Lothar W. Pawliczak
Es hyperventiliert von allen Seiten. Der Kanzler hat „Ja“ gesagt. Plagiat oder Nicht-Plagiat? Geplanter Staatsstreich. Moralischer Fanatismus. Schmähkampagne. Eskalationsspirale. Versagen des Fraktionsvorsitzenden. Armutszeugnis. Dilettantismus. Schlamassel. Debakel. Koalition in der Krise. Fatale Folgen. Entsetzt. Blamiert. Skandal. Bundesverfassungsgericht beschädigt. Staatskrise. Schwarzer Tag. Widerliche Lebensschützer. Rechter Kulturkampf. Politische Zumutung. „Das kann man sich als Frau nicht bieten lassen!“, nicht gewählt zu werden. Man brauche Staatstragenheit. Die SPDler, Grünen, Linken, können sich vor Empörung kaum wieder einkriegen. ARD-Restle sieht sogar einen Trump wirken. Unerhört, daß nicht alle CDUler zwei von der SPD zur Wahl als Bundesverfassungsrichter Vorgeschlagene wählen wollen. Die Empörten, die glauben, kein Sachargument vortragen zu müssen, wissen offensichtlich nicht, was eine Wahl ist.
Dem kann abgeholfen werden: Eine Wahl ist eine Auswahl von Individuen, so daß sie für eine Gemeinschaft oder Gesellschaft deren Willen ausdrücken, Entscheidungen treffen und für die handeln sollen. Formell oder durch Tradition ist geregelt, wer prinzipiell wählbar ist, wer Wahlvorschläge machen darf und wer wahlberechtigt ist. Bei jeder Wahl gibt es also Nicht-Gewählte, nämlich zum einen alle, die nicht zur Wahl vorgeschlagen worden sind. Und zum anderen möglicherweise Vorgeschlagene, die nicht gewählt werden. Wenn es keine Nicht-Gewählten beiderlei Art geben kann, ist es keine Wahl.
Es muß bei einer Wahl immer die Möglichkeit geben, daß die Wahlberechtigten die zur Wahl Vorgeschlagenen nicht wählen. Wenn die Vorschläge nur zu bestätigen sind, handelt es sich nicht um eine Wahl, sondern um eine Kür. Aus der Geschichte kennen wir verschiedene Formen der Kür und wir haben in voller Länge mit der Krönung von King Charles III. – His Majesty Charles the Third, by the Grace of God, of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and of His other Realms and Territories King, Head of the Commonwealth, Defender of the Faith – eine Kür im Fernsehen verfolgt. Akklamation, Weihe, Salbung, Ritterschlag, Ummantelung, Thronsetzung. Das Volk hat dann noch zu huldigen.
Wenn man also meint, daß die Abgeordneten des Bundestages nur die Entscheidung des Richterwahlausschusses mit einer Kür der Vorgeschlagenen zu bestätigen haben, sollte man dafür eine angemessene und dem Bundesverfassungsgericht würdige Form finden. Mein Vorschlag: Nach dem Beifall der Abgeordneten, wenn die Vorgeschlagenen in den Saal kommen, empfangen die Kandidaten zuerst vom Bundestagspräsidenten, der vom Bundesratspräsidenten assistiert wird, das weiße Jabot, worauf die Ummantelung mit der roten Verfassungsrichterrobe durch den Bundespräsidenten folgt. Der Bundeskanzler und alle Minister wirken dabei als Ministranten mit. Anschließend Selbstkrönung mit dem Verfassungsrichterbarett, während sich die Abgeordneten von ihren Plätzen erheben und sich vor den Gekürten verbeugen. Die Abgeordneten in der ersten Reihe können auch andächtig niederknien. Anschließend gibt es eine Huldigung der Gekürten auf der großen Treppe des Reichstagsgebäudes durch ausgewählte Abgesandte des Volkes.
Und da man ja auf die Idee gekommen ist, eine Wahl auszusetzen, weil die Wahlberechtigten voraussichtlich nicht so gewählt hätten, wie sie sollten, wäre es doch sinnvoll, die teuren Bundestagswahlen auch abzuschaffen, da ja wahrscheinlich 20 Prozent der Wähler oder mehr nicht so wählen, wie sie sollen. Eine Kür-Zeremonie des Bundeskanzlers wäre doch auch viel prächtiger, als langweilige und mitunter im ersten Anlauf mißlingende Wahlen durch die Abgeordneten.
