Sondierungspapier CDU/BSW/SPD Thüringen – Wie die Thüringer hinter die Fichte geführt werden

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Seit gestern überschlagen sich die Meldungen, dass Sahra Wagenknecht von der Thüringer CDU verlangt hat, sich vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu distanzieren, sonst gäbe es keine Koalitionsverhandlungen. Die völlig überraschte CDU wies das als „abenteuerlich“ zurück. So weit hat sich die Politik inzwischen von der Realität entfernt, dass sie nicht mehr für möglich gehalten hat, dass jemand nach den Wahlen sagt, was er im Wahlkampf verlauten ließ. Denn das ist das Einzige, was man Sahra Wagenknecht vorwerfen kann. Sie hat sich und ihre Partei gegen das zunehmende Spiel mit dem Kriegsfeuer gestemmt. Friedrich Merz hat dafür plädiert, der Ukraine Taurus-Raketen zu liefern, mit denen Russland in der Tiefe seines Raumes getroffen werden kann. Das haben bislang sowohl der amerikanische Präsident Joe Biden als auch Bundeskanzler Scholz abgelehnt. Was den ukrainischen Präsidenten Selenskyj betrifft, so sollte man spätestens seit seinen beunruhigenden Bemerkungen über Atomwaffen nachdenklich werden.

Die CDU Thüringen, die nach 10 Jahren selbstverschuldeter Abstinenz von der Macht koste, was es wolle, zurück an die Regierung gelangen will, gab zu Protokoll:
“Ihre Forderungen werden immer abenteuerlicher.” Die Thüringer CDU sei bei den Gesprächen mit Vertretern des BSW “auf einem guten Weg”. “Diesen werden wir in den kommenden Tagen im Interesse Thüringens fortsetzen – am besten ohne weitere unnötige Wortmeldungen aus Berlin”, schrieb der stellvertretende CDU-Landeschef Christian Hirte. Offensichtlich störe Sahra Wagenknecht die “pragmatische Politik” in Thüringen.

Höchste Zeit, klarzumachen, was die CDU mit „gutem Weg“ meint.
Das Sondierungspapier, das von den drei Verhandlungspartnern veröffentlicht wurde, gibt darüber Auskunft. Es ist ein 19-seitiger Versuch, die Thüringer mit einem Wortgeklingel hinter die Wohlfühl-Fichte zu führen und sie glauben zu machen, es würde im Interesse des Landes verhandelt.

Was wirklich drinsteht, erfordert die Kunst, zwischen den Zeilen lesen zu können.
Ganz am Anfang steht die „Demokratiebildung“, der die Thüringer unterworfen werden sollen. Dabei werden neben der Landeszentrale für Politische Bildung, dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung und Lehrplanentwicklung und Medien „weitere gesellschaftliche Akteure“, also die NGOs und Vereine, die dank des über 100 Millionen schweren Programms „gegen rechts“ wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, genannt. Kein Wort gegen die „Akteure“, die auch die CDU immer wieder angreifen. Für die Macht hält die CDU außer der rechten auch die andere Wange hin.
Weiter vorn werden die Leser mit unverbindlichen Forderungen nach „weniger Dokumentations-, Berichts- und Statistikpflichten“ geködert. Es soll ein kostenloses „gesundes“ Mittagessen in Kindergärten und Schulen geben, mehr Ganztagsangebote für die „bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Inklusion, ein wokes Projekt, bleibt „zentrales Anliegen“.
Die Möchtegern-Koalition will „einen aktiven Einsatz an Schulen und Hochschulen für die Förderung von Frieden, Freiheit und Weltoffenheit, um jungen Menschen frühzeitig die Werte des friedlichen Miteinanders und der globalen Verantwortung zu vermitteln“. Statt sich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern, soll der Thüringer Jugend „globale Verantwortung“ indoktriniert werden. Da muss die bestmögliche Fachausbildung hintanstehen. Dafür sollen bei „Mangelberufen“ die Zulassungsbeschränkungen „überprüft“, also herabgesetzt und der Zugang zu Studiengängen „erleichtert“ werden.

Das Lippenbekenntnis des Papiers zur „sozialen Marktwirtschaft“ klingt gut, soll aber von einer „ressortübergreifenden“ Wirtschaftspolitik begleitet werden. Die Politik will weiter regulieren, damit „Thüringen eine soziale Verantwortung übernehmen kann“. Schwerpunkt sei eine „nachhaltige Wirtschaftspolitik, die den Voraussetzungen der modernen Arbeitswelt gerecht wird und den wirtschaftlichen Fortschritt vorantreibt“. Hier ist eine „Fortschrittskoalition“ à la Ampel angedacht, mit „klarer Ausrichtung auf Themen und Megatrends“. Wer Themen und Megatrends vorgibt, wird nicht erwähnt. Zu befürchten ist, dass es sich um politische Vorgaben handelt, wie sie im nächsten Satz formuliert werden: Technologischer Wandel, nachhaltige Energielösungen, die mit „aktiver und vorausschauender Förderpolitik“ vorangetrieben werden sollen. Ein Schelm, wer da an „grünen Wasserstoff“ oder das Heizungsgesetz von Habeck als Vorbild denkt? Immerhin soll es in Thüringen „Erfolgskontrollen“ geben. Es soll einen „Transformations-, Technologie- und Innovationsfonds“ geben, der die „digitale und technologische Zukunft“ sichert. Nach der Erfolgskontrolle kommt die „konzentrierte Gründer- und Nachfolgeförderung“. Es soll ein Thüringer Forschungs- und Exzellenzprogramm geben. Woher die „Exzellenz“ kommen soll, wenn die Studienvoraussetzungen abgesenkt werden, bleibt ein Geheimnis der Papierautoren.

Die Wirtschaft soll mit einer „stärkeren Tarifbindung“ für „faire Arbeitsbedingungen“ beglückt werden. Um den Fachkräftemangel zu beseitigen, soll es eine kostenlose Meisterausbildung geben und eine „gezielte Anwerbeoffensive für ausländische Fachkräfte und Auszubildende“. Kein Wort zu den in Thüringen befindlichen ausländischen Bürgergeldempfängern, die doch angeblich alles gut ausgebildete Fachkräfte, Ingenieure und Wissenschaftler sein sollen.
In dem Wunschkonzert kommt natürlich auch der Gesundheitssektor vor. Hier sollen Ärzte und Pflegekräfte aus dem Ausland offensiv angeworben werden. Im „20-Minuten-Land“ Thüringen soll es flächendeckende Krankenhäuser, Polikliniken und Landarztpraxen und Landapotheken geben. Wer glaubt dieser Botschaft? Die „Senkung der Pflegekosten“ soll durch „Übernahme der Subventionskosten für Pflegeeinrichtungen“ erfolgen.
„Wir werden Wege finden, wie auch das Landespflegegeld oder Gehälter für pflegende Angehörige einen wichtigen Beitrag leisten können.“
Anpassung des Blinden- und Gehörlosengeldes wird ebenso versprochen, wie Verbesserungen für Menschen mit niedrigen Renten und eine steuerliche Entlastung für Rentner. Auch die Corona-Politik soll aufgearbeitet werden, aber nur, um „aus den Fehlern zu lernen“ und das „Gesundheitssystem nachhaltig zu stärken“.
„Die Partner verständigen sich über den Weg der Aufarbeitung.“
Auch ein „Bürgerrat“, wie ihn Olaf Scholz vorgeschlagen hat, wäre möglich.
Ein Richtungswechsel in der Migrationspolitik wird versprochen. Kein Wort über die unkontrollierte Masseneinwanderung. Die Kommunen sollen durch Erhöhung der Landeszuschüsse ruhiggestellt werden. Die problematischen Erstaufnahmeeinrichtungen in Suhl und Eisenberg sollen geschlossen werden, ohne dass es bislang eine Nachfolgelösung gibt. Eine neue „Ausländerbehörde“ soll entstehen, die „Aufnahme, Anerkennung, Integration und Rückführung bündelt“. Eigene Abschiebeplätze werden ebenso versprochen, wie die „Durchsetzung des Ausreiseinteresses bei straffällig gewordenen Ausländern“. Immerhin soll es eine zügige Umsetzung der Bezahlkarte geben, eine „forcierte Auffindung der Ausreisepflichtigen“ (Wer teilt ihnen mit, dass sie untertauchen müssen – die neue Ausländerbehörde?). Es soll eine Bündelung und Beschleunigung bei Klagen im Asylverfahren geben.
Was die Richter und Staatsanwälte betrifft, soll der „Generationswechsel“ gestaltet werden.
Landwirtschaft und Umwelt sind ein gemeinsamer Abschnitt. Alle landwirtschaftlichen Flächen sollen erhalten werden zum „Schutz der Biodiversität und Förderung der regionalen Wertschöpfung“. Den Landwirten wird eine Entbürokratisierung und Verfahrensvereinfachung versprochen. Lokale Verarbeitung soll gefördert, Bodenspekulationen vorgebeugt und Waldumbau begleitet werden.
Es soll zwar keine Windräder im Wald geben, aber Ausnahmeregelungen für Kommunen. Damit ist der Verspargelung des Waldes Tür und Tor geöffnet. Wolf- und Wildtiermanagement, sprich Abschüsse, sollen ermöglicht werden.
„Wir bekennen uns zum Klimaschutz und setzen uns für eine Reduzierung der Treibhausgase ein.“ Flächenversiegelung soll reduziert werden.
Für Immobilienbesitzer gibt es die frohe Botschaft, dass die Belastung durch die Grundsteuerreform „vermieden“ werden soll. Und wenn sie sich nicht vermeiden lässt? Auch die Förderprogramme für Städte und ländliche Regionen sollen aufgestockt werden.
Unter dem Stichwort „Heimat und Tradition“ wird ein „freiwilliges Gesellschaftsjahr“ für Jugendliche und ein „neues Leitbild“ für das „Grüne Herz Deutschlands“ angedeutet und eine „Dachmarkenstrategie“, was immer das ist, bekräftigt. Außerdem soll es einmal im Jahr einen „Familienkulturtag“ geben, an dem Familien kostenlos kulturelle Einrichtungen besuchen können.
Wieder wird Bürokratie

abbau versprochen, EU- und Bundesrichtlinien sollen auf das notwendige Mindestmaß beschränkt werden.
Der Staat soll „serviceorientiert“ werden, eine „neue Kultur der Verwaltung“ wird versprochen. Um die Effizienz der Fördermittel zu erhöhen, sollen sie gebündelt werden. Zur „neuen Kultur“ gehört offensichtlich, dass die Verwaltung aufgebläht werden soll. Thüringen soll „als Arbeitgeber“ attraktiv gemacht werden.
„Wir stellen bei der Besetzung der Regierungsämter sicher, dass sich Minister und Staatssekretäre dem Land Thüringen verbunden fühlen.“ Damit wird der Parteienfilz gestärkt und Kompetenz spielt weiter keine Rolle.

Bei der spannenden Frage, wie das alles finanziert werden soll, wo das Haushaltsdefizit bereits 1,3 Milliarden beträgt, wird eine Haushaltsstrukturkommission vorgeschlagen, die eine umfassende Ausgabenkritik ausarbeiten soll. Das ist fast witzig, wenn es nicht so perfide wäre, denn in ausnahmslos allen Positionen des Papiers werden höhere Ausgaben angekündigt, von Kürzungen ist nirgends die Rede.

Das Beste kommt zum Schluss: Die Verhandlungspartner wollen aus Verantwortung für eine stabile Regierung und ein funktionsfähiges Parlament einen „neuen Politikstil“ einführen. Der „Kooperationsausschuss“ soll das Gremium sein, das für die regelmäßige Abstimmung und Verständigung zuständig sein soll.
„In diesen Treffen wird die gemeinsame Arbeit sowohl im Parlament als auch in der Regierung koordiniert. Im Rahmen dieser Gespräche wird die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament sowie die Umsetzung der gemeinsamen Vorhaben kontinuierlich besprochen, überprüft und dokumentiert.“ Sie nennen es „prälegislatorisches Konsultationsverfahren“ und verweisen auf den Art. 67 Abs. 4 der Thüringer Verfassung. Ohne Verfassungsexpertin zu sein, bin ich mir sicher, dass die Thüringer Verfassung eine solche Entmachtung von Regierung und Parlament nicht insinuiert hat.
Die Thüringer haben mehrheitlich bürgerlich-konservativ gewählt und sollen eine Regierung bekommen, die nichts davon ist. Dass hier Christdemokraten mitgewirkt haben, ist dem Papier an keiner Stelle zu entnehmen. Es geht hier nicht mehr darum, dass sie Kröten schlucken mussten, um regieren zu können, es scheint eher so zu sein, dass die Thüringer CDU-Spitze nicht mehr weiß, was bürgerlich-konservative Politik, das Erfolgsmodell der alten BRD, wie selbst Annalena Baerbock und Robert Habeck der Ex-Kanzlerin Merkel in einem Geburtstagsbrief bestätigt haben, überhaupt ist. Die Frage ist, ob auch die Parteibasis von diesem Gedächtnisverlust ergriffen wurde, dass sie nicht mehr rebelliert. Eine Regierung, die nach diesen Vorgaben gebildet wird, handelt nicht im Interesse Thüringens, sondern wird weiter an seiner Substanz zehren. Was dabei herauskommt, haben die Thüringer 1989 erleben müssen.



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