so O’ Gorman, ist ein “Verlust des kollektiven Bewusstseins vom Ort und den Bezügen” (ties), die wir bisher zu den Lebenden und den Toten hatten. Die Vergangenheit vergessend, wird für uns das Neue zum Fetisch mit den Schlagwörtern “Modernisierung” und “Innovation”. Anstatt den “Ort” im Blick zu haben, sprechen wir von “Migration”, einer ” Metapher für verschwindende Vertrautheiten, schwindende Bindungen” und eine
“wachsende Leere ohne Heimat”. Obwohl die Zukunft durchaus einer Wertschätzung bedarf, scheint dies in unserer Kultur “auf Kosten der Bezüge zur Vergangenheit” zu geschehen.
Für die Menschen der Antike war die Verbannung, wegen ihrer Einbindung in die Vergangenheit, “schlimmer als der Tod.” Es war der “Verlust der Identität.”
O’ Gorman untersucht die Abwendung der akademischen Elite von der Vergangenheit sowie der Hinwendung zur Zukunft in diesem Prozess. Er fragt sich, warum diejenigen, die bisher als Wächter der Vergangenheit galten, zu deren Entwertung hin zu einem Faktor von
minimaler Bedeutung beigetragen haben.
In einer nationalem britischen Studie wurde gefragt, was sich Studenten vom Studium der Vergangenheit erhoffen. Es zeigte sich, dass sie eine “unmittelbare Lösung/Antwort (” satisfaction”) auf ein Problem, dem sie gerade nachgehen, erwarten. Wenn also ein Roman oder ein Ereignis keine Relevanz und keinen speziellen Bezug zu ihrem Problem, dem sie gerade nachgehen, aufweisen kann, wird es nicht als interessant erachtet. O’ Gorman: “Die Vergangenheit wird auf sehr narzisstische Weise betrachtet. Sie wird nur daraufhin untersucht, ob sie eine unmittelbare, schnell zu erkennende Bedeutung hat für den gegenwärtigen Augenblick.”
O’ Gorman zeigt sich betroffen, dass es eine politische Bewegung in England gab, die Statuen des bedeutenden Gladstone Politikers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, niederreißen wollte. Er sieht darin eine Intoleranz der Vergangenheit gegenüber, den Versuch, “sie umzuschreiben, um den Werten der Gegenwart gerecht zu werden.” Darin zeigt sich “dieselbe Gedankenstruktur, wie sie in totalitären Staaten am Werk ist.” Es ist ” der Versuch, eine angenehmere Verbindung mit der Vergangenheit herzustellen, alles das auszulöschen, was die Herrschenden nicht mögen.”
Zum Schluss sei eine längere Passage der Buchbesprechung in der von mir übersetzten Fassung wiedergegeben.
“Eine Reihe von Fragen darf heute nicht mehr gestellt werden. Extremer Liberalismus beinhaltet, dass es so etwas wie nationale Zugehörigkeit nicht gebe, dass Nationen lediglich eine gedachte Idee sind, eine individuell zu verortende Konstruktion, dass Nationen änderbar sind und keine wirkliche Bedeutung für den Menschen haben. In liberalen Kreisen darf man nicht über Nationalität sprechen, weil man dann sofort als UKipper [ Anhänger der UKipp-Partei, die den EU Austritt des UK befürwortete] ausgeschlossen wird. Man darf auf dem Campus nicht fragen, ob eine unkontrollierte Einwanderung an offenen Grenzen eine gute Sache ist, weil man dann sofort als Krypto-Faschist gebrandmarkt wird. Ich bedauere zutiefst die Verweigerung jeglicher intellektuellen, an humanen Werten ausgerichteten Debatte über diese Art von Themen, die ich für absolut relevant halte.”
Platon war der Meinung, dass nur die Besten geeignet sind,
ein Volk zu regieren. Wer ahnungslos hinsichtlich der nationalen Identität eine Volkes ist, geehrte Frau Aydan Özoguz, gehört wohl nicht dazu.