Es ist mir schon lange peinlich, dass ich die Aufführungen des Theaters Nordhausen nur loben kann. Aber mit „Hoffmanns Erzählungen“ ist der kleinen Provinzbühne wieder ein Meisterwerk gelungen. Schon die Aufführung von 2008 unter der Regie von Soren Schumacher wurde deutschlandweit als drittbeste Inszenierung nach der Berner und der Aachener gefeiert, ein Münchener Kritiker fuhr sogar drei Mal nach Nordthüringen, um sie zu sehen. Zwar wurden den Darstellern, bis auf Daniela Wagner, keine Spitzenleistungen attestiert, dafür Wagner aber als beste Muse 2008 gekürt. Auch die Jugendarbeit des Theaters wurde schon als vorbildlich gelobt, da gab es das breite Angebot des Jugendtheaters von heute noch gar nicht. Im Gegensatz zu dem Farbfeuerwerk, das Emma Gaudiano mit ihren Kostümen entfaltet.
Was die Stimmen betrifft, so präsentieren sich mit Rina Hirayama als Muse, Yuval Oren als Olympia und Julia Ermakowa als Antonia drei Diven, denn ich bedenkenlos Spitzenleistungen attestiere.
Regisseur Benjamin Prins hat ein Werk auf die Bühne gestellt, dass keine Vergleiche scheuen muss. Das geht ungewöhnlich los mit Don Giovanni, Arie der Donna Anna nach der Ermordung ihres Vaters. Die Sängerin Stella, in die Hoffmann verliebt ist, bricht mitten in der Aufführung zusammen und landet auf der Intensivstation. Hoffmann erwartet Nachrichten über ihr Befinden in der Kneipe bei exzessivem Alkoholgenuss. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, beginnt er Geschichten über seine Geliebte zu erzählen. Es wären drei Frauen in einer: eine Puppe, eine Liebende und eine Kurtisane. Hoffmann, begleitet von seiner Muse, tritt in allen drei Geschichten als Akteur auf.
Während das Bühnenbild von Wolfgang Kurima Rauschning im ersten und letzten Akt äußerst karg ist, ändert sich das mit dem zweiten Akt. Die drei mittleren Akte spielen sich vor drei drehbaren Säulen ab, die eine jeweils vollkommen andere Raumsituation darstellen. Bei der Geschichte von Olympia wird die Szene beherrscht von den Augen, die der Wissenschaftler Coppelius für Olympia entwickelt hat. Olympia selbst ist eine Schöpfung des Wissenschaftlers Spalanzani. Hoffmann wird eine Brille verkauft, die ihn Olympia als Mensch erscheinen lässt. Die Kunstfigur wird auf einem Fest als Tochter Spalanzanis vorgeführt. Hoffmann verliebt sich in sie, tanzt mit ihr und muss, nachdem Olympia vom Schöpfer ihrer Augen zerstört wird, erkennen, dass seine Liebe einem Automaten galt. Neben Yuval Oren, die nicht nur stimmlich, sondern auch was ihre Körperbeherrschung betrifft, eine hinreißende Olympia gibt, glänzt neben ihr Florian Tavic als Cochenille. Tavic, der bei der kürzlichen Operngala zum Spielzeitgewinn zuweilen etwas steif wirkte, wirbelt als buckeliger Bruder von Spalanzani, Symbol dafür, was in der Wissenschaft schiefgehen kann, auf der Bühne herum und bringt Tempo in die Handlung.
Akt drei ist ganz anders als der vor und danach. Hier sieht man durch die Fenster einen melancholischen Novemberwald. Die Stimmung ist gedämpft. Antonia, die herzkranke Sängerin versucht dem Wunsch ihres Vaters nachzukommen und das Singen aufzugeben. Je mehr sie das Anstrengung kostet, um so stärker wird der Regen, der an den Fenstern hinabläuft.
Ermakowa ist die geborene Tragödin. Sie zieht die Zuschauer absolut in ihren Bann. Ihr Konflikt erweist sich als sehr modern: „Willst Du Kindergeschrei, oder Applaus?“, fragt der Versucher. Sie entscheidet sich für den Applaus, besonders weil sie glaubt, die Stimme ihrer toten Mutter zu hören. Als die auf der Bühne erscheint, trägt sie zu einem eleganten Kleid eine Totenmaske. Der mütterliche Ratschlag ist für die Tochter tödlich. Prins sagt, er habe die Mutter von Klein Zack, von dem Hoffmann im ersten Akt singt und der offensichtlich ein ungeliebtes Kind war, mit Antoniias Mutter zu einer Art toxischer Mütterlichkeit verbinden wollen. Das ist ihm gelungen. Die Liebesgeschichte von Antonia und Hoffmann, der sie offenbar verlassen hatte, bevor er unerwartet wieder auftaucht, erscheint hier als zweitrangig.
Im vierten Akt geht es dann richtig zur Sache. Hier kommt auch Hoffmann voll zum Zug. Kounghan Seo kann zeigen, was er stimmlich und darstellerisch draufhat. Auch Hirayama als Nicklaus läuft zu Hochform auf.
Die Kurtisane Giulietta und Hoffmanns Freund eröffnen eine fantastische Nacht in Venedig. Hoffmann verfällt Giulietta so sehr, dass er ihr sein Leben verspricht. Sie will aber nur sein Spiegelbild. Um Giulietta für sich zu haben, bringt Hoffmann seinen Nebenbuhler Schlemihl um. Zum Schluss auch den Diener von Giulietta und schließlich sie selbst, als er begreift, dass er mir seinem Spiegelbild seine Menschlichkeit verloren hat.
Die Turbulenzen vom werden vom Loh-Orchester, unter seinem neuen künstlerischen Leiter Gábor Hontvári und dem Opernchor bravourös bewältigt. Seit Zeiten von Friedrich Liszt gilt sein Wort: Das Loh-Orchester ist großartig – gefangen in einer kleinen Stadt.
Im fünften Akt geht es zurück zur Normalität. Hoffmann ist durch seine Erzählungen psychisch angeschlagen, er zerfließt in Selbstmitleid. Zum Glück verlässt ihn seine Muse nicht. „Groß ist man durch Liebe, aber größer noch durch Schmerz“.
Prins hat sich bei seiner Inszenierung dicht an die literarischen Vorlagen von ETA Hoffmann gehalten. Jaques Offenbach war es nicht vergönnt, seine Oper selbst zu vollenden. Er hinterließ die vier ersten Akte, allerdings fehlte im Vierten das Finale und der ganze 5. Akt. Offenbachs Sohn August beauftragte den Komponisten Ernest Guiraud, das Werk für die avisierte Aufführung fertig zu stellen. Die wurde ein Welterfolg. Später veröffentlichte Offenbachs Verleger Choudens eine Fülle von Material aus dem Nachlass. Zwei Musikwissenschaftler stellten daraus 2005 eine Fassung her, aus der sich die Konzeption des Theaters Nordhausen bedient hat. Mehr kann man aus dem wie immer hervorragenden Programmheft von Dr. Juliane Hirschmann erfahren, dass man unbedingt vor der Aufführung gelesen haben sollte.
Von der Premiere des „Freischütz“ am 18.Juni 1821 in Berlin erzählt man sich, dass am nächsten Morgen auf den Berliner Straßen der Schlusschor „Oh, lasst uns zum Himmel die Blicke erheben“, gesungen und gepfiffen wurde. In Nordhausen verließ das Publikum nach schier endlosen Ovationen das Theater mit der Melodie der Bacarole auf den Lippen.
Nächste Termine: 12.10, 25.10., 14.11., 30.11., 05.12.
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