Jans Attentat

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Der Übersetzer und Autor Oliver Zimski hat einen Roman vorgelegt, der sich an ein heikles Thema wagt: Wie hätte ich mich in der Nazidiktatur verhalten? Die Frage ist natürlich am brisantesten für alle, deren Vorfahren Täter gewesen sind. Es ist wahrlich ein hartes Schicksal, von einem SS-Kommandeurs-Vater oder einem Gestapo-Opa abzustammen. Nach meiner Überzeugung haben diese Leute die Kollektivschuld-These erfunden. Wenn sich alle schuldig gemacht haben, wiegt die familiäre Belastung weniger schwer. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, um die uns angeblich alle beneiden, hat nicht die Erkenntnis befördert, dass es die Methoden der Totalitären sind, die man scheuen muss wie der Teufel das Weihwasser. Eine queere Journalistin hat auf X verkündet, Nazis könne man nur mit Nazimethoden bekämpfen.

Nazi ist heute jeder, der die Regierung kritisiert. Diese Kritik wird tatsächlich mit Mitteln zum Verstummen gebracht, die auch im Dritten Reich angewendet wurden: Denunziantentum, Einschüchterung, Anprangerung, Justizwillkür. Gleichzeitig sind sich die Vertreter des Wokismus weitgehend einig, dass sie in der Nazi-Diktatur natürlich zu den Widerständlern gehört hätten. Es gab sogar mal einen Tweet, in dem behauptet wurde, der Schreiber hätte Hitler ganz bestimmt umgebracht.
Der Journalist Johannes Gross spottete bereits vor Jahrzehnten: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.“

Zimskis Romanheld Jan gehört zu denen, die sich selbstverständlich für Widerständler halten. Er wirft seinem Vater, der bei Kriegsende 7 Jahre alt war, im Ernst vor, ein Nazi gewesen zu sein. Er hat u.a. eine NS-Paranoia, die dringend behandelt werden muss.

Auf einer Geburtstagsfeier trifft er einen Therapeuten, der mit einer ganz neuen Methode Zeitreisen ermöglichen kann. Jan lässt sich von ihm in das Deutschland vom Juli 1944 transferieren. In Berlin, das zwar schon täglich bombardiert wird, aber noch viel von seiner Schönheit bewahrt hat, hört er in einem Luftschutzbunker, dass es Stimmen gibt, die über die Gräuel hinter der Ostfront berichten und sich gegen den Krieg aussprechen. Die Bevölkerung hat keineswegs nur den Mund gehalten und begeistert mitgemacht. Im Gegenteil, weil sie nicht bereit war, dem Führer in den Untergang zu folgen, erließ der im März 1945 die sogenannten Nero-Befehle, die den Menschen in Deutschland durch die Vernichtung von Infrastruktur und anderen Lebensgrundlagen die Fortexistenz unmöglich machen sollten. „Nie wieder Deutschland“ ist ein Hitler-Befehl, den die Antifa und die Antideutschen heute noch befolgen wollen. Besonders eindrücklich wird der Roman, als Jan in Königsberg ankommt, wenige Wochen bevor die Stadt zum ersten Mal durch alliierte Bomber dem Erdboden gleich gemacht wird. Königsberg muss wunderschön gewesen sein. Nach der Rekonstruktion einer Häuserzeile am Pregel mit Blick auf die Dominsel bekommt man heute einen Eindruck davon, was die Stadt einmal war. Jan trifft auf dem Gut von Erich Koch, dem berüchtigten Gauleiter Ostpreußens, auf Adolf Hitler, den er nicht umbringt. Später ist er bei der legendären Besprechung in der Wolfsschanze dabei. Bis heute wird gerätselt, wer die Aktentasche mit der Bombe von Stauffenberg um jenes fatale halbe Meter hinter das Tischbein verrückt hat, was Hitler das Leben gerettet hat. Im Roman ist es Jan.

Im Nachwort schreibt der Autor, dass der literarische Kniff der Zeitmaschine für ihn das geeignete Mittel war, um „einen spezifischen ‘Clash of Cultures’ abzubilden… Mit Jans Reise aus unserer Gegenwart des Jahres 2022 ins Kriegsjahr 1944 prallt eine besonders auf Seiten der politischen Linken verbreitete Mentalität, geprägt von dichotomischen Beurteilungsrastern, dem inflationären Gebrauch von NS-Vergleichen und der leichtfertigen Schmähung von politischen Gegnern als Nazis oder Faschisten – auf die konkreten Lebensbedingungen einer Diktatur, welche ihre Macht nicht nur auf Unterdrückung und Terror stützte, sondern auch kollektive Sehnsüchte bediente, etwa die nach Gleichheit und Zusammenhalt (Volksgemeinschaft).“ Der Satz: „Wir sind Sozialisten, wir sind Feinde des kapitalistischen Wirtschaftssystems…“ stammt aus einer Hitler-Rede vom 1. Mai 1927. Der Zusatz: „Schon immer ist mir nichts verhasster als das Besitzbürgertum“, ist von Goebbels 1931.
„Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler“, diese Erkenntnis von Ingeborg Bachmann fasst das Buch von Zimski gut zusammen.

Oliver Zimski: Jans Attentat, 2024



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