Der Fuchs im Hühnerstall

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Von Christoph Ernst

Mit Friedrich Merz verweilt Deutschland im Lager der europäischen Schlafwandler. Aus Washington rollt derweil ein Gewitter heran. Wetterleuchten zuckt über dem Atlantik und taucht die maroden Fassaden der Potemkinschen Dörfer in grelles Licht.

Der Kurs der neuen US-Regierung wirbelt die Welt durcheinander. Laut den Politikwissenschaftlern Steven Levitsky und Lucan A. Way will Donald J. Trump die USA autoritär umbauen. In Foreign Affairs, der Zeitschrift des ‚Council on Foreign Relations‘, haben sie skizziert, wie sein ‚Pfad zu amerikanischem Autoritarismus‘ aussehen würde, und wie er staatliche Institutionen nutzen wird, um die Opposition zu lähmen und sie zu zermürben. Das Drehbuch liest sich vertraut. Allerdings erinnert es mich eher an den Ansatz, den die Biden-Regierung übe die letzten Jahre genutzt hat, um Trump mit Hilfe von Justiz und Medien zu diskreditieren, zu kriminalisieren und so die Wiederwahl des ‚Populisten‘ zu verhindern. Insofern liest es sich unfreiwillig entlarvend.

Es gibt grundlegend verschiedene Vorstellungen von ‚Demokratie‘. Ich beispielsweise verstehe darunter, dass jeder mündige Bürger eine Stimme hat und der Wille der Mehrheit den Kurs bestimmt. Aufgabe der Politik ist es, den Mehrheitswillen umzusetzen. Das ist das klassische angelsächsische Prinzip. Das ‚europäische‘ Modell dagegen legt weit größeren Wert auf Konsens und den Schutz von Minderheiten. Es sieht das Volk als eine volatile Masse, die durch ‚aufgeklärte Eliten‘ auf Kurs gehalten werden muss. Sonst läuft es ständig Gefahr, seinen niederen Instinkten zu gehorchen und falsch zu wählen. Diese Art Demokratieverständnis dürfte bei den meisten deutschen Parteipolitikern und EU-Funktionären vorherrschen. Es unterscheidet sich nicht wesentlich von den Prinzipien des ‚Demokratischen Zentralismus‘, die Wladimir Iljitsch Lenin entwickelt hat, und neigt stark zu zentralistischen Hierarchien.

Die Crux des Mehrheitsprinzips besteht darin, dass es leicht Minderheiten unterpflügt. Daher braucht es einen starken rechtsstaatlichen Rahmen, der deren Schutz gewährleistet. Doch der Hund sollte mit dem Schwanz wedeln, nicht umgekehrt. Wenn Elitenprojekte den Willen der Mehrheit ständig im Namen von Minderheiten ignorieren, verkommen sie zwangsläufig zu Diktaturen, unabhängig davon, mit was für Zielen sie sich so schmücken. In der Zuwanderungsfrage, beim Verbot von Verbrenner-Motoren, dem sogenannten Gleichstellungsgesetz oder Lieferkettennachweis verletzten die Vorgaben der Führung ganz erheblich die Interessen der Mehrheit. Sie lassen sich nur durch immer mehr Druck durchsetzen. Doch Brüssel entwickelt da erschreckend viel Ehrgeiz.

Alexander Heiden bemerkt in seinem Essay „Donald Trump, Mathias Döpfner und das Ende der Welt, wie wir sie kennen“, Brüssel sei längst nicht mehr das Zentrum eines föderalen Bundes demokratisch verfasster Staaten. Stattdessen herrsche dort die paternalistische Selbstverliebtheit einer zentralistischen Bürokratie, die sich für allwissend halte. In ihrer durch die Bürger nie legitimierten Verfasstheit erinnere die Union ihn inzwischen eher an Russland als die USA. Bundesstaaten in den USA besäßen mittlerweile mehr Befugnisse als einzelne Länder in der EU. Diese weitgehend dysfunktionale Zentralisierung sei auch der eigentliche Grund dafür, wieso Europa im Konzert der Großmächte keine Rolle mehr spiele und nicht mehr mit China, Indien oder Russland konkurrieren könne. Denn nicht nur, was betreutes Denken anlangt, leider der Kontinent inzwischen unter erheblicher Schlagseite.

Gleichwohl meinen die EU-Eliten über höhere und höchste Moral zu verfügen, und bis letzten Herbst harmonierte ihr Selbstverständnis mit dem der US-Eliten. Doch nun hat die Wahl von Trump dem ein Ende gemacht. Mit Joe Biden verabschiedete sich auch die Identitäts-Ideologie der Obama-Jahre. Die neue Regierung propagiert nicht mehr DEI-Maßnahmen, Transgender-Kult, ‚Postkolonialismus‘ und ‚kritische Rassentheorie‘.

Trumps Motto ‚Make America great again‘ ist das Kontrastprogramm zur ‚woken‘ Agenda von politisch korrekter Selbstverleugnung. Für den Historiker Victor Davis Hanson ist es eine veritable ‚Gegenrevolution‘, die die Rückkehr zur Normalität von zwei Geschlechtern, Gleichheit vor dem Gesetz, ethnischer Farbenblindheit und Meritokratie verspricht, und so großspurig Trump auch daherkommen mag, anders als Barack Obama will er vor der Welt nicht moralische Fleißpunkte sammeln oder besonders tugendhaft dastehen. Er will für sein Land die bestmöglichen Resultate erzielen. Trump denkt nicht global und elitär, er denkt strategisch. Er betreibt Realpolitik. Als gewiefter Geschäftsmann und ‚Dealmaker‘ redet er auch mit der Konkurrenz, und so wie Nixon 1972 nach Peking reiste, um mit dem größten Massenmörder des 20. Jahrhunderts über ein mögliches Ende des Vietnamkrieges zu verhandeln, spricht er mit Wladimir Putin über ein Ende des Tötens in der Ukraine. Aus seiner Sicht haben die USA kein Interesse mehr daran, den Krieg fortzusetzen.

Im Osten der Ukraine liefern sich zwei ungleiche Kontrahenten seit drei Jahren einen Zermürbungskampf, ohne dass einer entscheidende Geländegewinne erzielt. Der Krieg hat sich festgefressen. Täglich leiden und sterben Leute. Die Zahl der Opfer liegt mittlerweile bei geschätzten anderthalb Millionen. Zig Väter, Söhne und Brüder sind Krähenfraß, verstümmelt, verkrüppelt, verblutet, liegengelassen oder verscharrt. Zahllose Familien sind zerstört, Behausungen in Trümmer verwandelt. Es zählt nicht mehr, wer Angreifer und wer Verteidiger ist. Was vielleicht noch zählt, ist, dass das Töten ein Ende hat.

Die USA liefern der Ukraine den Großteil der Waffen. Ohne sie wäre ist der Krieg im Handumdrehen vorbei. Die Ukraine ist am Ende ihrer Kräfte. Doch für die USA ist da nichts mehr zu gewinnen. Geostrategisch spielt die Ukraine keine Rolle mehr. Die Europäer mögen das anders sehen, aber die sind eine zu vernachlässigende Größe. Das machte die Karrierediplomatin Victoria Nuland schon 2014 deutlich, als sie sich in einem abgehörten Telefonat wenig respektvoll über die EU-Führung äußerte. Die EU hat sich längst von der Bühne verabschiedet.

Den USA haben die letzten drei Jahre gezeigt, dass die ehemalige Sowjetunion militärisch keine Bedrohung mehr darstellt. Dauert der Krieg noch länger an, treibt er die Russen nur noch weiter in die Arme der Chinesen. Zugleich fördert er ein Bündnis zwischen Moskau und dem Iran. Das beschwört mittelfristig nur neue Risiken herauf, die es zu vermeiden gilt. Angesichts der wachsenden Stärke der BRICS-Staaten und der Rolle Indiens liegt es also im Interesse der USA, sich rasch mit den Russen zu verständigen. Bevor die komplett ins chinesische Lager abdriften.

Die Ukraine hat tapfer gekämpft, aber keine Chancen, das verlorene Territorium zurückzugewinnen. Jedenfalls nicht ohne einen Weltkrieg. Mehr als ein schaler Kompromiss lässt sich kaum für sie herausholen. Wenn die Europäer den Krieg unbedingt fortsetzen wollen, sollen sie das tun, doch ohne die USA.

So ähnlich dürfte Trump das sehen. Und die Europäer, die mindestens elf Jahre lang Zeit hatten, um sich auf dieses Szenario einzustellen und Victoria Nulands ‚Fuck the EU!‘ zu begegnen, machen ein dummes Gesicht. Statt sich zu wappnen, taten sie unter Führung Angela Merkels alles dafür, um ihre Position zu schwächen. Nun sind sie hell empört und fühlen sich von den Amerikanern hintergangen. Sie jaulen, dass die USA sich eigensüchtig verhalten und ‚den Westen‘ verraten, hyperventilieren und sondern hilflose Solidaritätsadressen an Kiew ab. Sie, die sie unermüdlich Ersparnisse und Vermögen ihrer Völker verheizen, um selbstlos Millionen muslimischer Migranten aufzunehmen, das Klima zu retten und Abbitte für die Sünden der Väter zu leisten, sehen sich vom Imperium schnöde im Stich gelassen.

Aber so läuft das eben. Verschieben sich Gewichte, justieren Großmächte ihre Prioritäten. Dabei scheren sie sich selten um anderer Leute Träume, Ideale oder die höhere Moral. Das sollten gerade die Europäer eigentlich wissen. Ein Blick zurück würde helfen: Donald Trump verhält sich nicht kaltschnäuziger als Klemens von Metternich, herzloser als Otto von Bismarck oder rüder als Winston Churchill. Im Gegenteil. Er rettet das Leben von jungen Männern, die sonst jedenfalls im Fleischwolf landen.

Aber zugleich tut er eben das, was die europäische Großmeisterin des Doppelstandards Ursula von der Leyen bei anderen für äußerst unfein hält. Er verfolgt eigene Interessen. Obendrein sagt er das Offensichtliche: Wer für die Musik zahlt, bestimmt die Melodie.

Und die Europäer, wie trotzige Kinder oder kindische Greise, weigern sich, das zu begreifen.



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