Erste Nachbetrachtung zur Konstituierung des Thüringer Landtag:

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Erschreckende Einblicke in politische Seelen der „Wille-der-Mehrheit“-Fraktionen

von Philipp Lengsfeld

Um die Interpretation der Vorgänge bei der Konstituierung des Thüringer Landtags tobt eine mediale Schlacht. Dabei finde ich es relativ leicht. Man muss eigentlich nur die O-Töne der Akteure des selbsternannten „demokratischen Lagers“ für sich sprechen lassen.

Denn vier zentrale Akteure, Mario Voigt, Georg Maier, Bodo Ramelow und ein Stück weit auch Katja Wolf haben wirklich tief in ihre politische Seele blicken lassen.

Und was man da sieht, macht einen nicht froh:

Nicht nur, dass sie gegen alle Traditionen der stärksten Fraktion den Landtagspräsidenten entreißen, nicht nur, dass sie dies in der laufenden Sitzung, der Konstituierung des Landtags machen, nicht nur, dass sie gegen die parlamentarischen Gepflogenheiten ihren Kollegen und frischgewählten MdL und Alterspräsidenten in der Sitzung mobartig traktieren, nein, in der medialen Begleitmusik wird auch noch eine offensive Täter-Opfer-Umkehr versucht:

Fangen wir an mit Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linkspartei, langjähriger Ministerpräsident, aber jetzt Ministerpräsident auf Abruf.

Ramelow verbreitet im MDR den hochgefährlichen Vorwurf und das Schreckensszenario „Staatszersetzung“.

Damit toppt er den ursprünglichen Vorwurf „Trumpismus“ von Donnerstagabend, den er in einem länglichen und ziemlich wirren persönlichen Blog-Eintrag erhoben hat und mit noch weiteren krassen Vorwürfen garniert (Hervorhebung durch Autor dieser Analyse): AfD unter Björn Höcke „missbraucht Parlament als Bühne für eine Opferinszenierung, die man nur noch als Schmierenkomödie bezeichnen kann“

Angesichts dieses wenig staatsmännischen Verhaltens des abgewählten, aber noch amtierenden Ministerpräsidenten, hätte der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt, der Ramelow ablösen will, glänzen können.

Aber Mario Voigt entscheidet sich anders:

Er verplempert nicht nur wertvolle Zeit und politisches Kapital für die Sicherung der Position des Landtagspräsidenten für die CDU, sondern er garniert die Debatte auch mit eigenen Einlassungen: Mit „Demokratieerwachen“ betitelt er einen Post vor Beginn der Sitzung am Donnerstag. Und setzt damit einen ganz schrägen Ton unmittelbar vor Eröffnung der Sitzung. Und Mario Voigt gibt auch den medialen Spin für die Interpretation des Verhaltens der AfD vor:

„Sie wollen die parlamentarische Demokratie auslachen. Sie wollen sich in ihre ewige Opferrolle begeben. Sie wollen die Bevölkerung durch Irreführung erneut gegen die Demokratie aufhetzen.“

Dieser Voigt-Post ging rund 50 min vor Beginn der Sitzung raus!

Ist das der Versuch einer auf Kompromiss und Pragmatismus gepolten zweitstärksten Fraktion, die immerhin gegen die mit deutlichem Abstand stärkste Fraktion eine Mehrheit der linken Wahlverlierer mobilisiert hat?

Nein! Hier wurde von Seiten der CDU von Anfang an massiv Misstrauen geschürt und die medialen Reizworte „Opferrolle“ und „auslachen“ und „aufhetzen“ als Pflöcke eingerammt.

Insofern kann man den Tiefpunkt der Debatte, nämlich den Vorwurf der „Machtergreifung“ durch den parlamentarischen Geschäftsführer MdL Andreas Bühl, dem zweiten Mann in der Fraktion hinter dem Vorsitzenden Mario Voigt auch nicht als zufällige Entgleisung werten.

Das ist alles CDU-seitig durchgeplant gewesen.

In seinem zweiten Post am Freitagmorgen nach der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshof hat der de facto designierte Ministerpräsident Mario Voigt zwar etwas mildere Töne angeschlagen, aber trotzdem auch wieder Öl ins Feuer gegossen, mit neuen Reizvokabeln: „Führungsclique“, „Demokratie verachtet“ „Wählerstimmen missbraucht“. Und dieser sehr eigenwilligen Interpretation des Urteils, bzw. der Vorgaben des Verfassungsgerichts:

„Verfassungsgerichtshof hat den Alterspräsidenten verpflichtet, die Konstituierung des Landtags in demokratischer Weise durchzuführen“.

Und:

„Jedem Abgeordneten sitzt die Verhöhnung des Parlaments durch die AfD von Donnerstag noch tief in den Knochen.“

Das ist nicht der Sound eines Ministerpräsidenten.

Sondern eines Parteianführers, der sich darüber ärgert, dass die stärkste Fraktion auf die parlamentarische und staatspolitische Tradition pocht und deren von ihr gestellter Alterspräsident die Rechte (s)einer Fraktion, in diesem Falle sogar die der stärksten Fraktion, gegen die der anderen Fraktionen verteidigt.

Und dem das Gericht mitnichten die vom ihm insinuierten Dinge bestätigt hat: „Verhöhnung des Parlaments“? Weil der Alterspräsident seine Rede halten wollte?

„demokratische Weise“? Weil der Alterspräsident festgestellt hat, dass es in einer nicht-trivialen Frage unterschiedliche Rechtsauffassungen der Fraktionen gibt und man deshalb das Gericht anruft an dessen Weisung er sich selbstverständlich halten wird (und ja auch gehalten hat)?

Aber auch das BSW hat in dieser Affäre massiv Schaden genommen: Ohne Not hat sich das BSW der Voigt-Bühl-CDU angehängt und die „Wille-der-Mehrheit“-Aufführung mit durchgezogen.

Dabei haben AfD und BSW im Landtag auch eine Mehrheit!

BSW-Spitzenkandidatin Wolf hätte die wunderbare Gelegenheit gehabt sich von den beiden Herren, dem alten und dem wohl künftigen Ministerpräsidenten abzusetzen.

Katja Wolf und das BSW hätten sogar ihre Position nutzen können für echte Veränderungen: Wenn die stärkste Fraktion nicht den Landtagspräsidenten stellt, warum dann die CDU? Weil man mit denen regieren will? Wäre eine Machtbalance nicht viel moderner? Ein Landtagspräsident vom BSW oder die Nominierung von Bodo Ramelow: Das wäre doch mal etwas Neues gewesen! Und da hätte man gegenüber der AfD wirklich ein Argument gehabt.

Stattdessen hat man das unsägliche Gebaren von insbesondere Andreas Bühl im Plenum und Mario Voigt und Bodo Ramelow in der Öffentlichkeit noch gedeckt und verstärkt!

Katja Wolf versteigt sich laut t-online zu der folgenden, wirklich fragwürdigen Beschreibung: Treutler habe versucht, sich in die Rolle eines “gottgleichen Führers dieses Parlaments” zu begeben. Das Zitat ist von t-online, die Worte in Anführungszeichen kommen wohl von Katja Wolf.

Wenn diese Art von Machttaktik und Doppelmoral hinter der Friedens- und „Bessere-Politik“-Rhetorik des BSW steckt, dann grenzt das schon fast an massive Wählertäuschung.

Als wäre dies nicht schon alles verrückt genug, setzt SPD-Spitzenmann und noch-Innenminister Georg Maier dem Ganzen die Krone auf: Seine Interpretation der ziemlich souveränen Sitzungsführung des Alterspräsidenten ist die Folgende:

Das wäre der Beweis, dass die AfD „aggressiv kämpferisch“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agieren würden (Post um 21:52 am Donnerstag noch vor der Urteilsverkündung). Und nicht viel milder „Das Maß ist voll. Zeit zu handeln. Ich bin dazu bereit.” am Freitag um 11:18.

Da fällt einem nichts mehr zu ein.

Außer, dass es natürlich alles vorgeplant war.

Und zwar nicht von der AfD!

Philipp Lengsfeld war von 2013 bis 2017 Bundestagsabgeordneter der CDU und ist mittlerweile parteilos im liberal-konservativen Spektrum aktiv. 

Quellen:

Ramelow „Staatszersetzung“ im MDR vom Mo, den 30. September:

https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/interview/audio-ramelow-thueringen-staatszersetzung-afd-100.html

Ramelow „Trumpismus“ in dem ziemlich wirren Blogeintrag von Donnerstagabend:

https://www.bodo-ramelow.de/2024/09/trumpismus-im-thueringer-landtag/

Voigt: „Demokratieerwachen“ – der Post vor der legendären Sitzung am Donnerstag

https://x.com/mariovoigt/status/1839230508980433169

Voigts zweiter Post am Morgen des Freitags:

https://x.com/mariovoigt/status/1839921429279613373

Katja Wolf gemäß t-online:

https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100498276/thueringen-bsw-chefin-wolf-mit-scharfer-kritik-nach-afd-eklat.html



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