Von Tahiti an die Saale

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Ab und zu ist es angebracht, sich vor Augen zu führen, auf welch großen Schultern alter weißer Männer, die heutzutage von Nichtwissern und Nichtkönnern pausenlos diffamiert werden, wir stehen. Wo trifft man heute noch Personen, die siebzehn Sprachen, darunter die klassischen, meisterhaft beherrschen, als Botaniker, Geologe, Schriftsteller hunderte Pflanzen, Tiere, Mineralien entdeckt und beschrieben und nebenbei einen Botanischen Garten angelegt haben? So ein Mann war der Weltumsegler Johann Reinhold Forster, der Vater des berühmteren Georg Forster, ein Genie ähnlichen Kalibers, wegen seiner aktiven Unterstützung der Jakobiner-Diktatur eine Ikone der Linken.

Reinhold, seit seiner Weltumseglung mit James Cook eine Legende, wurde bald nach seinem Tod in Halle, wo er die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte, vergessen. Erst seit Neuestem interessiert man sich, zumindest in Halle, wieder für ihn. Aber anstatt ihn zu ehren, prangt am Hallenser Riebeckplatz eine Tafel zu Ehren seines Sohnes Georg, dem „Deutschen Jakobiner“. Die Unterstützung blutiger Diktaturen löst immer noch mehr Faszination aus als ihre Ablehnung. Manchmal gibt es aber durch Zufall so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit.

Das Bildnis neben der Tafel zeigt nicht Georg, sondern seinen Vater Johann Reinhold, der anders als sein Sohn eng mit Halle verbunden war. Es ist ein großes Verdienst des Hallensers Michael Pantenius, dass er eine Biografie Forsters sen. vorgelegt hat.

Johann Reinhold Forster, der in seinem Leben zum Preußen wurde, ist nicht in Preußen geboren. Er stammt aus Dierschau, einem Städtchen bei Danzig, das damals polnisch-litauisch war. Nach dem Willen seines Vaters musste der Junge Theologie studieren. Das tat er in Halle, weil ein Studium dort als Eintrittskarte in den preußischen Staatsdienst galt. Allerdings erfüllte sich die Hoffnung nicht. Zunächst war Forster Pfarrer im Dorf Nassenhuben, wo sein Sohn Georg geboren wurde. Auf diesem Posten fühlte er sich, der u.a. auch das Koptische beherrschte, ohne das die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen nicht möglich gewesen wäre, unterfordert. In seiner Freizeit botanisierte er so erfolgreich, dass kein Geringerer als der seiner Zeit berühmte Naturwissenschaftler Carl von Linné von seiner Sammlung beeindruckt war. Die russische Regierung wurde auf den kleinen Pfarrer aufmerksam und beauftragte ihn mit der Untersuchung des Wolgagebietes, in dem Katharina die Große Deutsche ansiedeln wollte. Obwohl er sich später mit den Russen überwarf, war der Auftrag für Forster das Entréebillett in die Welt der Naturforscher. Endgültig berühmt wurde Johann Reinhold durch seine Teilnahme an Cooks Weltumseglung, bei der auf Wunsch des Vaters auch sein Sohn Georg dabei war. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen und die Berichte über diese Reise begründeten seinen Ruf als Genie.

Wie viele Genies war Johann Reinhold nicht unbedingt ein angenehmer Charakter. Er vernachlässigte seine Familie und brachte sie in Not, weil er sich teure Bücher und Landkarten kaufte, statt für einen ausreichenden Lebensunterhalt zu sorgen. Nicht nur seine Frau Justine, die sieben Kinder zur Welt brachte, musste als Übersetzerin Geld dazu verdienen, auch seine Töchter waren als Erzieherinnen und Übersetzerinnen tätig. Am meisten beutete er seinen Sohn Georg aus, der seine Tätigkeit für den Vater zum Teil als „ägyptische Sklaverei“ empfand.

Johann Georg schonte sich selbst nicht. Er arbeitete zwölf bis sechzehn Stunden am Tag. Das Resultat seiner rastlosen Tätigkeit sind 80 Bücher für Erwachsene, aber auch für Kinder zu den unterschiedlichsten Themen. Eine seiner bewundernswertesten Schöpfungen ist zweifellos der Bot

anische Garten in Halle, dem Forster seinen bemerkenswerten Bestand und seine Größe verdankt.

Als kompromissloser Selbstdenker setzte sich Forster immer wieder für andere Freigeister ein, wie für seinen Mitbürger Carl Friedrich Bahrdt, dem Pantenius ein eigenes Buch gewidmet hat. Mit seinem Sohn Georg überwarf er sich endgültig, als der Politiker und Unterstützer der Jakobiner wurde. Georg starb vor seinem Vater verarmt in Paris. Johann Reinhold hat sein Ende kommen sehen und die richtige Diagnose für seine Todesursache gestellt: Atherosklerose.

Seine Reisetagebücher gehören zum Bestand der Staatsbibliothek Berlin. Nur der erste Band des Logbuchs der zweiten Weltreise konnte für Halle bewahrt werden. Ein Teil seines Nachlasses erwarb die Universität Göttingen. Mehr als 1000 Gemälde und historische Landkarten befinden sich heute in mehr als 30 Museen der Welt. Seine etwa 3000 Exponate umfassende Pflanzensammlung übergab Forster noch zu Lebzeiten an die Uni Halle, wo sie heute leider wegen technologischer Probleme und Baumängeln nicht öffentlich zu sehen ist, was sich hoffentlich bald ändert.
„Der Weltenruhm ist ein Wiesenblum“, wusste Forster. Er wurde auf dem Stadtgottesacker begraben, aber so gründlich vergessen, dass seine Grabstätte erst kürzlich nach intensiver Forschung wiederentdeckt wurde. Es wird Zeit, dass sein Bildnis am Riebeckplatz die ihm gebührende Gedenktafel erhält.

Michael Pantenius: Johann Reinhold Forster, Hasenverlag Halle 2021



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