Die Ossis sind anders als die Besserwisser zu wissen vorgeben

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Von Lothar Pawliczak

Jetzt werden ja wieder besserwisserische Erklärungen Hochkonjunktur haben, warum die bösen Ossis so gewählt haben, wie sie gewählt haben.

Ich habe am Samstag, den 21.9., im rbb Inforadio ein Interview gehört mit Frau Prof. Christina Morina zu Ihrem Buch „Tausend Aufbrüche: Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren“ .

Sehr interessant! Sie widerlegt die Deutungen der Ossis, diktatursozialisiert, autoritätsgläubig, rechtsradikal, durch Wendeverluste traumatisiert, fortschrittsfeindlich zu sein – Deutungen, die darauf beruhen, zu interpretieren und zu unterstellen, anstatt den Ossis wirklich zuzuhören. Und die Erklärungen, daß die jungen Leute auch in hohem Maße AfD wählen, weil deren Altvordere ihre bösen Gedanken an sie weitergeben, erinnert doch wohl irgendwie an die stalinistische These von der Vererbung erworbener Eigenschaften. Könnte es nicht einfach sein, daß die jungen keine Politik wollen, die sie der Gewalt der Migranten aussetzt, die Preise hochtreibt und ihnen das Auto verbieten will?

Man kann Frau Morina auch nicht vorwerfen, 1989 nur hinter der Gardine gestanden und zugeschaut zu haben, wie das DDR-Regime gestürzt wurde, was Ilko-Sascha Kowaltczuk den Ossis vorhält: Sie war da erst 13 Jahre alt.

Frau Morina hat ausgewertet, was die Bürger in Briefen an die DDR Partei- und Staatsführung, an den Petitionsausschuß des Bundestages und in anderen in Archiven Vorfindlichem geschrieben haben: Viele Bewohner der DDR identifizierten sich mit ihrem Land und dessen „volksdemokratischen“ Idealen, blieben dem Staat und seinen Institutionen gegenüber jedoch skeptisch. Die demokratische Mitarbeit des Volkes – „Plane mit, arbeite mit, regiere mit!“ – wurde ja offiziell propagiert, die Realität in der DDR war aber eine andere. Mit der friedlichen Revolution war zunächst intendiert, diesen „volksdemokratischen“ Anspruch zu verwirklichen – vergeblich, wie wir wissen. Die DDR-Opposition, das Neue Forum und andere waren Basisbewegungen, basisdemokratisch. Eine Demokratie, die sich nicht nur auf Wahlen beschränkt und dann jene, die die Macht errungen haben, einfach machen läßt, entsprach nicht den Vorstellungen der DDR-Bürger von Demokratie. Volksbegehren und Volksabstimmung auf Bundesebene nach Schweizer Vorbild waren eine konsequente Forderung – eine Forderung, die auch mal Linke und Grüne in ihrem Programm hatten, aber fallen ließen, als sie merkten, daß solche Volksabstimmungen nicht immer in ihrem Sinne ausgehen. Die Ossis sind von der bundesdeutschen repräsentativen Demokratie enttäuscht – und alternative Parteien greifen dies auf, versprechen eine basisdemokratische Mitwirkung der Bürger (Inwieweit die im Gegensatz dazu selbst – insbesondere das BSW – autoritär-hierarchisch aufgebaut sind, spielt dabei in der Wahrnehmung offensichtlich keine Rolle.). Anders anscheinend die große Mehrheit der Bürger im Westen Deutschlands, die Demokratie weitgehend wohl nur mit regelmäßigen Wahlen identifizieren. Es könnte sein, daß sich das infolge der grandiosen Fehlleistungen der Ampelkoalition ändert, die nicht bereit ist, Konsequenzen daraus zu ziehen, daß sie von einer großen Mehrheit der Bürger abgelehnt wird.



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