Von Ulrich Sauer
Am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause geschah im Bundestag Unerhörtes. Abgeordnete machten von ihrem Recht auf weisungsfreie Entscheidung Gebrauch und verweigerten ihrer Fraktionsführung und dem Kanzler die Gefolgschaft. Die anschließende Debatte verlief dann wieder wie gewohnt. Außer Phrasen und zum Teil hysterischem Gekreische nichts gewesen. Eine Feststellung verdient allerdings Beachtung: Die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht sei eine hervorragende Juristin, über jeden fachlichen Zweifel erhaben.
Ist das wirklich so?
Für die Suche nach einer Antwort sind die Verlautbarungen aus gerufenem Mund wie der Offene Brief der 300 oder die Kommentare in den meinungsmachenden Medien wenig hilfreich. Hier muss schon etwas tiefer geschürft werden. Man muss sich vor Augen halten, dass in Karlsruhe kein akademischer Gedankenaustausch stattfindet, sondern Urteile gefällt werden. Es geht also um Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Was muss ein guter Richter können? U.a. muss er einen Sachverhalt unter gesetzliche Regeln subsumieren können. Bei dieser Tätigkeit sei einer Rechtsgelehrten durchaus ein gewisser Kompetenzvorsprung zugestanden. Leider nützt dies alles dann nichts, wenn von einem falschen Sachverhalt ausgegangen wird, was zwangsläufig eine falsche Entscheidung, ein Fehlurteil also, wenn man so will, zur Folge hat. Besonders deutlich wird dies im Strafverfahren. Die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen ist anspruchsvoll, verlangt Eigenständiges. Hilfe durch Fachkommentare mit Hinweisen auf herrschende Meinungen und gefestigte Rechtsprechung stehen nicht zur Verfügung, selbstständiges Denken, das nicht alles für bare Münze nimmt, was z.B. staatliche Stellen behaupten, und Gründlichkeit sind unabdingbar. Über dieses so skizzierte Anforderungsprofil für richterliche Tätigkeit dürfte doch über alle weltanschauliche Gräben hinweg Konsens bestehen.
Überprüfen wir nun anhand dieses Maßstabs, ob jene Professorin aus Potsdam geeignet ist. Im November 2021 schreibt sie in einem Kurzgutachten zur Impfpflicht u.a. folgendes :“Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit….durch eine Impfpflicht ist vergleichsweise gering, weil das Risiko von Gesundheitsschäden(Nebenwirkungen) durch eine Impfung nach dem aktuellen Stand medizinischer Erkenntnisse im Allgemeinen klein ist“. Wer so argumentiert, offenbart Defizite bei der Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen. Schon die Formulierung „Im Allgemeinen“ zeigt, da schwammig, dass die Kandidatin sich nicht um Klar- und Wahrheit bemüht. Es gibt Nebenwirkungen, es gibt keine Nebenwirkungen, es gibt große Nebenwirkungen und kleine , es gibt langanhaltende und kurzzeitige Nebenwirkungen, aber keine Nebenwirkungen im Allgemeinen. Wichtig ist aber folgendes: Ende 2021 gab es schon genügend plausible Hinweise auf z.T. schwere Nebenwirkungen. Wer diese angesichts der Turboentwicklung der fraglichen Impfstoffe überhaupt nicht überraschenden Befunde negiert und stattdessen den regierungsamtlichen Darstellungen folgt, zeigt, dass sie mit der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen schlicht überfordert ist. Die meisten Richterinnen an deutschen Gerichten können es und praktizieren dies auch im Berufsalltag.
Wollen wir uns eine Richterin am höchsten Gericht antun, deren Umgang mit der Impfpflicht im Jahr 2021 in fataler Weise die Erinnerung an jenen unsäglichen, menschenverachtenden Ausspruch „Möge die ganze Republik mit dem Finger auf sie zeigen“ wachruft?
Ulrich Sauer
Überlingen, 17.07.2025
