Von Dagmar Jestremski
Ein aktueller Bericht der UN-Organisation „United Nations Industrial Development Organisation“ (UNIDO) und der „International Renewable Energy Agency“ (IRENA) deckt auf, dass die Bestrebungen einiger Industrieländer, darunter Deutschland, Verträge mit Drittweltländern zur Produktion von sogenanntem grünen Wasserstoff abzuschließen, von Teilen der Bevölkerung in diesen Ländern abgelehnt werden. Der Text mit der Überschrift „Wasserstoffindustrie – eine Umdeutung des Narrativs“ erhellt den Anlass des Berichts im Untertitel: „Grüner Wasserstoff stößt auf Widerstand in den Entwicklungsländern, weil er fast ausschließlich für den Export in reiche Länder bestimmt ist.“ Den Inhalt des Berichts reflektiert ein Artikel, der am 8. Februar auf dem Portal „hydrogeninsight.com“ veröffentlicht wurde. Die beiden internationalen Organisationen warnen vor „öffentlichem Widerstand“ gegen derartige Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern, im Klartext: Wegen der bereits geschlossenen Wasserstoffallianzen zwischen einigen reichen Industrienationen und den Regierungen ärmerer Partnerländer sei mit innenpolitischen Unruhen in diesen Ländern zu rechnen. Die Bundesregierung sollte die Warnhinweise ernst nehmen. Deutschlands Energiesystem wird zurzeit auf eine als „grün“ bezeichnete Wasserstoffwirtschaft auf Basis von Wind- und Solarstrom umgestellt. Die Versorgung mit Wasserstoff soll zu 70 Prozent durch Importe aus Übersee gesichert werden. Derartige bereits geschlossene Verträge und Vorverträge werden jedoch von der lokalen Bevölkerung der ärmeren Länder nicht zuletzt aufgrund eines inhärenten und neu angefachten Misstrauens zwischen Zivilgesellschaft und staatlicher Ebene misstrauisch beobachtet. Beispielsweise wird den staatlichen Stellen in Namibia Intransparenz und Korruption vorgeworfen.
Auch Kanada ist „Wasserstoffpartner“ Deutschlands. Bei den Einwohnern Neufundlands sind insbesondere die Mega-Windparks verhasst, die auf der Insel vor der Nordostküste Kanadas für die Erzeugung von „grünem“, für den Export bestimmten Wasserstoff entstehen sollen. Doch darauf geht der Report des Duos nicht ein – möglicherweise, weil in Kanada kein Aufruhr droht, wenn die Einwände der Naturschützer und Bürgerinitiativen vom Energieministerium nicht anerkannt werden, was bisher der Fall ist. Während in Deutschland bereits die ersten größeren „grünen“ Wasserstoffprojekte wegen Unrentabilität aufgegeben werden, könnte die deutsche Wasserstoffstrategie insgesamt, die über ein Dutzend Länder in Übersee mit einbezieht, durch die im vorliegenden Bericht umrissene Entwicklung hinfällig werden.
Die internationalen Organisationen stellen Sinn und Nutzen der Produktion von Wasserstoff aus Wind- und Solarstrom nicht in Frage. Man schließt sich jedoch der Kritik an, dass die Diskussion darüber bisher nur aus der Perspektive des Globalen Nordens geführt wird. Die aufgekommenen Bedenken hinsichtlich einer fairen Verteilung des „grünen“ Wasserstoffs seien gerechtfertigt. Aus anderen Veröffentlichungen geht hervor, dass Gegner der Wasserstoffpartnerschaften zwischen ärmeren und reicheren Ländern diese Abmachungen als Öko-Kolonialismus anprangern. In dem vorliegenden Begriff wird dieser Begriff natürlich nicht verwendet, doch nach Einschätzung von UN und IRENA haben die bisher initiierten Allianzen zwischen reichen und ärmeren Ländern das Potenzial einer Fehlzündung. Den daraus entstehenden Vorteilen für die Erzeugerländer werde kaum Rechnung getragen. Um den Widerstand der Menschen vor Ort gegen diese Projekte einzudämmen, wird den Regierungen der ärmeren Länder geraten, bei dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft der eigenen Energieversorgung den Vorrang vor dem Export zu geben.
Um die sogenannte Transition – gemeint ist die Umstellung auf eine „grüne“ Wasserstoffwirtschaft – gerechter zu gestalten, wird den Regierungen der „Gastgeberländer“ empfohlen, zunächst auf die eigene Versorgung mit Wasserstoff als Energieträger abzuzielen. Vorteilhaft sei ein allmählicher Aufbau der Produktionsanlagen, beginnend mit kleinen und mittleren Projekten ohne größere ausländische Investments. Erst in einer dritten Phase, wenn die Wasserstofferzeugung aufgestockt wird, sollten ausländische Investments eine Rolle spielen, wenn sie sowohl auf Export als auch auf eine nachhaltige lokale Entwicklung ausgerichtet sind. Wasserstoffexporte könnten durchaus die heimische Wirtschaft stärken, insbesondere wenn mehr Personal aus der Umgebung rekrutiert werde und eine Wertschöpfungskette auf nachgelagerte Bereiche entstehe. So könne nachhaltig dauerhafte Beschäftigung geschaffen werden. Weiterhin werden den Erzeugerländern Optionen vorgeschlagen, um Schiffstransporte von Wasserstoff und Ammoniak über Tiefwasserhäfen, die extra gebaut werden müssen, zu vermeiden. Ein Vorschlag lautet, über Länder mit größeren Containerschiffshäfen Eisenschwamm zu exportieren, der mit Hilfe von Wasserstoff in einheimischen Direktreduktionsanlagen erzeugt wird. Im Ausland könne der Eisenschwamm in großen Stahlwerken zur Herstellung von „grünem“ Stahl verwendet werden.
Der Bericht verweist auf die Ambitionen zahlreicher Industrienationen, in möglichst vielen Ländern der sich entwickelnden Welt Investitionsprojekte des grünen Sektors anzustoßen, um durch die Vermeidung von „Treibhausgas“- Emissionen die jeweiligen Klimaziele zu erreichen. Genannt werden Deutschland, Großbritannien, die EU, Japan und Südkorea. Deutschland habe das Programm H2Global entworfen, um aus erneuerbaren Energien „grüne Produkte“ wie Wasserstoff, Ammoniak, Methanol und synthetisches Flugkerosin weltweit verfügbar zu machen. Die EU will den Entwicklungsländern mehrere Millionen Euro als Hilfe für den Export von grünem Wasserstoff als Teil des „Global Gateway Investments“ zur Verfügung stellen. Deutschland allein habe afrikanischen Ländern vier Milliarden Euro zugesagt. Als der Bericht veröffentlicht wurde, besuchte Minister Robert Habeck gerade Algerien, um Gespräche über die Produktion von „erneuerbarem“ Wasserstoff für den Export nach Deutschland zu führen.
Autorin: D. Jestrzemski