Der Fall Gelbhaar – ein grünes Desaster – Nachtrag: Die Reaktion des Kreisverbands Pankow

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Von Philipp Lengsfeld

Dieser Text ist ein Nachtrag des Berichts über den Fall Gelbhaar : Bis Montag, 20. Januar 18:00 hatte der Kreisverband der Grünen Pankow die Chance ein wenig von dem politischen und persönlichen Schaden abschichten zu können, der gegenüber Stefan Gelbhaar und der Öffentlichkeit durch eine Falschvorwurfkampagne angerichtet worden war. Und an dem der Kreisvorstand Pankow und seine Mitgliederversammlung einen ganz erheblichen Anteil hatte.

Leider hat sich der Kreisverband für einen anderen Weg entschieden. Auch aus tiefer Enttäuschung darüber, dass sich ein deutsches Kollektiv wieder gegen Fehlerkorrektur, gegen Verantwortungsübernahme entschieden hat, dokumentiere ich diesen Beschluss der Schande vollständig und kommentiert – in den Quellen können Sie den Originaltext nachlesen.
Der Geist des Beschlusses findet sich natürlich schon gleich in der Überschrift: „Gemeinsam in den Wahlkampf“ verkünden die Grünen Pankow und meinen damit, dass „Partei“ über Land, Recht und persönlichem Schicksal steht.

Eröffnet wird die gemeinsame Erklärung dann mit der deutschen Kollektiv-Paradedisziplin: Schwulstige Gefühligkeit: Man und frau sind „betroffen“, „entsetzt“ und was das deutsche Gefühls-Moralvokabular noch so in petto hat:

Hier ist der erste Satz (O-Ton Grüne Pankow):

Mit Entsetzen haben wir zur Kenntnis genommen, dass ein Teil der Anschuldigungen gegen Stefan Gelbhaar unter falscher Identität erhoben wurden, indem eine eidesstattliche Versicherung möglicherweise gefälscht wurde.

Vermeintlich starke Worte, aber ohne politische Konsequenzen nichts weiter als leerer Gefühlsquark.

Im nächsten Satz wird dann nach der Betroffenheitskarte gefühlig nachgezogen, man appelliert und -ganz im Sinne der zweite deutschen Lieblingsübung- „begrüßt“

O-Ton Grüne Pankow:

Falls sich dieser Verdacht als wahr herausstellen sollte, begrüßen wir, dass strafrechtliche Konsequenzen eingeleitet werden sollen.

Zur Erinnerung: Es war die Entscheidung des Kreisvorstandes Pankow dem schon nominierten Bundestagsabgeordneten Gelbhaar die im November mit über 90% Zustimmung übergebene Kandidatur auf Grund ganz offenkundiger Kampagnenvorwürfe Anfang Januar wieder wegzunehmen. Und dann nach Zusammenbruch der Kampagne nicht etwa Fehler zu korrigieren, sondern Durchhalteparolen auszugeben.

Dieser Kreisvorstand und Kreisverband „begrüßt“ es jetzt, dass andere in dem Scherbenhaufen rumpolken müssen.

In den nächsten Sätzen kommt die einzige Konzession, die der Kreisverband Pankow seinem Bundestagsabgeordneten zugesteht:
Gelbhaar ist „insofern Opfer“, dem „persönlich schwerer Schaden zugefügt“ wurde, was der Kreisverband Pankow, der für diesen Schaden ganz erheblichen Anteil hatte, gratismutig und heuchlerisch großherzig so formuliert: „dies bedauern wir ausdrücklich“.

Dies „bedauern wir ausdrücklich“ schreiben diejenigen, die für mindestens 50% des Schadens gegenüber Stefan Gelbhaar voll verantwortlich sind – im Englischen nennt man diese Art, wo Deutsche eine gewisse Meisterschaft entwickelt haben: „adding insult to injury“! Und schuld sind immer die anderen, lesen Sie den kompletten Absatz in seiner ganz Brutalität:

O-Ton Grüne Pankow:

Dieses Verhalten schädigt nicht nur unsere Partei und das Vertrauen in innerparteiliche Klärungsprozesse, sondern auch alle Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt und Belästigung sind. Aber auch Stefan Gelbhaar ist insofern Opfer erfundener Vorwürfe sowie einer möglichen Straftat geworden. Dadurch ist ihm politisch wie persönlich schwerer Schaden zugefügt worden. Dies bedauern wir ausdrücklich. Eine solche kriminelle Energie hat in unserer Partei eindeutig keinen Platz und wir verurteilen dieses Verhalten scharf.

Besonders peinlich finde ich den gratismutigen, nachtreterischen Satz: „wir verurteilen dieses Verhalten scharf“. Und besonders unappetitlich ist die fast genüssliche Freude, dass man Schuld und Verantwortung komplett an andere verschieben zu können meint:

O-Ton Grüne Pankow:

Wir begrüßen, dass der Bundesvorstand Klarheit über das weitere Verfahren geschaffen hat, denn die vergangenen Wochen haben auch gezeigt, dass die aktuell existierenden Strukturen zur Aufklärung öffentlicher Vorwürfe unter Zeitdruck ungeeignet sind, da sie darauf nie ausgelegt waren. Daher streben wir an, dass für genau diesen Zweck Strukturen geschaffen werden.

Es wird „begrüßt“ und zwar, dass andere sich um den Schlamassel kümmern, den man zu erheblichen Teilen mitangerichtet hat.
Immerhin kommt jetzt die Passage, die mir persönlich am besten gefällt: Es wird tatsächlich ausgesprochen, dass Strukturen und Mechanismen geändert werden müssen.

O-Ton Grüne Pankow:

Es ist klar geworden, dass wir in unseren Strukturen auf Landes- wie Bundesebene enormen Reformbedarf haben. Sowohl der Kreisverband wie der Kreisvorstand werden sich mit aller Kraft für eine Reform der Parteistrukturen einsetzen, um zukünftig angemessener auf solche wie auf vergleichbare Situationen zu reagieren.

Aber wie in jedem deutschen Prozess geht man einen Schritt vor und dann praktisch wieder zwei Schritte zurück.

O-Ton Grüne Pankow:

Wir hoffen, dass die aufrecht erhaltenen Meldungen sowie der gesamte Vorgang bei der neu gebildeten Kommission des Bundesvorstandes schnell aufgeklärt werden können, so dass mit den Betroffenen ein Weg der Aufarbeitung gefunden und nach vollständiger Klärung gegebenenfalls eine Rehabilitierung von Stefan Gelbhaar möglich gemacht werden kann; sodann würden wir uns freuen, wenn Stefan Gelbhaar sich zukünftig weiter innerhalb unseres Kreisverbandes engagiert.

Jetzt wird auch noch „gehofft“.

Und dann ein tolles Szenario an die Wand geworfen: So könne „gegebenenfalls eine Rehabilitierung von Stefan Gelbhaar“ „möglich gemacht“ werden.

Gegebenenfalls? Möglich gemacht? Das ist angesichts der jetzt schon drückenden Beweislast zugunsten der Gewissheit, dass eine Kampagne gegen Gelbhaar bösartig und ruchlos inszeniert schon ein mehr als starkes Stück.

Schlussendlich gibt es noch eine weitere Emotion bei den Grünen Pankow – jetzt würden sie sich noch windelweich „freuen“, wenn Stefan Gelbhaar „sich zukünftig weiter innerhalb unseres Kreisverbandes engagiert“. Auch das eine für mich unfassbar erbärmliche Reaktion, die dann auch noch passiv-aggressiv abgerundet wird.

Da verwundert es dann auch nicht mehr, dass einer der beiden Vorsitzenden der Grünen Pankow, Nicolas Scharioth, den Beschluss in der Kurzfassung gegenüber dem rbb am gleichen Abend noch mal krasser zusammenfasst:

O-Ton Grüne Pankow, Ko-Kreisvorsitzender Nicolas Scharioth:

Stefan Gelbhaar ist großer Schaden entstanden, persönlicher Art, beruflicher Art. Das nehmen wir zur Kenntnis. Das bedauern wir sehr. Wir sind der Auffassung er hat jedes Recht sich zu verteidigen. Die Unschuldsvermutung gilt für ihn.

Das ist die Aussage eines deutschen Verantwortungsträgers! Ich würde sogar sagen, dass wenn Gelbhaar ein „Opfer“ war, dann ist der Kreisvorstand der Grünen Pankow und damit auch Nicolas Scharioth ein „Täter“.

Und besonders krass ist die deutsche Politgrossherzigkeit: Gelbhaar „hat alles Recht sich zu verteidigen. Die Unschuldsvermutung gilt für ihn“ – das ist natürlich politisch, juristisch und verfassungstheoretisch absolut abgründig.

Nicolas Scharioth hat hier unbewusst einen Blick in die neue grüne Politwelt gewährt, wo die Anklage und die Stigmatisierung schon längst die politische Beurteilung und eine daraus folgende mögliche Verurteilung vorwegnimmt. Das ist natürlich stalinistische Denke in Reinkultur. Es gilt nicht, was jemand tatsächlich gemacht hat, sondern wenn jemand aus der Gunst der „Partei“ oder besser der moralisch erleuchteten medialen Öffentlichkeit fällt, dann ist er oder sie eben verloren, schuldig sowieso.
Haben Sie genug gehört?

Mir ging es auch so, aber die Grünen Pankow haben noch eine weitere Emotion („wir danken“) nicht ausgespielt und eine politische Botschaft in der Hinterhand, auf die nun wirklich niemand gekommen wäre.

O-Ton Grüne Pankow:

Wir danken Julia Schneider, dass sie in dieser schwierigen Situation die Nominierung als Direktkandidatin angenommen hat. Wir setzen mit diesem Antrag ein Zeichen der Geschlossenheit, um mit Julia Schneider gemeinsam in den Wahlkampf zu ziehen. Der Bezirk Pankow braucht eine starke Stimme für soziale und ökologische Veränderung – und vor allem gegen rechts.

Ich war zuerst perplex, dass Julia Schneider, die Stefan Gelbhaar anlässlich der jetzt in sich zusammengefallenen Vorwürfe die Kandidatur entrissen hat, auch noch „gedankt“ wird. Aber natürlich hat der Kreisvorstand recht: Ohne einen Ausführer ist auch der schönste deutsche Kollektivrichtspruch nicht umsetzbar – wenn Julia Schneider sich nicht hergegeben hätte („in dieser schwierigen Situation“) hätte der Kreisvorstand es vielleicht nicht gewagt, Stefan Gelbhaar die Kandidatur wegzunehmen.

Die letzten beiden Sätze sind wieder deutscher Parteisprech in Reinkultur: Die Verweigerung einer Selbstkritik und auch nur dem Hauch einer Korrektur wird als „Geschlossenheit“ verkauft, die ja angeblich das Wahlvolk von einer deutschen Partei immer erwartet. Um im letzten Satz eine Habeck-artige Selbststilisierung schlimmster Sorte nachzuschieben: Pankow braucht eine „starke Stimme“ für „Veränderung“ „und vor allem gegen rechts“.

Wenn ich es nicht schwarz auf weiß dokumentieren könnte, würden Sie mir dies bestimmt nicht glauben: Die momentanen Grünen sind politisch und menschlich offenbar vollkommen schmerzbefreit.

Wie schon in meinem ersten Text kann ich nur daran erinnern, dass zum Glück auch in der deutschen Demokratie das letzte Wort nicht eine „Partei“, sondern das Wahlvolk hat.

Im Wahlkreis 076 Pankow hat 2021 der grüne Kandidat Stefan Gelbhaar 35.919 Erststimmen erhalten und mit diesen 26,8% mit recht deutlichem Vorsprung das einzige Direktmandat für die Grünen in einem Wahlkreis auf dem Gebiet der ehemaligen DDR errungen. Ein Bundestagsmandat, das in der 20. Wahlperiode ja auch verbunden war mit Regierungsverantwortung in der Ampel, jetzt in der rot-grünen Minderheitsregierung.

Ich kann nur an die Wahlberechtigten im Wahlkreis Pankow appellieren: Diese Grünen und ihre Kandidatin Julia Schneider müssen die Quittung für das oben skizzierte Verhalten präsentiert bekommen.

Quellen:

Das Statement der Grünen Pankow als gemeinsamer Beschluss der Mitgliederversammlung vom 21. Januar:

https://gruene-pankow.de/2025/01/21/beschluss-der-pankower-mitgliederversammlung-fuer-pankow-gemeinsam-in-den-bundestagswahlkampf-2/

rbb Abendschau vom Mittwoch (bis 31. Jan): 10:40 – 13:15 (bei 11:25 Statement von Nicolas Scharioth)

https://www.ardmediathek.de/video/rbb24-abendschau/rbb24-abendschau-vom-22-01-2025/rbb/Y3JpZDovL3JiYl83NGY0YTE0ZS03MDVhLTQwMzEtOWZmOC1iNDUxOTcwOWQxMWRfcHVibGljYXRpb24



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