Von Hans Hofmann-Reinecke
Wann immer im polit-medialen Raum das sensible Thema Kolonialismus anklingt, ist es obligatorisch, diese Epoche als Hölle für die unterjochten Länder zu beschreiben und die Kolonisatoren als Unmenschen anzuklagen. Obwohl Deutschlands Rolle als Kolonialmacht vergleichsweise zurückhaltend war, verpasst die heutige Regierung keine Gelegenheit, sich für die Sünden der Urgroßväter in „Deutsch Südwest Afrika“ zu entschuldigen und Buße zu tun.
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Bevorzugte Termine beim Bürgeramt
In Berlin passiert ja einiges, und so könnte es sein, dass ein wichtiges Ereignis Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist. Am 02.12.2022 um 12:00 Uhr fand in Mitte die feierliche Enthüllung neuer Straßenschilder statt. Dabei wurde die Lüderitzstraße endlich in Cornelius-Fredericks-Straße umbenannt. Die Öffentlichkeit wurde per Pressemitteilung korrekt und deutsch-humorlos informiert: „Die neu installierten Straßenschilder werden mit Erläuterungsschildern versehen sein. Die Geschichte der so Gewürdigten wird online detailliert nachzulesen sein. Anwohnende werden rechtzeitig informiert und bekommen für die kostenlose Änderung von Dokumenten bevorzugt Termine beim Bürgeramt.“
Durch diesen von Bezirksbürgermeisterin und Bezirksstadträtin initiierten Akt demonstrierten die Damen ihre Courage und profunde Geschichtskenntnis. Ganz besonders aber zeigten sie Verantwortungsbewusstsein für die Untaten der Kolonialzeit, derer ihre Urgroßväter beschuldigt werden. Aber dennoch: wo wird die Geschichte des durch die Umbenennung entwürdigten Adolf Lüderitz „detailliert nachzulesen sein“? Warum wurde er entehrt? Wo erfahren wir etwas über den 1834 Geborenen, zu einer Zeit also, als sein Vor- und Nachname noch unverfänglich waren?
Wie der Zufall es will, fand exakt 6 Monate nach dem historischen Akt in Berlin eine andere Enthüllung statt, und zwar 9000 km weiter südlich, in Namibia. Dort wurden am Strand der nach dem Geschmähten benannten Stadt acht überlebensgroße Skulpturen aufgestellt. Jede hat die Form eines Schriftzeichens und sie buchstabieren den Namen des Gründers der Stadt: LÜDERITZ. Bitte beachten Sie das dokumentarische Foto (unten) mit einer ansehnlichen Bürgerin der Stadt im gelben Dress.
Die Geschichte des Entwürdigten
Etwas mehr erfahren wir über den Mann in „Oysters, Architecture and History“, der Broschüre der Stadt: „… Aber erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts fand (die Stadt) Lüderitz ihre wahre Berufung als geschäftiger Handelsposten. Walfang, Robbenjagd, Fischerei und Guano-Ernte florierten an diesem Küstenabschnitt. Im Jahr 1883 nahm eine Siedlung offiziell Gestalt an, als Heinrich Vogelsang das Land für den deutschen Unternehmer Adolf Lüderitz sicherte. Nachdem Letzterer bei dem Versuch umgekommen war, von der Mündung des Oranje-Flusses zurück zu seiner Ansiedlung zu segeln, wurde zu seinen Ehren das Gebiet in „Lüderitzbucht“ umbenannt. Mit der Entdeckung von Diamanten im Jahr 1908 erlebte die Stadt dann einen phantastischen Aufschwung; aber ihr Schicksal änderte sich im Ersten Weltkrieg, als Deutschland 1915 die Kontrolle über seine Kolonie verlor und Südafrika die Macht übernahm.“
Die Stadt hatte in den 110 Jahren seither offensichtlich keinen Grund, ihren Namen zu ändern, und auch deutsche Straßennamen blieben erhalten. Die Herren Moltke, Bismarck, Schuckmann, et al. grüßen nach wie vor stolz von den Straßenschildern. Ja, es gab da mal Überlegungen, historische afrikanische Persönlichkeiten zu Ehren kommen zu lassen, aber die verschiedenen Stämme konnten sich da auf niemanden einigen. So entschied man sich, es bei den deutschen Honoratioren zu lassen.
Sündenstolz
Die Empörung über historische deutsche Sünden in Afrika ist nicht nur bei den Damen der Stadtverwaltung von Berlin-Mitte anzutreffen, sie ist obligatorisch, wann immer im polit-medialen Raum das sensible Thema Kolonialismus gestreift wird. So leitete das ZDF Landesstudio Brandenburg am 23. April 2024 einen Bericht über ein durchaus fragwürdiges deutsches Projekt zur Gewinnung von „Grünem Wasserstoff” an Namibias Küste mit folgenden Worten ein: “Noch heute erinnert das Stadtbild (von Lüderitz) an die durch Gewalt und Völkermord gekennzeichnete deutsche Kolonialzeit”.
Wie bitte? Lüderitz ist eine freundliche Kleinstadt in der Wüste, deren vielfältige Einwohnerschaft sehr gut untereinander auskommt. Vielleicht war die Information des Autors über die Stadt anfangs auf die üblichen Schlagworte beschränkt. Aber dann hätte er, der ja anders als sein Kollege Claas Relotius sicherlich vor Ort gewesen ist, erkennen müssen, dass diese Aussage unrichtig und im höchsten Grade taktlos ist. Und wenn er sich wirklich um deutschen Schaden für Namibia Sorgen machen würde, dann hätte er besagtes Wasserstoff-Vorhaben etwas gründlicher analysiert und die enormen Risiken für die Bevölkerung des Landes aufgezeigt, anstatt es in höchsten Tönen zu loben.
Der wahre Grund
Nicht Liebe zu den vermeintlich ausgebeuteten Völkern steht hinter den übertriebenen Schuldgefühlen, die zu zeigen uns bei jeder Gelegenheit durch den Zeitgeist abverlangt wird. In Wahrheit entspringt diese Obsession dem kollektiven und durchaus begründeten Minderwertigkeitskomplex des heutigen polit-medialen Personals. Sie wissen, dass sie Deutschland enormen Schaden zugefügt haben, dass sie das Land in einem Jahrzehnt in fast jeder Hinsicht heruntergewirtschaftet haben, dass es dank ihrer Entscheidungen von Nummer Eins auf „ferner liefen“ abgerutscht ist. Und dass sie ihren Aufgaben nicht annähernd gewachsen wären, auch wenn sie tatsächlich das Beste für Deutschland wollten. Um trotzdem als „gut“ dazustehen, wird nun ein Personenkreis als undiskutierbar „schlecht“ inszeniert. Wären die nicht schlecht, dann wäre man selbst nicht gut.
Um zu dem verfemten Kreis zu gehören, muss man männlich, weiß, pflichtbewusst und erfolgreich sein – egal aus welchem Jahrhundert. Adolf Lüderitz entspricht diesem Profil sehr gut. Dass die vermeintlichen Opfer deutscher Geschichte all das vielleicht gar nicht so sehen, interessiert dabei nicht. Die sehen manche Elemente des deutschen Erbes vielleicht sogar als Gewinn. In einem Fotoband über Namibia stolperte ich kürzlich über ein originelles Foto: Eine Band von Blasmusikern unterschiedlichster Hautfarben paradiert auf der Straße. Und welche Musik sie spielen, das ist auf dem Banner über ihren Köpfen zu lesen: „OB KAISERREICH, OB REPUBLIK, WIR SPIELEN DEUTSCHE MARSCHMUSIK“ – na bitte, Frau Berlin-Mitte.
Und noch etwas: seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Afrika vom Kolonialismus befreit. Haben es die afrikanischen Länder inzwischen zu Wohlstand und Sicherheit gebracht? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Afrikaner fliehen zu Tausenden nach Europa und suchen Schutz bei den ehemaligen Unterdrückern.
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Dieser Artikel erscheint auch im Blog des Autors Think-Again. Der Bestseller Grün und Dumm, und andere seiner Bücher, sind bei Amazon erhältlich.